23.02.2018
Der Hass der Anderen - Zur Debatte um „muslimischen Antisemitismus“
Wer Hass wirklich bekämpfen will, muss sich mit dessen genuinen Bedigungen und Umständen auseinandersetzen, schreibt Alsharq-Kolumnist Iskandar Ahmad Abdalla. Grafik: Tobias Pietsch
Wer Hass wirklich bekämpfen will, muss sich mit dessen genuinen Bedigungen und Umständen auseinandersetzen, schreibt Alsharq-Kolumnist Iskandar Ahmad Abdalla. Grafik: Tobias Pietsch

Wenn die „Anderen“ die Antisemiten sind, so lenkt das unter anderem vom Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft ab, schreibt Iskandar Ahmad Abdalla im zweiten Teil der neuen Alsharq-Kolumne Des:orientierungen.

„Muslime“ – ein Dauerbrenner für mediale Aufmerksamkeit. Themen wie Ehrenmorde, Frauenrechte und Homophobie stehen dabei hoch im Kurs. Muslime stehen unter Dauerbeobachtung, werden beklagt, befragt, in öffentlichen Debatten zur Schau gestellt und zur Rechenschaft gezogen, sei es aufgrund mangelnder Integration, aus Angst vor potenziellen Gewalttätern oder aufgrund ihres Antisemitismus.

Gerade letzterer beschäftigte die deutschen Medien zuletzt wochenlang, als im Zuge der Demonstrationen gegen die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, israelische Flaggen auf einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor angezündet wurden.

Innerhalb weniger Stunden ging ein und dasselbe Bild der wütenden, männlichen Demonstranten mit der selbstgebastelten, brennenden Flagge viral durch die Medien. Es wurde zum Aushängeschild eines alarmierenden Phänomens, über das man endlich sprechen müsse, und an dem wieder einmal nicht nur Muslime beteiligt seien, sondern das einige per se für einen Migrantenimport erklärten: den muslimischen Antisemitismus. Die Journalisten sind in Aufruhr, der Hype nimmt seinen Lauf – und die sogenannten Islam-Experten kommen mit ihren üblichen Floskeln zu Wort: Es gebe eine „falsche Toleranz“, eine „Paternalisierung von Migranten“ oder eine „Hass-Kultur“, aus der die Zuwanderer kämen.

Eine politisierte Debatte

Die Last der Geschichte macht es nachvollziehbar, dass Antisemitismus gerade in Deutschland ein schwerwiegendes Thema bleibt. Doch genau dieser Last wegen und um der damit einhergehenden Verantwortung willen darf man nicht unkritisch hinnehmen, wie eine Antisemitismusdebatte in Bezug auf Muslime eingerahmt wird.

Die Debatte ist zwangsläufig politisch. Sie lässt sich in die breitere, fortdauernde „Islamdebatte“ einordnen, in der Muslime generell zu Verdächtigen erklärt werden; die Öffentlichkeit zeigt ihre Abneigung, die Politik bestärkt oder wirkt dem entgegen – und die Muslime selber sollen nicht aufhören, Bekenntnis abzulegen.

Die Islamisierung des Antisemitismus integriert diesen in das Repertoire der Bedenken, mit denen Muslime in Deutschland immer wieder konfrontiert werden. Die Islamisierung des Antisemitismus ist somit Teil des Repertoires genereller Verdachtsmomente gegenüber Muslimen. Sie markiert sie als geschichtslose Andere, bezeugt ihr stigmatisiertes Wesen und ihre Gegensätzlichkeit zur Mehrheitsgesellschaft. So ist der muslimische Judenhass für WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt „nur das Vorspiel einer stumpfen Ressentimentkultur, die sich am Ende gegen alle [inklusive unsere] freien, pluralistischen Gesellschaften richtet.“

Antisemiten? Das sind die Anderen 

Außerdem externalisiert die Debatte den Antisemitismus. Sie erweckt den Anschein, dass seine gegenwärtigen Manifestationen entweder politische Randerscheinungen der extremen rechten oder linken Flügel, oder aber primärer kultureller Prägung von „Fremden“ mit eigener Sozialisierung seien. Während die linken und rechten Ränder in dieser Lesart die Außengrenzen der Gesellschaft definieren, stärkt die Beschäftigung mit den „Fremden“, die trotz oder gerade wegen ihres Andersseins doch im Mittelpunkt öffentlicher Auseinandersetzungen stehen, die allgemeine gesellschaftliche Kohärenz. Gegen die Anderen, die „Eindringlinge“, verdichtet sich die Gemeinschaft und überträgt zugleich ihr negatives Selbstbild auf sie. Denn die Anderen sind kulturell fixiert und auf ewig bestimmt – und gerade deswegen geschichtslos.

Indem der Antisemitismus derart quasi zu kulturell verankerten emotionalen Ausbrüchen wütender Araber stilisiert wird, bleibt der in der Mitte der deutschen Gesellschaft existierende Antisemitismus in seiner bürgerlichen Auffassung hinter Manövern der Korrektheit und Selbstzensur verborgen und durch Projektionstaktiken ausgeblendet.

Undifferenziertheit ist gefährlich

Um es deutlich zu sagen: Ich will nicht den Eindruck erwecken, es handele sich bei diesen Problemen einzig und allein um Projektionen, als gäbe es keine antisemitischen Muslime. Ich will nicht die Notwendigkeit der Bekämpfung antisemitischer Haltungen abstreiten, wo immer sie auftauchen. Ich möchte weder das Handeln und Wirken von Muslimen leugnen, noch sie von Kritik oder Beachtung durch die Öffentlichkeit ausschließen.

Doch wir müssen erkennen, dass diese Beachtung nicht immer unvoreingenommen ist, und dass die Kritik in der eigenen historischen Erfahrung verfängt. Es gibt nicht nur muslimische Antisemiten, sondern auch den Willen, sie als solche herauszustellen. Ein Wille, der Grenzen zieht und ungerechte Verhältnisse stabilisiert.

Was bedeutet diese Feststellung für die Bekämpfung des Antisemitismus? Dass es judenfeindliche Einstellungen unter Muslimen gibt, ist nicht zu leugnen. Doch ein sinnvoller Umgang damit muss zwei Dinge beachten:

Erstens darf er solche feindlichen Haltungen nicht undifferenziert und ahistorisch als muslimischen Antisemitismus abstempeln. Denn dies ist nicht nur falsch, sondern verfehlt auch die Ziele der Aufklärungsarbeit. „Allahu Akbar“-Rufe bei einer anti-israelischen Demonstration machen Antisemitismus nicht muslimisch, außer für jemanden, der, bewusst oder unbewusst, zwecks Vereinfachung oder Selbstvergewisserung, das Sagen und Tun der Anderen aus den historischen und politischen Zusammenhängen herauslösen möchte. Die wütenden Demonstranten als bloß „Muslime“ zu definieren, macht sie homogen und diskursiv greifbar (und angreifbar), doch es verkennt deren eigentliche Motivation und verdeckt somit auch mögliche Problemlösungen.

Partikularitäten historischer Erfahrungen müssen mitbedacht werden 

Zweitens sollte eine pluralistische Gesellschaft die Vielfalt der historischen Erfahrungen ihrer Mitglieder berücksichtigen, statt sie alle mit dem Blick einer bestimmten historischen Erfahrung wahrzunehmen. Geschichte lässt sich nicht bezwingen, sondern nur verstehen. Letzteres zu tun verhindert sogar, dass ersteres geschieht. Es überschattet die historische Lehre mit der Zweckmäßigkeit nationaler Politik. Das Verbrechen des Holocaust mag es nachvollziehbar machen, dass der deutsche Staat die Sicherheit Israels zur Staatsräson erklärt.

Doch das kollektive Gedächtnis von vielen muslimischen Menschen, die in Deutschland leben, ist von andern Geschichtswahrnehmung geprägt. Flucht, Verlust, Armut und Aussichtslosigkeit sind im Vokabular der gesamtarabischen historischen Erfahrung verankert. Eine Erfahrung, die nicht nur vor der Besatzung und den kriegerischen Auseinandersetzungen mit Israel geprägt ist, sondern vor allem von Verstrickungen des kolonialen Erbes mit Politiken arabischer autokratischer Regime.

Dass diese Erfahrung über Generationen hinaus wirkungsmächtig bleibt, ist ebenso nachvollziehbar wie die Räson, dass die Shoah aus dem kollektiven Gedächtnis Europas nicht verschwinden kann und darf. Die Partikularität dieser Erfahrungen darf bei solchen Debatten nicht unberücksichtigt bleiben und in den Strategien der Antisemitismusbekämpfung mitbedacht werden.

Hass ist immer hässlich. Wenn wir aber über Hass der Anderen reden möchten, wenn wir ihn bekämpfen wollen, so müssen wir uns auch wirklich mit dem Hass der Anderen befassen. Mit seinen genuinen Bedingungen und Umständen. Auch mit der Geschichte seiner Träger müssen wir uns befassen, statt sie, im Schatten der eigenen Geschichte und im Spiegel des Selbst zu betrachten. Denn eins scheint leider deutlich zu sein: Wer seinen altneuen Hass auf Andere projiziert, lässt ihn damit weiterleben, er sieht ihn im Anderen, der dafür stellvertretend gehasst wird.

Iskandar Abdalla, geboren in Alexandria, Ägypten, studierte Geschichte und Nahoststudien an der Ludwig-Maximilian-Universität München und Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zurzeit promoviert er an der „Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies“. In seiner Forschung beschäftigte er sich mit dem Islam in Europa, aber...