27.02.2024
Was, wenn die AfD an die Macht kommt? Die Suche nach dem Plan B
Immer mehr Menschen fragen sich, ob Deutschland noch für sie sicher ist. Foto: Malek Khemiri
Immer mehr Menschen fragen sich, ob Deutschland noch für sie sicher ist. Foto: Malek Khemiri

Seit dem Potsdamer Treffen von Rechtsextremen fühlt sich Deutschland für viele nicht mehr sicher an. Das Vertrauen in die Politik sinkt aber auch aus anderen Gründen. So sehen ein Imam und eine Flüchtlingshelferin die Lage.

Berlin/Wilhelmshaven

Es ist Freitag und die Khadija Moschee im Berliner Nordosten füllt sich mit Gläubigen. Der Gebetsraum ist mit grün gemustertem Teppich ausgelegt. Die Männer und Jugendlichen sitzen, lehnen an der Wand. Ein kleiner Junge ist mit seinem Opa gekommen und rennt durch die Reihen. Letzte Sprachnachrichten werden verschickt, bevor der Muezzin zum Gebet ruft und Imam Scharjil Khalid seine Predigt beginnt. Heute holt er weit aus. Er fängt bei gesellschaftstheoretischen Abhandlungen an, um schließlich über die Themen zu sprechen, die ihn beschäftigen: Das Treffen des rechten Netzwerks in Potsdam, die darauffolgenden Demonstrationen, der Gaza-Krieg und einen drohenden dritten Weltkrieg.

Sie betreffen ihn und die Gemeindemitglieder auch in besonderem Maße, emotional und unmittelbar, als Migrant:innen, Muslim:innen. Während Rechtsextreme in Potsdam über einen „Masterplan“ zur Abschiebung aller, die nicht in ihr rassistisches Bild Deutschlands passten, beraten, denken immer mehr migrantische Menschen über einen Plan B nach – einen Exitplan aus Deutschland.

„Ein Großteil der Menschen mit Migrationshintergrund macht sich Sorgen um ihre Zukunft in Deutschland“, beobachtet Migrationsforscher Yaşar Aydın von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Eine weitere Gruppe reagiere gelassen und eine dritte gleichgültig. Diese dritte und kleinste Gruppe sei gut situiert und sehe für sich selbst keine Gefahr. Sie gehen davon aus, dass es vor allem Menschen ohne Job und Aufenthaltsstatus trifft.

Imam Scharjil Khalid in Berlin. Foto: privat

Hitlergruß für Muslim:innen in Erfurt

Im Prinzip ist Rassismus keine neue Erfahrung für Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Aber etwas habe sich verändert, sagt der 29-jährige Imam, der wie ein Soziologieprofessor predigt und zur Ahmadiyya-Strömung gehört, die ihren Ursprung in Indien hat. Geboren und aufgewachsen ist er in der südhessischen Provinz bei Bensheim. Seine Kindheit und Jugend beschreibt er als weitgehend wohlbehütet. Mit Rassismuserfahrungen, die sich, wie er sagt, in Grenzen hielten.

Doch dann kam 9/11, die Terroranschläge am 11. September 2001 mit fast 3000 Toten. Danach, sagt Khalid, sollten muslimische Kinder in der Schule plötzlich Terrorismus „anhand des Koran“ erklären. Der zweite Einschnitt: Die „Flüchtlingswelle“ im Jahr 2015/16. Zwei Millionen Menschen kamen in die Europäische Union. In Thüringen setzte sich der rechtsextreme „Flügel“ der AfD unter Björn Höcke durch. Zeitgleich baut die Ahmadiyya-Gemeinde in Erfurt eine Moschee, auch Khalid ist dort; er will Flyer verteilen. Sie leuchten in schwarz-rot-gold. Die Gemeinde will zeigen: Wir gehören zu Deutschland und wir lieben dieses Land.

Und doch – es reicht nicht. Ein Mann zeigt Khalid 2016 den Hitlergruß. Seine Frau habe nur gesagt: „Mach das doch nicht in der Öffentlichkeit“, erinnert sich der Imam. Dass Deutschland ein Rechtsextremismus-Problem habe, sei Betroffenen und denen, die sich mit dem Thema beschäftigen, schon lange vor den Enthüllungen rund um das Potsdamer Geheimtreffen klar.

„Ich sehe Deutschland als mein Heimatland“

Trotzdem war es für Zeynep aus Wilhelmshaven „wie ein Schlag ins Gesicht“, als bekannt wurde, dass eine rechtsextreme Runde aus Mitgliedern der AfD, Werteunion und bekannten Neonazis die sukzessive Abschiebung aller hier lebenden Menschen mit noch anderen als deutschen Wurzeln plante. „Das hat mich unwahrscheinlich traurig gemacht, weil ich Deutschland als mein Heimatland sehe“, sagt die 59-jährige Bürokauffrau, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagiert und ihren Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen will.

Sehr stolz sei sie gewesen, als sie 2004 ihren deutschen Pass in den Händen hielt. 30 Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland als Kind eines Gastarbeiters. 20 Jahre nach einem rassistischen Brandanschlag auf die Wohnung ihrer Familie, in der sie mit einer Freundin schlief. Die beiden überlebten, der Täter musste drei Jahre ins Gefängnis. Danach habe Zeynep „Macken“ entwickelt, wie sie es nennt, und bis zu zehnmal vor dem Schlafengehen geprüft, ob es irgendwo brennt. Später sei sie dem Täter wieder auf der Straße begegnet.

Den Anschlag habe sie irgendwann verdrängt – das Leben ging weiter. Nazis ging sie aus dem Weg: „Früher hat man die Menschen an der Kleidung erkannt, mit ihren Springerstiefeln“, sagt Zeynep. Ihre Eltern bläuten ihr ein: diskutiere nicht, halt dich fern, du hast keine Chance, als Mädchen sowieso nicht. „Heute kann ich sie nicht mehr unterscheiden, vielleicht sind sie unter uns“, sagt Zeynep. Verhasste Blicke, Sprüche von der Seite, all das habe zugenommen. Schleichend, und in den letzten zwei Jahren nochmal verstärkt. Bis zu dem Punkt, dass Menschen aus ihrem Umfeld offen mit der AfD sympathisierten. Einer habe ihr gesagt, die AfD sei ja gar nicht so schlecht, „aber nichts gegen dich, Zeynep“.

Zeynep

„Ich bin froh, dass die Kinder meiner Schwester blond sind“

„Ich bin froh, dass die Kinder meiner Schwester blond sind“, sagt Zeynep, „es ist schrecklich, das zu denken, aber es ist so.“ Auch in Wilhelmshaven gewinnt die AfD dazu, lag bei der niedersächsischen Landtagswahl 2022 mit 14 Prozent aber noch weit weg von Erfurt, wo die neu gebaute Ahmadiyya Moschee steht und die Partei in einem Wahlkreis 2019 bereits 24 Prozent bei der Landtagswahl erreichte. Beim Freitagsgebet in der Berliner Khadija-Moschee ruft Imam Khalid seine Zuhörer:innen dazu auf, ihre Stimme bei der Berliner Wiederholungswahl zum Bundestag abzugeben.

Denn viele hätten seit dem Krieg in Gaza das Vertrauen in deutsche Politikerinnen und Politiker verloren, sagt Khalid bei Kaffee und Kuchen im Gemeindehaus neben der Moschee. „Der Grund ist die wahrgenommene Doppelmoral der deutschen Regierung gegenüber Rechtsextremismus“, so der Imam. Was er damit meine? Er habe den Eindruck, dass sich die deutsche Politik zwar klar im Inland gegen Rechtsextremismus positioniere, aber der israelischen Regierung, zu denen auch Rechtsextreme gehören, fast bedingungslose Unterstützung zusage.

Der verheerende Krieg in Gaza, der auf den Angriff der Hamas auf mehre Kibbutzim mit 1.139 Toten und um die 250 Geiseln folgte und bei dem durch israelische Angriffe auf Gaza über 27.000 Menschen getötet wurden, beschäftigt die Gläubigen der Khadija-Moschee. Dabei ist ihnen die komplizierte Lage durchaus bewusst: Schließlich, sagt Khalid, habe er schon vor dem 7. Oktober Veranstaltungen über Antisemitismus, den Nahostkonflikt und Völkerrecht organisiert. Und am Holocaust-Gedenktag hätten sich Mitglieder und ein Imam der Moschee an Veranstaltungen in Berlin-Pankow und Brandenburg beteiligt. Zudem habe die Ahmadiyya eine Gemeinde in Israel und sei in Gaza teilweise selbst von der Hamas verfolgt gewesen. „Wir verurteilen sie seit 15 Jahren“, sagt Khalid. Doch nun komme ihnen die dramatische Lage der Menschen in Gaza zu kurz.

Geheimtreffen: Sorge und Gedanken ans Auswandern

Doppelmoral sieht Khalid zum Teil auch bei den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, an denen sich auch Politiker:innen der Regierungsparteien beteiligen. Schließlich gehe die von der Bundesregierung unterstützte Asylrechtsreform der EU sowie das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz, das zu schnelleren und konsequenteren Abschiebungen führen soll, nicht unbemerkt an den Menschen vorüber.

Zeynep dagegen machen die Demonstrationen Hoffnung. In Wilhelmshaven war sie eine von etwa 2.500 Menschen, die auf die Straße gingen. Trotzdem habe sie schon mit ihrer Familie über einen „Plan B“ gesprochen, über eine Auswanderung in andere Länder in Europa, in denen sie „in Ruhe leben“ könnte. „Ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste“, sagt sie. Eine Notlösung, sollte die AfD an die Macht kommen. Viele denken ans Auswandern, auch in Khalids Gemeinde. Ihre Ziele: Australien und Westafrika. Australien wirke beruhigend weit weg, und in Westafrika hätte die Ahmadiyya eine große Gemeinde, erklärt Khalid die Wahl.

Bei manchen ist es ein erster Gedanke. „Andere sind sich schon sicher. Sobald sie es sich leisten können, werden sie das Land verlassen.“ Die Correctiv-Enthüllungen hätten viele verunsichert. Jugendliche seien zu ihm gekommen, um zu fragen, ob sie denn jetzt ihre Koffer packen müssten, sagt der Imam. Auch deswegen komme für ihn Auswandern sowieso nicht infrage. „Ich bin verbunden mit Deutschland. Und in Berlin habe ich mit meiner Gemeinde eine Verantwortung.“

 

 

 

 

 

 

 

Jana hat Frankreichstudien und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Université Paris 8 Vincennes–St.-Denis studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin für das Qamar Magazin und hat unter anderem ein Praktikum beim tunesischen Blog nawaat.org gemacht. In ihrer Masterarbeit befasste sie sich mit Gewerkschaften in Marokkos...
Redigiert von Regina Gennrich