02.01.2020
Iran 1979: Vereint im Wunsch nach Selbstbestimmung
Ahmad Moftizadeh, Wikimedia Commons
Ahmad Moftizadeh, Wikimedia Commons

Die Gründe für die iranische Revolution vor vierzig Jahren sind vielschichtig. Ein Blick in Irans Geschichte zeigt, wie sehr der Kampf gegen ausländische Einflussnahme den politischen Diskurs geprägt hat.

Vierzig Jahre nach der Revolution schaut die Welt auf Iran und sieht: Verurteilungen von Menschenrechtsaktivist*innen, wirtschaftliche Isolation durch amerikanische Sanktionen, die Wiederaufnahme des Atomprogramms, Einmischung im Jemen, Syrien, Irak, zuletzt die brutale Niederschlagung der Proteste gegen die Erhöhung der Benzinpreise. Der Ruf der Islamischen Führung könnte international, besonders aber in Europa und den USA kaum schlechter sein.

Der Abwärtstrend in den außenpolitischen Beziehungen Irans mit dem Westen begann mit der iranischen Revolution. Dies ist nur logisch, da die Revolution im Zeichen des Widerstands gegen Fremdbestimmung und dem Streben nach nationaler Unabhängigkeit stand. Ein Blick in das letzte Jahrhundert zeigt, wie die Einmischung ausländischer Mächte den politischen Diskurs im Iran nachhaltig prägte.

Iranische Ressourcen in fremder Hand

Bis in die 1950er-Jahre floss ein Großteil des Profits aus den Ressourcen des Landes an ausländische Privatpersonen und Regierungen. Die iranische Bevölkerung nahm das immer wieder zum Anlass, gegen die westliche Ausbeutung sowie deren stillschweigende Hinnahme durch die eigene Regierung zu protestieren.

Der Ausverkauf iranischer Güter begann bereits, als Nasr ad-Din Schah (König von 1848-1896) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts diverse Konzessionen an ausländische Unternehmen vergab. Aus den erfolgreichen Widerständen der Bevölkerung gegen die Vergabe von Tabakkonzessionen an Großbritannien wuchs Anfang des 20. Jahrhunderts die Konstitutionelle Revolution. Etwa zeitgleich mit der Unterzeichnung der Verfassung durch den Schah und der Einberufung des ersten Parlaments, sicherte sich Großbritannien jedoch durch die Gründung der britischen Anglo-Persian Oil Company 1908 den Zugriff auf Irans neuentdeckte Ressource: Erdöl.

Reza Schah Pahlavi (König von 1925-1941), der sich 1925 an die Macht geputscht hatte, bemühte sich Zeit seines Amtes, Iran in eine unabhängige und moderne Wirtschaftsmacht zu verwandeln. Die iranische Erdölförderung wurde hingegen erst unter seinem Sohn Mohammad Reza Schah (König von 1941-1979) verstaatlicht, was das britische Monopol über persisches Öl beendete. Dabei reformierte Mohammad Reza Schah Irans Wirtschaft mit der finanziellen und ideellen Unterstützung der USA und integrierte sie in das System des globalen Kapitalismus.

Diese Umwälzung iranischer Wirtschaft nach westlichem Vorbild war Teil der „weißen Revolution“ und zerstörte das bereits angeschlagene traditionelle Wirtschaftssystem vollends. Die vormalige Elite des Landes hatte bald keine Macht mehr: Großgrundbesitzer mussten ihr Land abgeben, der dezentrale Handel lokaler Güter durch die Händler des Bazars wurde stark eingeschränkt und die Abgaben der Oberschicht an die geistliche Elite blieben aus.[1]

Der Westen als Königsmacher

Um ihre wirtschaftlichen sowie geostrategischen Interessen am Persischen Golf zu sichern, griffen ausländische Regierungen immer wieder in der Rolle des Königsmachers in die politischen Geschehnisse Irans ein – zum Unmut der iranischen Bevölkerung.

Reza Schah pflegte eine gewisse Nähe zu Nazi-Deutschland und verwies immer wieder auf die vermeintliche gemeinsame Abstammung des deutschen und persischen Volkes. Großbritannien und die Sowjetunion begannen daher während des Zweiten Weltkriegs um ihre Stellung in Iran und die Zukunft der Ölquellen zu fürchten. Sie besetzten Iran im Jahr 1941und entmachteten Reza Schah. An seine Stelle trat sein Sohn Mohammad Reza Schah, der fortan die Geschicke des Landes lenkte – ganz im Sinne der britischen, und bald darauf auch der US-amerikanischen Regierung.

Sinnbild für die westliche Fremdbestimmung der iranischen Politik ist die kurze Amtszeit Mohammad Mossadeghs, die viele Iraner*innen als demokratischen Lichtblick ansehen. Der 1951 durch das Parlament gewählte, und so demokratisch legitimierte, Premierminister der „Nationalen Front“ genoss vor allem aufgrund seiner Kritik an ausländischer Einflussnahme große Beliebtheit. 1953 erwirkte er die Verstaatlichung der iranischen Ölförderung, woraufhin der britische Geheimdienst MI6 und die CIA ihn kurzerhand absetzten.

Ab Mitte der 1960er-Jahre emanzipierte sich Mohammad Reza Schah langsam von den USA und begann eine unabhängigere Außenpolitik. Er etablierte diplomatische Beziehungen sowohl zu blockfreien Staaten als auch zu Ost- und Westblock. Auf einer Reihe von Staatsbesuchen, beispielsweise 1974 in Australien, sowie bei Zeremonien im eigenen Land, präsentierte der Schah Iran zudem zunehmend mit Bezügen zum alt-persischen Reich. Er betonte dessen Rolle als große Zivilisation und Vorbild für die ganze Welt – eine Rolle, die er auch für die Zukunft seines Landes vorsah, um den Machtverlust der ehemaligen europäischen Kolonialmächte auszunutzen.[2]

Im Zuge des Kalten Krieges gewann Iran dann als geostrategischer Partner der USA an Bedeutung, um deren Einfluss am Persischen Golf gegen die Sowjetunion zu verteidigen. Derweil entwickelte sich die militärische Stärke Irans durch die steigenden Einnahmen aus der Erdölförderung. Die USA übertrugen der iranischen Führung Mohammad Reza Schahs unter dem Stichwort der Nixon-Doktrin daher zunehmend die Rolle des Wächters über den Persischen Golf und wendeten sich anderen Krisen wie etwa dem Vietnamkrieg zu.

Zwischen persischer Tradition und westlicher Moderne

Sowohl Reza Schah wie auch sein Sohn Mohammed Reza Schah bemühten sich, Iran nach westlichem Vorbild zu modernisieren. Dabei ignorierten sie jedoch den Widerspruch gegen die Reformen aus großen Teilen der Bevölkerung und unterbanden grundlegende Bürger*innenrechte. Während Reza Schah Bildungs- und Infrastrukturprojekte auf den Weg brachte und die Entschleierung der iranischen Frau anstrebte, initiierte Mohammad Reza Shah in den 60er-Jahren mit der „weißen Revolution“ eine umfangreiche gesellschaftliche Umwälzung.

Die von ihm eingeführten Reformen bestanden unter anderem aus der Abschaffung des Feudalsystems, der Privatisierung der Wirtschaft, der Einführung des Frauenwahlrechts und einer Stärkung von Arbeiter*innenrechten. Durch die Umstrukturierung der iranischen Wirtschaft wuchsen Arbeiterklasse und Mittelschicht. Möglichkeiten der politischen Einflussnahme hatte der zunehmend politisierte Mittelstand unter der autoritären Herrschaft des Schahs jedoch kaum. Regimekritiker*innen, insbesondere der intellektuellen Oberschicht wurden Mitte der 70er-Jahre mit zunehmender Härte vom Geheimdienst SAVAK in Iran, aber auch im Ausland verhaftet, gefoltert und ermordet.[3]

Zudem sah sich ein großer Teil der ländlichen Bevölkerung durch die Modernisierungsreformen ihrer Tradition und sozio-kulturellen Werte beraubt. So wurde beispielsweise die Politik der Entschleierung von vielen Frauen auf dem Land nicht als Befreiung empfunden, sondern schränkte ihre Bewegungsfreiheit massiv ein – sofern sie nicht bereit waren, ihre Wertvorstellung zu verwerfen.

An der Rolle der Frau entfachte sich indes auch der Kampf um die sozio-kulturelle Definitionsmacht zwischen dem säkular-westlich orientierten Schah und der geistlichen Elite in Qhom, welche ihre Rolle als führende moralische und juristische Instanz durch die Politik des Schahs untergraben sah. Zwar gab es bis zur Machtergreifung Khomeinis von Seiten der schiitischen Führung kaum Bestrebungen, Iran zu regieren, wohl aber den Anspruch, die iranische Gesellschaft nach islamischen Grundsätzen zu formen.

Gleichzeitig verknüpften Intellektuelle wie der Philosoph Dschalal Al-e Ahmad (†1969) und der Soziologe Ali Schariati (†1977)  unter dem Begriff der Gharbzadeghi („Westoxifizierung“) die „Rückbesinnung“ auf eine islamisch geprägte Werteordnung mit einer Kritik an der jahrzehntelangen westlichen Einflussnahme auf Irans Wirtschaft, Politik und Kultur sowie dem Kapitalismus.

Die 70er-Jahre Eine Zeit des Umbruchs

Diese inneriranischen Konflikte spiegelten eine Reihe von Umbrüchen in der globalen Politik der 1970er-Jahre wider, die das Weltgeschehen nachhaltig beeinflussen sollten: Mehr und mehr europäische Regierungen verschrieben sich einer neoliberalen Wirtschaftspolitik und prägten so den globalen Kapitalismus nachhaltig. Im Gegenzug organisierte sich vor allem in Großbritannien die Arbeiterklasse. Gleichzeitig regten sich weltweit Widerstände gegen autoritäre Herrschaftsverhältnisse, in kapitalistischen wie auch in kommunistischen Staaten.

Zudem formierte sich in Westasien und Nordafrika der politische Islam als Gegenentwurf zum arabischen Nationalismus. Dieser hatte die arabischen Unabhängigkeitsbewegungen Anfang des 20. Jahrhunderts ideologisch gestützt, anschließend aber auch zur Legitimierung säkularer Diktatoren gedient, weshalb er zunehmend in die Kritik islamischer Denker*innen geriet.

Ayatollah Khomeini schließlich schaffte es, eine Vielzahl dieser Kämpfe rhetorisch zu vereinen. Nachdem der schiitische Gelehrte bereits Anfang der 1960er-Jahre sein hohes Ansehen unter der geistlichen Elite genutzt hatte, um zu Revolten aufzurufen, hatte der Schah ihn ins irakische Exil geschickt. Dort widmete sich Khomeini dem politischen Islam und propagierte das Konzept der Velayat-e faqih. Dieses besagt, dass bis zur Rückkehr des 12. Imams der gelehrteste Geistliche die schiitische Gemeinschaft führen solle. Nach seiner Ausweisung aus dem Irak zog Khomeini 1978 nach Frankreich und rief von dort zum Sturz des Schahs und zur Beendigung westlicher Einflussnahme auf.

Mit dem Ruf nach einer „Rückkehr“ zu islamischen Werten mobilisierte Khomeini neben einem Teil der geistlichen Elite auch die von den Modernisierungsreformen abgehängte ländliche Bevölkerung, sowie die Armen in den Städten. Gleichzeitig übernahm er die Klassenkritik der Linken und forderte eine Entmachtung der „Reichen“ sowie die Umverteilung von Produktionsmitteln. Durch seinen Kampf gegen westliche Einflussnahme und die Forderung nach Meinungsfreiheit und politischer Teilhabe sicherte er sich zudem die Unterstützung der iranischen Intellektuellen.

Außerdem gewann Khomeini die Unterstützung eines Großteils der iranischen Frauen aus der unteren sozialen Schicht, indem er sie als gleichberechtigte Revolutionärinnen würdigte und ihnen so das Gefühle gab, das erste Mal in der Geschichte Irans maßgeblich Einfluss auf die Politik des Landes nehmen zu können.[4] Zwar konnten Frauen seit 1963 wählen, angesichts der autoritären Führung des Schahs hatte dies jedoch kaum Auswirkung auf die Politik des Landes. Zudem stammten jene Frauen, die zu Schah Zeiten in der Politik vertreten waren, ausschließlich aus der säkularen Elite des Landes und repräsentierten somit nicht die Interessen religiös - konservativer Frauen.

Auch über die Landesgrenzen hinaus waren einige linke Denker*innen aus Europa von Khomeinis Auftreten und Agenda tief beeindruckt. So reiste beispielsweise Michel Foucault Ende der 70er-Jahre zu Khomeinis Residenz nach Neauphle-le-Château bei Paris sowie nach Teheran, um über die revolutionären Ereignisse zu berichten. Begeistert von der iranischen Protestbewegung unter Ayatollah Khomeini schrieb Foucault unter anderem, dass Marx im Falle des schiitischen Islams falsch lag: Religion sei nicht zwangsläufig Opium für das Volk, sondern könne, wie Iran gerade beweise, auch ein Antrieb für den Klassenkampf sein.[5]

Eine gelungene, gescheiterte Revolution?

Vierzig Jahre später schauen viele Iraner*innen, die 1979 die Forderung der Revolution auf die Straßen Teherans trugen, resigniert auf das, was daraus geworden ist.[6] Die iranische Bevölkerung einte 1979 nicht etwa der Wunsch nach einer islamischen Republik, sondern ihr Ruf nach Unabhängigkeit, Freiheit von Unterdrückung und Fremdbestimmung im eigenen Land sowie nach sozialer Gerechtigkeit und Umverteilung von Reichtum im System globaler Machtstrukturen.

Iran stellt heute außenpolitisch tatsächlich eine Größe in der Region dar und greift selbst in die Geschicke anderer Länder ein – im Irak, Libanon und Jemen ebenso wie in Palästina und Syrien. Wer es wagt, an die alte Forderung nach Gerechtigkeit und Freiheit im eigenen Land zu erinnern wird jedoch schnell zum Schweigen gebracht. Jegliche Kritik an der islamischen Führung wird heute mindestens ebenso brutal niedergeschlagen wie zu Zeiten des Schahs. Dies zeigen insbesondere die Proteste im November, bei denen etwa 1500 Menschen getötet, und mehrere tausend verhaftet wurden. Auch die Idee der sozialen Gerechtigkeit scheint heute angesichts einer ebenso korrupten wie geschlossenen politischen Führungsriege in Iran fernab jeglicher Realität. Die aktuellen US-Sanktionen verschlimmern diesen Zustand zu Ungunsten der einfachen Bevölkerung nur noch.

Khomeinis Streben nach der Umsetzung eines politischen Islams war erfolgreich, gelungen ist somit der islamische Teil der Revolution. Gescheitert ist jedoch der Kampf der Iraner*innen für eine freie, gerechte Gesellschaft.

 

[1] Amineh, M. P. & Eisenstadt, S. N. (2016). Theorizing of the Iranian Revolution of 1978–1979: The Multiple Contexts of the Iranian Revolution. In Varieties of Multiple Modernities (pp. 149-176). Brill.

[2] Schayegh, C. (2010). “Seeing like a State”: An Essay on the Historiography of Modern Iran. International Journal of Middle East Studies, 42(1), 37-61.

[3] Schayegh, C. (2010). “Seeing like a State”: An Essay on the Historiography of Modern Iran. International Journal of Middle East Studies, 42(1), S. 34

[4] Sedghi, H. (2007). Women and politics in Iran: Veiling, unveiling, and reveiling. Cambridge University Press. S. 200

[5] Afary, J. & Anderson, K. B. (2010). Foucault and the Iranian revolution: Gender and the seductions of Islamism. University of Chicago Press.

Marlene studiert in Freiburg Liberal Arts and Sciences mit dem Schwerpunkt Governance und lebte in Palästina und Iran. Im Rahmen ihres Studiums setzt sie sich insbesondere mit kritischen Perspektiven auf Internationale Beziehungen, Migration und Menschenrechte auseinander.
Redigiert von Daniel Walter, Johannes Gunesch, Alicia Kleer