Wenn Rassismus bekannt wird, ist die Empörung oft groß. Doch die meisten Fälle bleiben für die Öffentlichkeit unsichtbar. Dabei ist Alltagsrassismus allgegenwärtig – auch im „Multikulti-Zentrum“ Berlin, schreibt Erkan Affan.
„Bitte keine Araber.“ Das war die knappe Antwort, die ein junger Ägypter Mitte Januar auf seine Praktikumsbewerbung in einem Berliner Architekturbüro erhielt. Die Büroleiterin von GKK Architektur und Städtebau hatte die E-Mail eigentlich intern verschicken wollen – aber sie landete im Postfach des Bewerbers, der die rassistische Absage auf Facebook öffentlich machte.
In den sozialen Medien verbreitete sich der Vorfall rasant und wurde auch von überregionalen Medien aufgegriffen. Sogar der Antidiskriminierungsbeauftragte der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, Dervis Hizarci, schaltete sich ein. Das Architekturbüro ruderte zurück, entschuldigte sich bei dem Bewerber für das „Missverständnis“ und lud ihn schließlich doch zu einem Bewerbungsgespräch ein.
Können der von Rassismus Betroffene und andere Menschen in ähnlichen Situationen das Medienecho und die darauffolgende Einladung als Sieg verbuchen? So fühlt es sich jedenfalls nicht an. Denn der Fall steht sinnbildlich für die Erfahrungen, die viele Menschen aus Westasien, Nordafrika und wohl fast jedem nicht-europäischen Land machen, wenn sie nach Berlin kommen. Anders als dieser Fall bleiben die meisten von ihnen für die Öffentlichkeit unsichtbar.
Zwischen Zurückweisung und Anfeindung
In der Tat fängt Diskriminierung bereits beim Namen an. Der Arbeitsplatz ist dabei nur einer von vielen Bereichen, an denen Nicht-Europäer*innen wegen ihres Namens Vorurteile ertragen müssen. Viele von uns verbringen Wochen, Monate oder sogar Jahre damit, von Zwischenmiete zu Zwischenmiete zu hüpfen. Wir tun das, während wir höfliche E-Mails an Vermieter*innen schreiben, nur um am Ende irgendwas zwischen passiver Zurückweisung und aktiver Anfeindung zu erfahren.
Als arabisch-türkische*r Bürger*in des Vereinigten Königreichs weiß ich das zu gut. Ich erinnere mich noch genau, wie ich 2018 als Student*in zum ersten Mal für ein paar Monate von London nach Berlin zog, um zu untersuchen, wie zugänglich verschiedene Räume und Plätze für (post-)migrantische LGBTIQA*-Menschen sind. Ich kam zunächst bei einem Freund in Friedrichshain unter und suchte auf Facebook, WG-Gesucht, Gumtree und eBay Kleinanzeigen verzweifelt nach einem Ort, den ich mein Eigen nennen konnte. Vergeblich.
Ich wendete mich an Freund*innen, die bereits mehrere Jahre in der Stadt verbracht hatten, und bat sie um Rat. Sie schlugen vor, meinen Namen in einen europäisch klingenden zu ändern, um mehr Antworten zu bekommen. Ich entschied mich für Alex – neutral und geläufig – und schrieb mitunter auch einige der Menschen an, die mir erst vor ein paar Tagen Absagen erteilt hatten. Was für einen riesigen Unterschied der andere Name machte, war verblüffend. Ich wusste nicht, ob ich angesichts dieser unverhohlenen Zurschaustellung von namensbasiertem Rassismus lachen oder weinen sollte.
Als ich im nächsten Morgen aufwachte, fand ich vier neue E-Mails in meinem Postfach. Auch wenn mir die Namensänderung im ersten Moment wie eine einfache, pragmatische Lösung erschien, begann ich mich dafür zu schämen, meine eigene Identität zu verstecken. Doch meine Not eine Unterkunft zu finden war größer als mein Stolz und so vereinbarte ich drei Treffen mit WGs.
Selbstverständlich birgt das Thema Wohnen in Berlin angesichts rasender Gentrifizierung eine besondere Komplexität. Dennoch ist es niemals gerechtfertigt, Menschen aufgrund ihrer Herkunft zu benachteiligen. Weiße[1] Menschen werden das bei ihrer Wohnungssuche nie selbst erfahren müssen. Doch was das Ganze sogar noch schlimmer machen kann, ist die naive, schockierte Art, wie sie mitunter auf diesen Alltagsrassismus reagieren.
Als ich einer weißen britischen Freundin, die bereits seit fünf Jahren in Berlin lebte, erzählte, wie naiv ich gewesen sei zu glauben, dass ich in Berlin in kürzester Zeit eine Wohnung finden würde, nickte sie verständnisvoll. Wir waren in allem einer Meinung, bis ich erwähnte, wie meine türkisch-arabische Herkunft (mit meinem offenkundig türkisch-klingendem Namen) bei meinen Wohnungsanfragen alles andere als hilfreich war. Sie entgegnete, dass Berlin den Ruf einer „Multikulti-Stadt“ wirklich verdiene und dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass ich wegen meines Namens und meiner Herkunft so wenige Antworten bekommen würde. Dieses Gespräch war das Ende unserer Freundschaft.
Mehr als Gewalt und Beleidigungen
Dass Vorfälle wie „Bitte keine Araber“ für Schock und Empörung sorgen, ist zu begrüßen. Dennoch widerspricht die Betroffenheit der schieren Häufigkeit, mit der solche Dinge in Berlin passieren. Rassismus ist nicht nur physische Gewalt auf der Straße oder Beleidigungen in Spätis oder Dönerläden. Rassismus ist strukturell. Er ist in alle Bereiche eingebettet – vom Arbeitsplatz, über den Wohnungsmarkt, bis hin zur Unterhaltungsindustrie, Reisen oder dem Nachtleben.
Es sind die hoch sexualisierten Nachrichten, die wir auf Dating-Apps erhalten. Es ist die Praxis des Blackfacings – wenn Menschen, ihr Gesicht braun oder schwarz schminken, um BPoCs[2] zu karikieren. Es ist der Orientalismus im Fernsehen, wo uns klischeehafte Bilder glauben lassen, dass wir im „Nahen Osten“[3] immer noch auf Kamelen herumreiten, anstatt Auto zu fahren. Es sind Türpolitiken, die BPoCs unverhältnismäßig genau kontrollieren, wenn sie einen Nachtclub betreten wollen. Es ist ein Spucken auf die Straße, das Bände spricht: „Wie kannst du es wagen, hier Platz einzunehmen, Ausländer*in?“
Sehr bald werden all die Artikel, die sich jüngst über GKK Architektur und Städtebau empörten, in den Tiefen des Internets verschwinden. Wenn es soweit ist, vergiss bitte nicht: Während sich einige von uns aufgrund angeborener Privilegien und Hautfarbe mit einem einfachen Namenswechsel in ihr Umfeld einfügen können (so wie ich das kann), werden viele andere weiterhin an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Sie werden auch zukünftig um Arbeit und Wohnraum kämpfen müssen, ganz so wie es der Empfänger von „Bitte keine Araber“ noch vor wenigen Wochen tat.
Übersetzung: Maximilian Ellebrecht
[1] weiß ist kursiv geschrieben, um die Konstruktion des Begriffes zu betonen. Gemeint ist damit keine bloße Hautfarbe, sondern die privilegierte Position, die innerhalb eines rassistischen Systems mit der Hautfarbe einhergeht.
[2] BPoC steht für Black and People of Colour und ist eine ermächtigende Selbstbezeichnung. Dass Black gesondert erwähnt wird, weist daraufhin, dass Schwarze Menschen auf eine gesonderte Art von Rassismus betroffen sind.
[3] Die Bezeichnung „Naher Osten“ vermittelt eine eurozentrische und orientalistische Sichtweise. Daher sprechen wir bei dis:orient lieber von „Westasien und Nordafrika“ (WANA).