24.11.2022
Fußballglück am Golf?
Fußball ist für das Emirat Katar seit langem eine wichtige Stütze seiner geopolitischen Ränkespiele. Grafik: Eva Hochreuther
Fußball ist für das Emirat Katar seit langem eine wichtige Stütze seiner geopolitischen Ränkespiele. Grafik: Eva Hochreuther

Katar nutzt seit längerem die Bühne des internationalen Fußballs für seine machtpolitischen Zwecke. Doch damit ist es am Golf nicht allein.  

Dieser Artikel ist Teil unseres Dossiers zur Fußballweltmeisterschaft der Männer in Katar. Im Dossier blicken wir auf die politischen und gesellschaftlichen Berührungspunkte zwischen WANA und dem Ballsport. Alle Artikel des Dossiers sind hier zu lesen.

Am 20. November dieses Jahres beginnt zum 23. Mal eine Fußballweltmeisterschaft der Männer. Gastgeber ist Katar. Ein kleines Emirat auf der arabischen Halbinsel, das im Süden an Saudi-Arabien grenzt. Knapp 2,9 Millionen Einwohner:innen bevölkern die Halbinsel im Persischen Golf, wobei nur circa zehn Prozent katarische Staatbürger:innen sind – den Rest der Bevölkerung stellen Arbeitsimmigrant:innen. In Katar regiert die Herrscherfamilie al-Thani in einem monarchischen System und bezieht ihre Einnahmen vor allem aus den natürlichen Rohstoffen des Landes, allen voran den Gasvorkommen.

Seit Bekanntgabe des Austragungsortes 2010 steht die WM-Vergabe an die Golfmonarchie heftig in der Kritik. Die Hitze, eine fehlende Fußball-Kultur, dringender Korruptionsverdacht, Gerichtsverfahren, fehlende Menschenrechte und desaströse Arbeitsbedingungen für die vielen Arbeitsmigrant:innen aus Asien und Afrika werden als Argumente gegen das Emirat ins Feld geführt. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock forderte daher das Turnier ganz abzusagen. Die Monarchie Katar und allen voran die Herrscherfamilie al-Thani arbeiteten trotzdem unbeirrbar daran weiter, die Weltmeisterschaft im eigenen Land stattfinden zu lassen. Denn die Austragung der WM 2022 ist kein spontaner PR-Streich, sondern Teil einer umfassenden Strategie, mit der sich das Emirat international positionieren möchte.

Katar und seine mächtigen Nachbarn

Seit Mitte der 1990er-Jahre versucht Katar aus dem Schatten seiner mächtigen Nachbarn Saudi-Arabien und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zu treten. Die al-Thanis bauten dabei von Anfang an auf die sogenannte Soft-Power[1] und gründeten 1996 den Nachrichtensender Al Jazeera. Er entwickelte sich bald zu einem der einflussreichsten Fernsehsender weltweit und Beobachter:innen sprechen ihm sogar einen großen Anteil am sogenannten Arabischen Frühling zu. Auch investierte der Staat intensiv in seine diplomatischen Beziehungen innerhalb wie außerhalb WANAs (Westasien und Nordafrika). So dürfen seit 2003 die Vereinigten Staaten von Amerika ihre regionale Kommandozentrale auf dem hochmodernen Luftwaffenstützpunkt al-Udaid aufbauen und stationieren dort rund hundert Kampfflugzeuge. Auf regionaler Ebene versucht Katar zu verschiedenen Ländern gleichermaßen gute Beziehungen zu etablieren und als neutraler Vermittler aufzutreten. Das Emirat unterhält beispielsweise offiziell Kontakt mit Iran, dem Erzfeind seines Nachbarn Saudi-Arabiens. Auch übernahm es eine zentrale Schnittstellenfunktion beim chaotischen Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan. Sowohl für westliche Staaten als auch für die Taliban entwickelte sich die katarische Regierung zu einem der wichtigsten Ansprechpartner.

Lange Zeit orientierte sich die katarische Außenpolitik stark an den Leitlinien Saudi-Arabiens, zum Beispiel, wenn es darum ging den schiitischen Einfluss in der Region zu bekämpfen. Als Katar aber anfing diplomatische Beziehungen zu Iran aufzubauen, bröckelte die Allianz gegen den schiitischen Konkurrenten. Sein zunehmend eigenständiges Agieren in außenpolitischen Fragen war den Nachbarstaaten Saudi-Arabien und den VAE ein Dorn im Auge. Denn das Land setzt seit den Revolten von 2011 zunehmend auf den Erfolg islamistischer Bewegungen – allen voran auf den der Muslimbrüder. Abu Dhabi und Riad betrachten die Islamisten als existenzielle Bedrohung ihrer Herrschaft und wollten Katars eigenständigen Interventionen nicht länger tatenlos zusehen.

Anlass dafür gab ihnen die Wahl der Muslimbrüder in Ägypten 2012. Zuerst schien es, als hätte Katar auf das richtige Pferd gesetzt. Doch unterstützen die Emiratis und Saudis erfolgreich eine Konterrevolution und brachten mit Abd al-Fattah al-Sisi 2014 ihren Mann an die Macht. Das war der Auftakt für eine Reihe von Auseinandersetzungen zwischen den konkurrierenden Golfstaaten und so standen die drei im Syrien- und Libyen-Konflikt auf unterschiedlichen Seiten. Schließlich verhängten Saudi-Arabien und die VAE über Katar 2017 eine vierjährige Blockade zu Land, zur See und zur Luft. In die Knie zwingen konnten sie das kleine Emirat nicht. Unter enormen Kosten und mit einer gewaltigen Kraftanstrengung gelang es der Herrscherfamilie al-Thani der Blockade zu trotzen und in dieser Zeit die diplomatischen Beziehungen zur Türkei und Iran auszubauen.

Katar und der Fußball

Doch wie kommt der Fußball ins Spiel? Sowohl Katar als auch die VAE haben den Sport als Bühne ausgemacht, auf der sie sich und ihre Interessen in einem anderen Kontext präsentieren können. Bereits seit 2002 sponsort Emirates, die Fluggesellschaft des Emirats Dubai, den asiatischen Fußballverband Asian Football Confederation, sowie seit 2006 die europäischen Fußballvereine Arsenal London und Hamburger SV. Im Jahr darauf schloss Emirates einen Sponsoring-Vertrag mit dem italienischen Erstligisten AC Milan und Etihad Airways, die Fluggesellschaft der VAE, mit dem englischen Verein FC Chelsea.

Aber erst 2008 nahm das sportliche Engagement der drei Golfländer richtig Fahrt auf. Abu Dhabi ging den wegweisenden Schritt und übernahm als erster Golfstaat mit Manchester City einen ganzen Fußballclub. 2011 folgte Katar dem Beispiel seines Konkurrenten und übernahm Paris Saint Germain. Seitdem soll Katar mehr als eine Milliarde in den Pariser Club investiert haben. Zehn Jahre später stieg Saudi-Arabien ins europäische Fußballgeschäft ein und kaufte Newcastle United. Als Austragungsort für große Sportereignisse hat sich Katar ebenfalls etabliert. Bereits vor der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft richtete es die Asienspiele und die Handball-WM der Männer aus und gilt mit seiner hochmodernen Infrastruktur als beliebter Standort für Trainingslager ebenso wie die VAE.

Mit der Austragung der 23. FIFA-WM der Männer landete Katar den großen Coup. Die VAE und auch Saudi-Arabien versuchten daraufhin, Katar mit gezielten Image-Kampagnen und trickreicher Lobby-Arbeit innerhalb der FIFA die Austragung des Turniers streitig zu machen.

Korruption, FIFA und die WM-Vergabe 2022

Mit mindestens ebenso unsportlichen Mitteln, wie die seiner Gegner, das Turnier in Katar scheitern zu lassen, dürfte die Golfmonarchie die diesjährige Weltmeisterschaft erst ins eigene Land geholt haben. Augenscheinlich hat das Land versucht die FIFA gefügig zu machen, indem es ihr astronomisch hohe Summen für Sponsoren-Deals und TV-Rechte bezahlt hat. Insgesamt fast eine Milliarde Dollar soll Al Jazeera der FIFA im Vorfeld der WM-Vergabe für Übertragungsrechte angeboten haben – schätzungsweise das Fünffache des tatsächlichen Marktwertes. Kein Wunder, dass die US-amerikanische Justiz derzeit versucht stichfest zu beweisen und aufzuarbeiten, dass bei der WM-Vergabe an Katar Korruption im Spiel war. In der Anklage geht es unter anderem um drei südamerikanische FIFA-Funktionäre, die Bestechungsgelder angenommen haben sollen. In Frankreich und der Schweiz laufen ähnliche Verfahren.

Zahlt sich der Fußball für Katar aus?

Aber lohnen sich diese enormen Investitionen in den Fußball für Katar? Der Herrscherfamilie al-Thani dürfte wohl bewusst sein, dass der Reichtum Katars auf wackeligen Beinen steht. Denn der ist vor allem den endlichen Rohstoffressourcen geschuldet. Deshalb arbeitet der Golfstaat intensiv daran, sein Image aufzubessern und seine diplomatischen Beziehungen sowohl zum Westen als auch zu anderen Akteuren in der Region auszubauen. Der Fußball bietet die Möglichkeit, das gleich auf verschiedenen Ebenen zu tun. Zum Beispiel kann man sich während einer Weltmeisterschaft als attraktiver Standort für Investor:innen präsentieren oder während eines Fußballspiels Beziehungen der ganz persönlichen Art in der VIP-Loge aufbauen.

Gleichzeitig hat die Aufmerksamkeit durch die Fußball-WM den Fokus auf Themen gelenkt, die der katarische Staat derart ausgeleuchtet nicht gerne sieht. Die Kritik an fehlenden Menschenrechten und der allgegenwärtigen Diskriminierung von LGBTIQ+-Personen reißt nicht ab. Genau wie die erbitterten Diskussionen darüber, wie viele Arbeitsmigrant:innen beim Bau von Stadien ihr Leben gelassen haben. Und auch die Rolle der katarischen Golfmonarchie in den diplomatischen Ränkespielen der Region wird nun kritisch unter die Lupe genommen. Befürworter:innen des Turniers, wie der Ehrenpräsident des FC Bayern Münchens Uli Hoeneß, halten dem entgegen, dass gerade die Aufmerksamkeit für die Probleme den notwendigen Wandel bringe. Darin sehen Kritiker:innen allerdings den Versuch eines autoritären Staates, sein Image mithilfe von Sport reinzuwaschen.

Abzuwarten bleibt, ob sich Katar mit der WM verzockt hat oder ob es ihm gelingt, das Turnier zu nutzen, um sich auf internationaler Ebene langfristig zu etablieren. Das weitaus spannendere Ergebnis der WM dürfte am Ende daher weniger sein, welche Mannschaft den goldenen Pokal dieses Mal in die Höhe streckt, als vielmehr, welche Rolle der (Fußball-)Sport zukünftig in der Politik einnehmen wird.

 

 


[1] Dieser seit Beginn der 1990er Jahre populäre Begriff beschreibt im Gegensatz zu militärischen Mitteln und ökonomischer Stärke nichtmaterielle Machtressourcen.

 

Marlon ist studierter Politikwissenschaftler, arbeitet als freier Journalist und in der politischen Bildungsarbeit. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit den Interdependenzen zwischen Europa und WANA.
Redigiert von Maximilian Menges, Eva Hochreuther