Wir haben einen neuen Namen, und das haben wir gefeiert: Mit Satire von Karl reMarks, einer Diskussion zur Zukunft des Journalismus – und mit jeder Menge guter Musik.
Wenn zwei Vereine einer werden, dann kann man auch drei Veranstaltungen in eine packen. So ähnlich verlief wohl der Gedankengang unserer dis:orient-Planer*innen, als die Frage im Raum stand, wie wir unseren neuen Verein öffentlich launchen könnten.
Denn am vergangenen Samstagabend fand in Berlin-Kreuzberg nicht nur eine Podiumsdiskussion statt, sondern auch noch ein Vortrag und eine Party. Rund 150 Menschen kamen trotz sommerlicher Hitze ins aquarium und später ins benachbarte Café Südblock am Kottbusser Tor, um mit uns die Fusion[1] von Alsharq e.V. und Liqa e.V. zu dis:orient zu feiern.
„Es braucht einfach mehr dis:orient!“ Für Jaafar Abdul Karim war die Antwort auf die Frage klar, in welche Richtung sich Berichterstattung aus und über Westasien und Nordafrika (WANA) entwickeln sollte. Der Deutsche-Welle-Moderator, bekannt aus der Sendung „Shababtalk“, diskutierte gemeinsam mit seinen Kolleginnen Lea Frehse (ZEIT-Korrespondentin in Beirut) und Charlotte Wiedemann (freie Journalistin, u.a. NZZ und ZEIT, sowie Buchautorin) zur Frage: „Wer schreibt was für wen und wie?“ über die deutschsprachige Berichterstattung zu WANA.
Was Abdul-Karim damit meinte: Es brauche mehr Journalist*innen, „die sich auskennen“, die sich vor Ort bewegen können und vernetzt sind und die kritisch auf die Vorgänge in WANA blicken. Außerdem war ihm wichtig: „Social Media wird immer noch viel zu wenig eingesetzt in deutschen Redaktionen.“
WANA statt MENA? „Zu wenig radikal“
Gerade zu Iran „kennen sich nicht so viele aus“, sagte Charlotte Wiedemann. Das werde beispielsweise daran deutlich, wie Europa derzeit hierzulande im Vordergrund der Berichterstattung zum Atomdeal stehe, „obwohl die EU eigentlich nichts tut. Und keiner berichtet über Russland und China, die ebenfalls Teil dieses Abkommens sind.“
Wiedemann, die sich beispielsweise in ihrem Buch „Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben“ (2012) kritisch mit ihrer eigenen Rolle als Berichterstatterin auseinandersetzt, sagte aber auch: „Es ist nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss, statt MENA (Middle East and Northern Africa) nur noch WANA zu sagen.“ Denn dadurch trenne man Nordafrika vom Rest des Kontinents, eine Sonderbehandlung, die noch auf die Kolonialzeit zurückgehe. Auch dis:orient, wo die Bezeichnung „WANA“ seit einiger Zeit geläufig ist, sei ihr in dieser Hinsicht daher „zu wenig radikal“.
Lea Frehse sagte, es gebe in Deutschland „zu viele Experten, die wenig mit Menschen vor Ort reden, sondern sich hauptsächlich in bestimmten politischen Kreisen bewegen“. Entsprechend konzentriere sich die Berichterstattung zu WANA in Deutschland vor allem auf Präsidenten-Gipfel und Sicherheitsaspekte.
„Es gab vor ein paar Jahren mal eine kurze Zeit, da hat man sich wirklich für die Vorgänge und Menschen vor Ort interessiert. Aber das ist wieder zurückgegangen“, sagte die frühere Vorstandsvorsitzende von Alsharq e.V. Und Abdul Karim appellierte zum Ende der Diskussion: „Wir sollten mehr zuhören und nicht schon mit einer vorgefertigten Meinung überhaupt erst anfangen zu recherchieren.“
Thank YOU @disorient_do for the invitation and GOOD luck! Enjoyed the discussion with @chawichawi @leafrehse, Christoph D.
And BIG thank you for the amazing audience ????! #dolunch pic.twitter.com/OjKlHUJtTM
— Jaafar Abdul Karim (@jaafarAbdulKari) June 29, 2019
Von Robert Fisk bis zum Libanon als Brettspiel – man kann über alles lachen
Dieser von Abdul Karim angesprochene Prototyp des westlichen Journalisten[2], der in wenigen Sätzen meint, ganz Westasien erklären zu können, ist eins der liebsten Spott-Objekte des britisch-libanesischen Satirikers Karl Sharro, besser bekannt als Karl reMarks. In seinem launigen Vortrag nahm er nicht nur Journalisten im Allgemeinen und den Briten Robert Fisk im Besonderen aufs Korn, er gab auch Einblicke in seine Arbeit als Spieleentwickler, machte Vorschläge zur Neuordnung Europas und erklärte den Zusammenhang zwischen der Qualität des Essens in einem Land und der Qualität der Regierung.
'Lebanese Politics: The Board Game' is becoming more relevant, so I'm sharing again: pic.twitter.com/s3mixVTYGE
— Karl Sharro (@KarlreMarks) January 24, 2014
An update to the new Europe map for a more authentic effect. pic.twitter.com/O2uIi1v06E
— Karl Sharro (@KarlreMarks) April 29, 2017
'The better the food the worse the government and vice versa' chart, in collaboration with @RyanJSuto @SumitaPahwa pic.twitter.com/Jfc6H8l3H5
— Karl Sharro (@KarlreMarks) July 29, 2016
All diese Späße hatte Sharro zuvor auf seinem Twitter-Account oder seinem Blog[3] veröffentlicht, manche davon zusätzlich in seinem Buch „And then God created the Middle East and said: Let there be Breaking News!“. „Ich bin nicht der erste aus dem Nahen Osten, der ein Buch über Gott schreibt“, sagte Sharro. „Aber meins wird wohl nicht so heftige Folgen haben.“
Thank you Berlin and @disorient_do for a wonderful night and a great audience pic.twitter.com/3hxtphuumY
— Karl Sharro (@KarlreMarks) June 30, 2019
Nach eineinhalb Stunden guter Laune war der Vortrag zu Ende, aber der Abend noch lange nicht vorbei: Zur Musik von Xanax Attax knüpften die Gäste Bekanntschaften oder frischten sie auf, kauften Bücher, und auch die ein oder andere dis:orient-Fördermitgliedschaft soll an jenem Abend abgeschlossen worden sein - übrigens: Wer das verpasst hat oder nicht da war, kann das gerne hier nachholen…
Und dann ging die Party erst los! Im Café Südblock legte das queer-feministische DJ-Kollektiv Hoe_mies auf, und es wurde getanzt und gefeiert bis in die frühen Morgenstunden.
A wonderful evening comes to an end. Thanks to everybody who was there to discuss, meet and celebrate! #dolaunch pic.twitter.com/Mmhsd9IrlK
— dis:orient (@disorient_do) June 30, 2019
Wir bedanken uns sehr herzlich
- fürs Vorbeikommen bei allen, die da waren!
- für die einmal mehr sehr tolle Gastfreundschaft beim Südblock-/aquarium-Team
- für die Inputs bei Charlotte Wiedemann, Jaafar Abdul Karim, Karl reMarks, Lea Frehse und Christoph Dinkelaker
- bei der RosaLuxemburg-Stiftung, die den Besuch von Karl überhaupt erst finanziell ermöglicht hat
- für die Musik bei den Hoe_mies sowie Xanax Attax
- bei allen, die bei unserer betterplaceKampagne gespendet und so die Musik für den Abend finanziert haben
- für die kulinarische Unterstützung bei Quartiermeister
- fürs Anpacken bei sehr vielen Menschen, ob mit oder ohne dis:orientMitgliedschaft
- zu guter Letzt bei allen unseren Fördermitgliedern und Spender*innen, ohne die es uns und solche schönen Abende überhaupt nicht gäbe. Denn wir machen das nach wie vor alles fast ausschließlich ehrenamtlich!
[1] Nicht zu verwechseln mit dem zeitgleich in Mecklenburg-Vorpommern stattfindenden Festival. Man erkennt den Unterschied daran, dass bei uns die bessere Musik lief.
[2] Hier wurde bewusst aufs Gendern verzichtet. Zitat Karl reMarks: „I don’t think I have to explain why the journalist is male”.
[3] Übrigens: Seit 2017 ist auf Karl Remarks‘ Blog kein neuer Text mehr erschienen. Sharro ließ aber durchblicken, er würde wieder anfangen, sollten die Leser*innenzahlen wieder steigen. Also, bitte: www.karlremarks.com