Der deutsche „Marshallplan mit Afrika” ist ein zynisches Papier, das Afrikaner*innen nur als potentielle Flüchtende oder Arbeitnehmer*innen sieht. Wirkliche Hilfe müsste anders aussehen, findet Kofi Shakur.
Dieser Satz, der Youssou N’Dour zugeschrieben wird, ist mittlerweile auch für Deutschland zur Wahrheit geworden. Allerdings sicherlich mit einer anderen Bedeutung, als der senegalesische Musiker im Kopf gehabt haben dürfte. Und sicherlich auch anders, als es im Interesse der Afrikaner*innen wäre. Korrekt müsste es heißen: „Die afrikanischen Märkte sind die Zukunft für die deutsche Wirtschaft.“
Um dieser Zukunft den Weg zu bereiten, hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter Gerd Müller (CSU) einen Marshallplan mit Afrika ausgearbeitet – nicht für sondern mit. Die Gleichberechtigung ist bereits fühlbar. Der Plan soll eine neue Partnerschaft zwischen europäischen und afrikanischen Staaten einläuten, in der es nur noch Gleichberechtigte gibt.
Konkret heißt es dazu: „Die Eigenverantwortung der afrikanischen Staaten muss gestärkt, die Zeit der ‚Entwicklungshilfe‘ und die Zeit von ‚Geber und Nehmer‘ abgelöst werden. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten stehen hierfür als gleichberechtigte Partner zur Verfügung. Es bedarf einer neuen Vereinbarung für eine politische, soziale und kulturelle Kooperation.“
Nur: Auf dem Papier kann es natürlich alle Gleichheit der Welt geben, in der Realität entscheidet allerdings die wirtschaftliche Überlegenheit, wer welche Entwicklung in wessen Interesse einschlägt. Schließlich wurde der Plan vom deutschen Ministerium erarbeitet – den afrikanischen Staaten bleibt nur noch das Mitmachen überlassen.
Die postkolonialen Regime vieler afrikanischer Staaten sind abhängig und betreiben schon jetzt Politik im Interesse des Westens
Es wäre falsch zu fordern, dass die afrikanischen Staaten stärker in solche Pläne einbezogen werden sollen. Denn die Herrschenden der postkolonialen Regime betreiben schon längst eine Politik im Interesse des Westens. Die postkoloniale Ökonomie besteht zu großen Teilen noch immer aus der Produktion für den Export. Nennenswert sind Erdöl, wie in Kamerun und Ghana, oder Mineralöl wie in Mali, aber natürlich auch andere Erzeugnisse aus Bergbau und Landwirtschaft.
An diesen Geldern können sich die nicht ganz demokratisch gewählten Staatsoberhäupter bereichern und ihren Lebensstil finanzieren. So der kamerunische Präsident Paul Biya, der seine Regierungsgeschäfte gerne aus Hotels in Frankreich und der Schweiz führt. Der Schriftsteller Péguy Takou Ndie bemerkte über diese exklusiven Vorlieben:
„All dies scheint die Aussagen des amerikanischen Forbes Journal zu bestätigen, wonach der Aufenthalt von Paul Biya im Ausland teurer sei als der des US-Präsidenten. Ein Mensch, der so viel Vorliebe für Luxus hat, kann nichts als ein eifriger Plünderer öffentlicher Gelder sein oder schlicht eine Person, die ihre hohen Ämter und die Erdöleinnahmen auszunutzen weiß, um in verschiedene Geschäftsfelder zu investieren, unter anderem in Immobilien.“
Aus einer Suite in Genf sieht das Leid des eigenen Volkes schon ganz anders aus
Für die zusätzlichen Gelder der Entwicklungshilfe sind einige sogar bereit, abgeschobene Geflüchtete aus anderen Ländern aufzunehmen. Und schließlich würde jeder konsequente soziale Protest gegen die Folgen einer solchen Zusammenarbeit die eigenen meist fragilen Machtgrundlagen infrage stellen.
Auch die Verantwortung an der Versklavung und kolonialen Ausbeutung sowie deren Kontinuität im Interesse der westlichen Wirtschaftsmächte wird auf dem Papier zum Teil anerkannt. So heißt es, das „Sklavenzeitalter ist einer der prägenden Tiefpunkte zwischen der westlichen Welt und Afrika. Und auch heute gründet der Wohlstand der Industrieländer teilweise auf der ungeregelten Ausbeutung von Menschen und Ressourcen des afrikanischen Kontinents. Aus dieser Geschichte zu lernen heißt heute, Verantwortung für eine gemeinsame Zukunft zu übernehmen.“
Daraus folgt allerdings nichts, was auf ein wirkliches Verständnis dieser Geschichte samt Ableitung konkreter Folgen für die Politik schließen lassen könnte. Ganz im Gegenteil: gerade vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte liest sich der Marshallplan wie ein Manifest des deutschen Zynismus. Kurzfassung: Afrika braucht Jobs, damit die Menschen endlich nicht mehr auf die Idee kommen, nach Europa zu flüchten.
Profitieren sollen vor allem deutsche Unternehmen
Das bedeutet, ganz im Sinne kapitalistischer Propaganda, vor allem den Ausbau der Privatwirtschaft, da diese alleine im Stande sei, die so dringend benötigten Arbeitsplätze zu schaffen, an denen es bisher fehlt. Hinzu kommt, dass der afrikanische Markt bisher einen verschwindend geringen Anteil des deutschen Außenhandels ausmacht. Es gibt also noch deutlich Potential, sowohl im Bereich des Handels als auch der Direktinvestitionen.
Wenn wirklich Jobs geschaffen werden, dann sollen es deutsche Unternehmen sein, die vom Bau der Produktionsstätten bis zu dem Mehrwert der Lohnabhängigen alle Gewinne einstreichen. Die sich auch in Zukunft noch vergrößernde Bevölkerung wird dabei entweder als potentiell Flüchtende oder als potentielle Arbeitskräfte in Betracht gezogen.
Aus diesem Grund behandelt der Marshallplan neben den Chancen für deutsche Unternehmen (Verfügbarkeit von Ressourcen und Investitionsmöglichkeiten) vor allem die Schaffung passender Rahmenbedingungen für ihr Gedeihen. Etwa die Bekämpfung der Korruption als Voraussetzung, dass sich europäische Unternehmen überhaupt zu investieren trauen. Immerhin gehen so pro Jahr 148 Milliarden Dollar verloren, die auf deutsche statt auf andere Auslandskonten gehen könnten. Oder sie könnten weder die Taschen von Präsidenten noch von europäischen Großkonzernen füllen und stattdessen für notwendige Infrastrukturprojekte eingesetzt werden, deren Nutzen der Allgemeinheit zugutekäme – eine in der freien Marktwirtschaft utopische Vorstellung.
Darüber hinaus braucht es für eine florierende Wirtschaft natürlich auch Sicherheit, also stabile Staaten – schließlich kann es doch nicht sein, dass die Märkte immer wieder von Aufständen und bewaffneten Gruppen verunsichert werden, oder gar separatistische Bewegungen gegen die Ungleichbehandlung protestieren und die staatliche Souveränität infrage stellen.
Allerdings ist es genau umgekehrt: Da der freie Markt die Armut nicht abschafft, sondern sie bedingt und kultiviert, kann es mit diesen Mitteln keinen Ausgang aus der Spirale der Gewalt geben. Vor allem die Landwirtschaft treibende Bevölkerung ist schon jetzt gefangen in der Abhängigkeit von westlichen Saatgutunternehmen und muss sich gegen steigende Getreidepreise aufgrund von Spekulationen und Billig-Importen aus Europa verteidigen.
Wer braucht hier wen?
Doch der deutsche Marshallplan ist nicht das einzige Strategiepapier dieser Art. So geht der von den Finanzministern der G20-Ländern entwickelte Compact with Africa in die gleiche Richtung: ein neoliberaler Schlachtplan, um Märkte und Menschen für private Investitionen und Profite nutzbar zu machen.
Dabei brauchte zu keiner Zeit Afrika Entwicklungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit, geschweige denn Privatwirtschaft und europäische Investitionen. Vielmehr brauchen die europäischen Staaten eine Entwicklung Afrikas, bei der sie eine Rolle spielen und von der sie profitieren können. Eine Entwicklung im Sinne afrikanischer Interessen, wie sie etwa von Patrice Lumumba im Kongo mit der Verstaatlichung der wichtigsten Industrien angestrebt wurde, oder wie sie Thomas Sankara in Burkina Faso begann, wäre für deutsche und europäische Wirtschaftsinteressen schlicht ohne Nutzen.
Dabei sind die Errungenschaften der kurzen Regierungszeit Sankaras (1983-87) noch heute ein Beispiel und dienten dem Kompradorenregime seines Nachfolgers Blaise Compaoré jahrelang zur Profilierung. Darunter fallen Maßnahmen wie das Verbot der weiblichen Genitalverstümmelung, eine Kampagne zur Wiederaufforstung um die Desertifikation aufzuhalten, Alphabetisierung, Impfung von Kindern.
Darüber hinaus wollte Sankara Burkina Faso von jeder Art der Entwicklungshilfe unabhängig machen und den Importen aus Europa afrikanische Produkte entgegensetzen, außerdem lehnte er es ab, dass die afrikanischen Staaten Schulden zahlen sollen, die nur durch die Folgen des Kolonialismus entstanden waren.
Ein Marshallplan, der wirkliche Hilfe für Afrika bietet, müsste ein solches Programm unterstützen.