Das Kulturfestival "Wundern über tanawo'" zur iranischen Gegenwartskunst ist in vollem Gange. Corinna Sahl ist dabei und berichtet für Alsharq von ihren Eindrücken - und was sie selbst und andere zum Wundern bewegt.
Seit Donnerstag bin ich auf dem Festival „Wundern über tanawo’“ unterwegs, um einen Eindruck über die zeitgenössische Arbeit von Kunstschaffenden aus Iran und Exil-Iraner_innen in Deutschland und Europa zu bekommen.
Zu Beginn hatte ich Vorbehalte gegenüber dem Festivaltitel. Das Wort „wundern“ erschien mir etwas abgedroschen. Das kann daran liegen, dass ich mich ständig wundere – allerdings nicht über positive Dinge, sondern über solche, die schief laufen. Lange habe ich das Wort „wundern“ nicht in Verbindung mit einem positiven Erlebnis verwendet. Wundern ist in heutigen Zeiten nicht gerade ein cooler Begriff. Es gibt ständig zu irgendeinem Thema neue Informationen, aber wer gibt die Verwunderung darüber schon zu? Wer will sich überhaupt noch wundern?
Für das Festival habe ich mir jedoch vorgenommen, mich von meiner negativen Einstellung zum Wundern zu lösen und mich stattdessen auf das einzulassen, was mich zum Wundern bewegt. Laut der Festivalmacher ist das die Vielfalt eines Landes, dessen Gesellschaften sich zwar im ständigen Wandel befinden, welches jedoch weiterhin von einer einseitigen westlichen medialen Perspektive dominiert wird.
In den letzten Tagen habe ich mehrmals die Google Suche betätigt, um herauszufinden, ob mich auch in Bezug auf diese mediale Perspektive etwas wundern könnte. Fehlanzeige. Die Berichte von bekannten Nachrichtenagenturen postulieren wiederholt die Wörter: Sanktionen, Atom-Deal und Unruhen. Es ist ziemlich schwer, sich dieser Warnworte zu entziehen und gegen das Bild, welches sie im Kopf erstellen, anzukämpfen. So entstehen wahrscheinlich die meisten Vorurteile. Ich war selbst in Iran und setze mich mit dessen Kunst und Kultur auseinander. Aber die Worte bleiben haften und durch ihre stetige Wiederholung in den Schlagzeilen formen sie Bilder in meinem Kopf.
Die Macher des Festivals, vornehmlich Iranist_innen und Islamwissenschaftler_innen, sind sich dieser Bilder sehr bewusst. Diesen Bildern neue Bilder entgegenzusetzen und bestehende Denkstrukturen aufzubrechen, ist ein wichtiges Anliegen des Festivals. Und Hamburg ist dafür auch ein besonders geeigneter Ort: Hier treffen globale Einflüsse aufeinander und hier leben mit die größten iranischen und afghanischen Communities in Europa.
Um eine Vielfalt an neuen Bildern zu gewährleisten, setzt sich das Festival in verschiedenen Formaten (Performances, Gruppenausstellung, Musik, Vorträge, Diskussionen) mit den Themen „Frauenbilder / Kontinuitäten / Wandel“, „Sprache / Gesellschaft / Identität“ und „Leben / Kunst / Exil“ auseinander. Und tatsächlich bin ich in den letzten Tagen den Worten „wundern“ und „Vielfalt“ in Gesprächen mit Besucher_innen und KünstlerInnen des Festivals wiederholt begegnet – und habe sie selbst verwendet.
Konzert: Arshid Azarine Trio und Makan Ashgvari
Zuerst am Donnerstag, beim Auftakt des Festivals im kleinen Saal der Elbphilharmonie. Ein Jazz-Konzert des Arshid Azarine Trios zusammen mit dem Sänger Makan Ashgvari. Auf dem Weg zum Konzert vom Wind fast in die Alster geweht und dazu auch noch zu spät, stolpere ich als letzte in den dunklen Saal, der dem Festivalauftakt gleich einen besonderen, festlichen Touch verleiht.
Das Jazz-Trio, bestehend aus dem in Paris lebenden Pianisten Arshid Azarine, dem Perkussionisten Habib Meftah Boushehri (er spielt Dammam, ein klassisches Instrument aus Südiran) und Herve de Ratuld, Bassist und Kontrabassist, ist ganz in schwarz gekleidet. Das ist gut, denn die melodischen und mystischen Klanglandschaften des Trios sind so faszinierend, dass man sich jeglicher Sinnesablenkung entziehen möchte, um sich ganz auf die Fusion von Jazzakkorden und persischen Harmonien einzulassen.
Den Zuschauenden fällt es schwer stillzusitzen. Insbesondere, da die Musiker sich ganz eins sind in ihrem Spiel und in den Emotionen, die sie dabei zum Ausdruck bringen. Ihre Einheit mit den Stücken, die sie spielen, wirkt sich auf den gesamten Saal aus. Er scheint beflügelt und zugleich euphorisiert zu sein. Da ist dann also mein erster Moment des Wunders. Denn natürlich lockt das Konzert in der Elbphilharmonie zum Großteil ein grauhaariges Publikum an, das sich besonders durch sein Nichtbewegen – außer Lutschbonbons aus dem Knisterpapier rollen und aus dem Augenwinkel auf die Nebensitzenden spähen – auszeichnet. Doch spätestens ab dem Moment, da Azarine das Publikum zum Mitschnipsen ermutigt, wird klar, wie viele iranische Zuschauer_innen hier in den Reihen sitzen und wie viel Energie und Lebensfreude aus dem Publikum zurück auf die Bühne transportiert wird.
Mit dem erhabenen Gefühl, gerade auf einer Reise gewesen zu sein, endet das Konzert. Mein Sitznachbar, ein älterer Herr mit Siegelring, und seine Frau erzählen mir, welche Lebensfreude die Musik in ihnen hervorgerufen hat. Und auch im Empfangssaal hört man wiederholt Ausrufe wie „Die Musik hat mir aus der Seele gesprochen!“.
Gruppenausstellung: „Innen/Außen:Ansichten“
Zeitgleich mit dem Konzert findet am Donnerstagabend in der Affenfaust Galerie auf St. Pauli die Vernissage der Gruppenausstellung mit dem Titel „Innen/Außen:Ansichten“ statt. Hier werden vom 15. bis 24. März die Werke junger Künstler_innen aus Iran, Afghanistan und Europa gezeigt. Die Gruppenausstellung zeigt Kunst der Gegenwart. Was dieser Begriff für die teilnehmenden (Exil)-Künstler_innen bedeutet, haben wir bereits in vorhergehenden Artikeln beleuchtet. Thematisch findet sich bei den Künstler_innen der Blick auf verschiedene Realitäten. Es werden Tradition oder Zukunft, individuelle oder kollektive Erinnerungen beleuchtet.
Anahita Asadifar, die in Wien angewandte Fotografie und zeitbasierte Medien studiert, rekonstruiert in ihren konzeptuellen Kunstinstallationen Identitäten sowie soziale Interaktionen und stellt diese gesellschaftlichen Normen gegenüber. Für ihr Werk „Geometrical Bubble“ (2018) hat sie sich mit der Frage: ‚Was bedeutet der Blick der Anderen für die Wahrnehmung des Selbst?‘ auseinandergesetzt. Auf den kleinen Bildern, die an Schnüren von der Decke hängen und durch die man sich bewegen kann, erkennt man die Künstlerin wieder, welche sich mit einem übergroßen dreidimensionalen Abbild ihres Kopfes durch den Alltag bewegt.
Vortrag: „Filmkulturen und Frauenfiguren in Iran“
Am Freitag begebe ich mich am Abend zum Kampnagel Theater. Hier beginnt um 19 Uhr der Vortrag der iranischen Theaterwissenschaftlerin und Schauspielerin Maryam Palizban zum Thema „Filmkulturen und Frauenfiguren in Iran“. Palizban geht darin auf die Entwicklung und gesellschaftliche Rezeption des iranischen Kinos vor und nach der Islamischen Revolution ein und die Rolle, welche Frauen darin spielten.
Die Filmausschnitte und Poster aus der Zeit vor der Revolution sind „westlichen“ Kinoinhalten der damaligen und heutigen Zeit auffallend ähnlich. Diese Filme waren meist beladen mit nackten Frauenkörpern, sich prügelnden Männern und einer Menge Alkohol., erzählt Palizban Die Revolution habe auch eine „Kulturrevolution“ mit sich gebracht: Kinos wurden geschlossen und sogar zum Ziel direkter Anschläge. Der Brand des Kinos Rex ist dafür wahrscheinlich das eindrücklichste Beispiel. Allerdings, so Palizban, postulierte die neue iranische Führung damals keine Ablehnung des Kinos an sich, sondern eine Ablehnung der Unzucht.
Weterhin meint Palizban, dass Frauen im iranischen Kino sowohl vor als auch nach der Revolution präsent gewesen seien, ihre Charaktere hätten jedoch stets den Erwartungen des male gaze entsprochen. Demnach erscheinen Frauen im iranischen Kino meist in den Rollen der Verlorenen, Verlassenen oder Verstoßenen ihrer eigenen Geschichte.
Theater: „Sekunden wie Jahre – Sal Saniye“
Auf den Vortrag folgt die Deutschlandpremiere des Theaterstücks „Sekunden wie Jahre – Sal Saniye“ des iranischen Regisseurs Hamid Pourazeri, aufgeführt von den zehn jungen Performerinnen der Papatiha Theatre Group. Über den Inhalt des Stücks und das iranische Theater generell haben wir zuvor berichtet.
Im Anschluss an die gut besuchte Aufführung findet eine Gesprächsrunde mit dem Regisseur statt. Darin drückt er in eigenen Worten eine wichtige Botschaft des Stücks aus: Grundlegende gesellschaftliche Veränderungen gehen von Frauen aus, denn sie müssten sich viel stärker mit sich und ihrer Rolle in der Gesellschaft auseinandersetzen. Leider nimmt keine der zehn Performerinnen am Gespräch teil, um über ihre Arbeit und ihre Sicht auf das Stück zu sprechen. Das ist schade, schließlich hätten sie die meisten Fragen der Zuschauenden sicherlich besser beantworten können. Zudem hätte es Pourazeris These glaubhafter gemacht. Das Publikum ist jedoch aufgeweckt und stellt spannende Fragen. Für einige scheint dieser Abend eine Möglichkeit darzustellen, sich an eine bislang eher unbekannte Kultur heranzutasten.
Eine Besucherin möchte wissen, warum die Performerinnen im Stück immer abwechselnd verschiedene Jahreszahlen nennen. Beziehe man sich hiermit auf konkrete Daten aus der Vergangenheit, die eine bestimmte Bedeutung haben? Für Pourazeri sind die verschiedenen Jahreszahlen ein Motiv für die besondere Lebensrealität vieler Iraner_innen. Er sieht das Land gefangen zwischen Vergangenheit und Zukunft. Der Blick auf die Vergangenheit werde durch Nostalgie verklärt, der Blick in die Zukunft durch Hoffnung und gleichzeitige Ungewissheit. In der Gegenwart zu bleiben falle vielen Iraner_innen sehr schwer. Die Kunst stelle einen Weg dar, diese Gegenwart zu fassen. Denn Kunst habe immer auch einen Bezug zur Realität u- nd sei es nur, wenn sie sich bewusst von dieser abwendet.
We now have the pleasure of having a conversation with director Hamid Pourazeri! 🙌
Ein Beitrag geteilt von Wundern über tanawo' (@tanawo_festival) am Mär 16, 2018 um 2:02 PDT
Musik: „Female Pop Icons“
Diese Worte bleiben mir im Kopf, während ich mich zum DJ Set von Booty Carrell ins KMH des Kampnagel begebe. Auch Booty Carrell begibt sich an diesem Abend musikalisch auf eine Reise in die Vergangenheit und zwar auf die Suche nach den großen Popdiven Irans. Ein Hauch von Nostalgie liegt in der Luft und erinnert an Pourazeris Worte über die Verklärung der Vergangenheit.
Die Intention des Festivals ist es, zum Wundern einzuladen. Wundern über die Kultur und Kunst eines Landes, in dem sich sehr viel mehr bewegt und in dem sehr viel mehr gelebt wird, als es eine westliche Berichterstattung, die sich auf Sanktionen, Unruhen und Atom-Deals konzentriert, vermitteln kann.
Bei mir überwiegt jedoch nicht das Wundern, sondern die Begeisterung. Ich bin begeistert von den vielseitigen neuen Ideen und Impulsen, ausgehend von den Frauen und Männern die Kunst schaffen und über Kunst forschen. Sie stellen damit eine Bereicherung dar zu einem „westlich“ dominierten internationalen Kunstmarkt, auf dem Kunst selten persönliche Botschaften an die Betrachtenden weiter gibt. In den populären Werken der Gegenwartskunst sucht man oft vergeblich nach realen Gefühlen oder dem Wesen der Künstler_innen. Sie sind verborgen durch die verschachtelte Reduziertheit dieser Werke.
„Wundern über tanawo’“ zeigt hingegen den Mut, durch Kunst etwas mitzuteilen und dadurch preiszugeben, wie die Künstler_innen die Welt sehen, in der sie leben.
Das Festival „Wundern über tanawo“ findet vom 15. – 18. März 2018 in Hamburg statt.
Mehr Informationen zum Festival und zum Programm unter www.tanawo-festival.org