17.02.2018
Speaking while Muslim - (Un)Möglichkeiten des Dialogs
In einem System aus Dominanz und Deutungshoheit kann kein "Dialog" entstehen, schreibt Emine Aslan.
In einem System aus Dominanz und Deutungshoheit kann kein "Dialog" entstehen, schreibt Emine Aslan.

Inzwischen gibt es in Deutschland zahlreiche Formate, die einen „Dialog“ zwischen Menschen muslimischen Glaubens und anderen Mitgliedern der Gesellschaft „fördern“ sollen. Doch die Grenzen werden schon beim Konzept selbst gezogen, schreibt Emine Aslan zum Auftakt der neuen Alsharq-Kolumne Des:orientierungen.

„Wir müssen Dialoge fördern“. Ein Satz, den viele Muslime in Deutschland schon seit ihrer frühen Jugend hören. Das klingt erstmal gut. Für Muslime in Deutschland war es leider lange keine Normalität, als Dialogpartner in eigener Sache wahrgenommen und anerkannt zu werden. Mit einer wachsenden Anzahl von De-Radikalisierungsprogrammen für muslimische Jugendliche in Deutschland erfährt der Dialog mit Muslimen wieder einen Aufschwung. Wie diese Dialoge jedoch aussehen und welche Fragen hierbei gestellt werden, wird eher in seltenen Fällen kritisch reflektiert.

Prof. Dr. Schirin Amir-Moazami analysiert beispielsweise die paternalistischen und asymmetrischen Dynamiken der Deutschen Islam Konferenz (DIK), einer politischen Initiative des deutschen Staates (Amir-Moazami 2011). Bereits die Initiierung dieser Konferenz, so Amir-Moazami, sei mit staatlicher Deutungshoheit verbunden gewesen. Die von Wolfgang Schäuble kommunizierte Agenda fokussiere ausschließlich auf Themen wie Islamismus, Geschlechternormen oder Grundrechte als von Muslimen ausgehende Problemfelder (Amir-Moazami 2016).

Hinzu kommt, dass gegenwärtigen Dialogbestrebungen ein jahrzehntelanges „sich Besprechen“ vorangeht, dessen Einflüsse und Dynamiken sich nicht einfach in Luft auflösen. Dialog findet nicht in einem Vakuum statt – vor allem nicht, wenn die Diskurse und die zuvor immer wieder besprochenen Communities politisiert und stigmatisiert wurden und werden. Solange diese Asymmetrien zwischen den „Dialogpartnern“ existieren, kann kein Gespräch auf Augenhöhe erfolgen.

Deutungshoheiten über Begriffe wie konservativ, fundamental oder liberal bestimmen in erheblichem Maße, wie Diskurse und Dialoge gerahmt werden. Ist eine Auseinandersetzung beziehungsweise ein Diskurs hegemonial gerahmt und besetzt mit sich asymmetrisch gegenüberstehenden Sprecher_innen-Positionen, so kann dieser Diskurs keine ermächtigende oder gleichberechtigende Funktion erfüllen. Gleiches gilt für die Meinungsfreiheit und zwar vor allem dann, wenn gesellschaftliche Strukturen rassistische Äußerungen und Hetze unter „Meinungsfreiheit“ normalisieren und gleichzeitig Wissensbestände, die nicht der weißen, deutschen, säkularen Norm entsprechen, entweder nicht gehört oder sogar kriminalisiert werden. Wer wird also angehört? Und wann dürfen marginalisierte Menschen überhaupt reden?

Ich erinnere mich an eine institutsinterne Rund-Mail, die mir unter der Hand weitergeleitet worden war. Darin bat der Institutsleiter einer Fachhochschule in Deutschland das Kollegium darum, „auffällige Student_innen“ bei ihm zu melden. Er erläuterte, dass es sich dabei um Präventionsmaßnahmen gegen Radikalisierungen unter Studierenden handele. Natürlich bezog sich dies nicht etwa auch auf rechtspolitische Radikalisierungen, sondern ausschließlich auf muslimisch religiöse. Im Anhang dieser Email befand sich eine Broschüre, die helfen sollte, Radikalisierung unter muslimischen Studierenden zu erkennen. Darin wurden Dinge angeführt wie: Gibt dem anderen Geschlecht nicht die Hand; betet plötzlich fünfmal am Tag; trägt lange Kleidung; hat einen langer Bart; benutzt Worte wie inshallah und subhanallah.

Laut dieser Broschüre bin ich eine radikalisierte Muslimin. Nun gut, abgesehen vom Händeschütteln und dem Bart. In dieser „Anleitung“ werden Dinge, die Bestandteile der islamischen Lehre und Tradition sind (theologische Meinungsvielfalt ist ebenfalls islamische Tradition), zu einem Faktor der Radikalisierungsprävention. Auf diese Weise wird ein großer Teil bekenntnisgebundener Muslime in Deutschland zu Verdächtigen stigmatisiert.

Sprache, Wissen und Wirklichkeit

Die Stigmatisierung und Markierung gewisser Körper und Wissensbestände als „gefährlich“, „radikal“ und „konservativ“ funktioniert über Sprache. Genauer gesagt über die Sinn- und Bedeutungszuschreibung durch Sprache.

Ein anschauliches Beispiel hierzu findet sich in deutschen Flucht- und Asyldebatten. In diesen Debatten dominiert eine rechtspopulistische, bestenfalls neoliberale Sprache, die durch die entsprechende politische Rahmung dazu beiträgt, dass die „Lösungsansätze“ in der gleichen politischen Sphäre verharren, aus der heraus die Probleme formuliert wurden. Sätze wie „Illegale Flüchtlinge legalisieren“ (Alice Weidel, AfD, 05.09.2017) suggerieren nämlich, dass diesen flüchtenden Menschen sozusagen ein Urzustand der Illegalität anhaftet. Dabei wird nicht anerkannt, dass sie eben durch eine gewisse Sprache und Politik erst zu Illegalen und, assoziativ damit verbunden, auch zu Kriminellen gemacht werden. Sprache bestimmt also in erheblichem Maße, wie wir Menschen und ihre Handlungen wahrnehmen und behandeln. Sprache wird somit zu einem wirklichkeitsstiftenden Medium.

Ein Blick auf die Diskurslandschaften um „die Muslime“ und „den Islam“ verdeutlicht, dass darin zum einen sehr viele kolonialrassistische und orientalistische Bilder und Begrifflichkeiten dominieren und dass, zum anderen, viele vermeintliche „Islam(ismus)expert_innen“ sich über diese Diskurse eine Karriere aufbauen. Während Muslime vielleicht lange Zeit gar nicht erst mitreden durften, als es um sie ging, müssen sie jetzt stetig gegen orientalistische und islamfeindliche „Expert_innen“ anreden.

Wissensproduktionen über Muslime in Deutschland finden vor allem vor dem Hintergrund von Gouvernementalität statt. Hierbei kommt dem wissenschaftlichen Betrieb heute genauso wie früher eine erhebliche Funktion zu.

Edward Saids Orientalismus-Kritik scheint im deutschen Kontext leider noch immer nicht die analytische Beachtung zu finden, die sie verdient beziehungsweise benötigt – jedenfalls mit Hinblick auf die Dekonstruktion politischer Maßnahmen zu muslimischem Leben und Wirken in Deutschland. Said selbst klammerte Deutschland in seinen Analysen mit der Begründung aus, dass der deutsche Imperialismus verglichen mit Frankreich und Großbritannien keine besondere außereuropäische Reichweite gehabt hätte. Ausgehend von diesem Argument, nämlich dass Deutschland keine imperiale Pioniermacht gewesen und demnach der deutsche Orientalismus nachrangig sei, wird Deutschland bis heute von vielen postkolonialen Theoretiker_innen vernachlässigt. Spivak hingegen betont, dass Deutschland „kulturell und intellektuell gesehen im 19. Jahrhundert eine der Hauptquellen sorgfältigster orientalistischer Gelehrsamkeit darstellte – gingen doch von diesem geopolitischen Ort eine Vielzahl autoritative, mit universellen Ansprüchen ausgestattete orientalistische Erzählungen aus”.

Dieses deutsche kulturelle Erbe muss in unseren Betrachtungen anti-muslimischer und anti-islamischer Diskurse reflektiert und dekonstruiert werden. Etwa wenn gefragt wird „Wie viel Islam verträgt Deutschland?“ oder „Gehört der Islam nach Deutschland?“; wenn muslimisches Leben und muslimische Stimmen nur dann relevant werden, wenn es um die Distanzierung von terroristischen Angriffen oder um die Rechtfertigung ihrer Lebensweisen geht; wenn Asyl- und Abschiebepolitiken, die in vielen Fällen den sicheren Tod für flüchtende Menschen bedeuten, darüber legitimiert werden, dass man ja nicht wissen könne, was für Terrorist_innen mit ins Land kommen; oder wenn gleichzeitig keinerlei Verantwortung für rassistischen Terror innerhalb Deutschlands übernommen wird, ganz zu schweigen für die mit deutschen Rüstungskonzernen mitfinanzierten Kriege im Ausland.

Dogmatismus, Fundamentalismus, Terrorismus. Dies scheinen Begrifflichkeiten zu sein, die für Muslime beziehungsweise für als muslimisch gelesene Personen reserviert sind. Besonders skurril wird es, wenn einer Wissenschaftlerin wie Susanne Schröter Forschungs- und Institutsgelder zur Verfügung gestellt werden, um das Forschungszentrum Globaler Islam an der Goethe Universität Frankfurt am Main zu leiten. Und wenn dann mit diesen Geldern Vorträge wie „Der Kreuzzug des Islam“ organisiert werden – ein Wortspiel, das die perfekte Projektion europäischer Geschichte auf den „orientalischen“ „muslimischen“ „Anderen“ widerspiegelt.

Es sind also solche und vergleichbare hegemoniale Sprecher_innen-Positionen, die Muslime als „Problem“ in und für Deutschland beschreiben. Diese Positionen definieren, welche Muslime gut und welche böse sind, welche Muslime reden dürfen, welche überhaupt glaubwürdig sind, und welchen Muslimen zugehört werden darf. Diese Wissensquellen werden zum Dreh- und Angelpunkt politischer (Disziplinierungs-)Maßnahmen und erklären den Politiker_innen in diesem Land, wie Muslime besser regiert werden können, wie „der Islam“ besser kontrolliert werden kann.

Das Märchen von der Augenhöhe

Wissensproduktionen, Forschungen und Diskurse zu Muslimen und Islam in Deutschland sind von Vorurteilen, Misstrauen, Vorsicht und einem Disziplinierungswunsch dominiert. Von einem Dialog auf Augenhöhe kann daher keinesfalls die Rede sein. Bereits die strukturelle Asymmetrie innerhalb unserer Gesellschaft spricht dagegen. Welche Subjekte, Geschichten, Realitäten und Wirklichkeiten finden gesellschaftliche Repräsentation und stoßen auf Gehör?

In „The Master´s Tools Will Never Dismantle the Master´s House“ veranschaulicht Vanessa Eileen Thompson, dass politische Bestrebungen zu Anerkennung, Würdigung und Dialog zwischen rassifizierten Subjekten und dem Staat immer jene Machtverhältnisse reproduzieren, die sie zu überwinden beabsichtigen. Denn all diese politischen Bestrebungen nach Anerkennung sind von einer Matrix postkolonialer Machtverhältnisse gerahmt (Thompson 2015).

Thompson bezieht sich dabei auf Frantz Fanons antikoloniale Intervention in Sartres Theorie der Intersubjektivität. Fanon kritisiert, dass Sartre die intersubjektive Asymmetrie zwischen dem rassifizierten und dem weißen Subjekt ausblendet. Zwischen diesen beiden Subjekten herrsche keine primäre Wechselwirkung, weshalb die intersubjektive Anerkennung beider Subjekte nicht symmetrisch zueinander stattfinden kann. Anders ausgedrückt: Subjekte sind in ihrer Selbstdarstellung und Identitätskonstruktion auf die Anerkennung und Annahme dieser Selbstkonstruktion durch andere Subjekte angewiesen. In einem hierarchisch sozialen Verhältnis zwischen rassifiziertem und weißem Subjekt sind die Ausgangsbedingungen der Selbstdarstellung und Identitätskonstruktion nicht gleich verteilt. Das rassifizierte Subjekt bedarf der Anerkennung und Akzeptanz des weißen Subjektes, während es umgekehrt nicht der Fall ist. Dies führt dazu, dass sich das rassifizierte Subjekt in seinem Selbstverhältnis in dem von dem weißen Subjekt gesetzten Rahmen bewegt.

„Fremde Zungen“. Silencing als hegemoniales Instrument

Wenn das Besprechen, Definieren und Einrahmen von Dingen, Phänomenen und Subjekten einen sozial wirkmächtigen Charakter aufweist und erheblich zur Konstruktionen von gesellschaftlichen Wirklichkeiten beiträgt, wundert es kaum, dass die Regulierung gewisser Diskurse von erheblicher Bedeutung ist. Muslimische Subjekte, die ihren islamischen Lebensstil selbstbewusst und kompromisslos praktizieren und gleichzeitig am gesellschaftlichen und politischen Wirken teilhaben wollen, ergeben in diesem Komplex eine schwierige Kombination. Das gilt insbesondere dann, wenn sie hierbei gegenwärtige politische Strukturen kritisieren und antasten wollen. Das öffentliche Sprechen solcher Personen stellt immer ein Widersprechen dar – das Gegenteil also von dem Bestreben, sich einem Dialog zu verpflichten, der meist auf Anerkennung bedacht ist. Diese Anerkennung – als integrierter Muslim und gutgewillte_r Dialogpartner_in – funktioniert nämlich nur, wenn die hegemoniale Sprache von Regierung und „Islamexpert_innen“ adaptiert wird.

Das Überschreiben einer bereits existenten Welt von sprachlichen Bedeutungen und Deutungen war in kolonialen und imperialen Zusammenhängen nicht nur mit dem Regieren und Beherrschen verbunden, sondern über Internalisierung seitens der marginalisierten Subjekte auch mit Beeinflussung.

Silencing in Form von Kriminalisierung und Dämonisierung der Sprechenden und des Gesprochenen ist demnach möglich aufgrund der von der Gesellschaft als „Wirklichkeit“ angenommenen Deutungen um „den Islam“. Die fehlende Repräsentanz, das nicht zu Wort kommen lassen und nicht hinhören, ist in einem postkolonialen Kontext demnach als Silencing zu verstehen.

 

Literaturnachweis

Amir-Moazami, Schirin (2011): Dialogue as a governmental practice. Managing gendered Islam in Germany. In: Feminist Review 98, pp. 9-27.

Amir-Moazami, Schirin (2016): „Der Staat entscheidet mit wem er über was spricht“. Abrufbar auf: http://www.islamiq.de/2016/09/27/der-staat-entscheidet-mit-wem-er-ueber-...

Thompson, Vanessa Eileen (2015): „The Master´s Tools Will Never Dismantle The Master´s House“. Reading France´s Recognition Politics through Fanon´s Critique of Whiteness and Coloniality.

Emine Aslan ist Studentin und Aktivistin und veröffentlichte bisher sowohl in wissenschaftlichen, als auch essayistischen Sammelbänden. Ab und zu bloggt sie noch auf diasporareflektionen.wordpress.com