Jordanien macht selten Schlagzeilen, doch auch hier kochten im Arabischen Frühling Proteste hoch. Drei Jahre später ist der Unmut weiter präsent, doch die Demonstrationen sind abgeklungen: Abschreckende Entwicklungen in den Nachbarstaaten und seichte Reformen im Inland lassen die Jugend zögern, erneut aufzubegehren.
Es waren nicht etablierte Parteien, die 2011 und 2012 tausende Jordanier auf die Straßen brachten, sondern neue, außerparlamentarische Initiativen. Die ‚Herak’, zu Deutsch ‚Bewegungen’, vertraten verschiedene Interessensgruppen, doch ähnliche Anliegen: Die Menschen demonstrierten gegen hohe Arbeitslosigkeit und Inflation. Ihre Wut richtete sich gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik und Korruption im Staatsapparat.
Ein wichtiges Novum: Erstmals gingen vor allem jordanischstämmige Bürger auf die Straße. In der Monarchie, in der die Mehrheit der Staatsbürger palästinensische Wurzeln hat, gelten die ‚jordanischen Jordanier’ eigentlich als privilegierte Schicht und Machtbasis der Monarchie. Wachsender wirtschaftlicher wie politischer Druck auf die Mittelklasse hat dieses Fundament bröckeln lassen. Vor allem junge Menschen protestierten: Von der herrschenden Klasse gealterter Männer fühlen sie sich nicht repräsentiert.
Ahmad Monther, Student aus Amman, begleitete die Demonstrationen als Blogger. 1.700 Menschen folgen seinen Kommentaren zum politischen Geschehen auf Facebook. „Junge Leute hier werden dazu erzogen vor allem an ihr persönlich Fortkommen zu denken. Sie wollen heiraten und Karriere machen“, sagt der 23-Jährige. „Mit meinen Texten möchte ich sie zum Umdenken anregen. Politik geht uns alle an!“ Obgleich die Proteste abgeflaut seien, meint er, habe sich einiges verändert: „Das Wichtigste: Die Leute haben angefangen, öffentlich kritisch über Politik zu diskutieren.“
Die Politik ist die gleiche - doch die Menschen reden nun
Im Zuge der ersten Protestwelle 2011 gegen Preissteigerungen wurden schnell auch Forderungen nach mehr demokratischer Mitbestimmung laut. Rufe nach dem „Sturz des Systems“ waren kaum zu hören, doch die Demonstranten verlangten eine grundlegende Reform der konstitutionellen Monarchie. Das Königshaus reagierte mit Druck auf die aufstrebende Opposition einerseits und politischen Reformen andererseits. Der König ließ Versammlungs- und Pressefreiheit umgehend ausweiten. Zentraler Punkt der Neuerungen: Die 2012 beschlossene Wahlrechtsreform. Jordaniens gewähltes Repräsentantenhaus galt bis dato als königstreu und quasi machtlos. Die Neufestlegung der Wahlbezirke und eine Anhebung der Quote von Kandidaten, die über Parteilisten statt Direktmandate ins Parlament einziehen, sollte das Unterhaus repräsentativer machen.
Bei den vorgezogenen Neuwahlen vom Januar 2013 blieben trotz der Neuregelungen königstreue Einzelkandidaten stärkste Kraft im Parlament. Oppositionelle kritisierten die Reformen als unzureichend. Die größte Oppositionsfraktion, der jordanische Zweig der Muslimbruderschaft, hatte die Wahlen deshalb boykottiert.
Unterdessen hat sich die sozioökonomische Lage im Land weiter verschärft. Seit 2011 haben etwa 700.000 Flüchtlinge aus Syrien in Jordanien Schutz gefunden, und dadurch steht der Arbeitsmarkt unter zusätzlichem Druck. Der Staat ist mehr denn je von ausländischen Geldern abhängig. Jordanien gilt als einer der engsten Verbündeten der USA in der Region und bezieht den Großteil seines Haushalts über internationale Finanzspritzen, für die das Königreich im Gegenzug Liberalisierungsmaßnahmen umsetzen muss. An der in der Bevölkerung unbeliebten Wirtschaftspolitik hat sich nach 2011 kaum etwas verändert. Der Blick nach Syrien und Ägypten aber hält die Opposition davon ab, weiter die Konfrontation mit dem Regime zu suchen: Es droht ein Abrutschen in die Gewalt. Der Sturz Mursis hat die islamische Opposition zudem deutlich geschwächt.
"Versteht uns" fordern junge Aktivist_innen
Die neue Regierung hat währenddessen einige Freiheiten wieder eingeschränkt: 2013 erließ das Kabinett strengere Regelungen für Nachrichtenwebsites. Rund 300 Seiten wurden gesperrt. Blogger wie Ahmad Monther müssen sich mit technischen Tricks behelfen – oder sich geschlagen geben.
Rund 60 Prozent der jordanischen Bevölkerung sind jünger als 24 Jahre. Auf der politischen Bühne ist die Jugend hingegen fast unsichtbar. Das Mindestalter für Parlamentsabgeordnete zum Beispiel liegt bei 30 Jahren. Vom politischen System enttäuscht engagieren sich junge Menschen eher anderweitig. „Bas Ifhamouna“, „Versteht uns“, heißt die Initiative, die die 21-jährige Nwwar Nagrash ins Leben gerufen hat. Der Studierendengruppe mit inzwischen mehr als 100 Mitgliedern geht es um soziales Engagement. Seit einiger Zeit beschäftigen sie sich auch mit dem Thema sexuelle Belästigung. Als sie sich mit Vorschlägen dazu an ein Ministerium wandten, hieß es, Belästigung gäbe es in Jordanien nicht, berichtet Nwwar. „Uns zeigte es einmal mehr, dass man jungen Menschen hier nicht zuhört.“
Ahmad und Nwwar gehören zur gebildeten jordanischstämmigen Mittelschicht, die die sozioökonomischen Veränderungen im Land besonders stark zu spüren bekommen hat. Seit Anfang der 2000er steigen die Preise für Konsumgüter um jährlich fast fünf Prozent. Im gleichen Zeitraum hat der König den Staatsapparat und das Militär als traditionelle Arbeitgeber der jordanischstämmigen Elite empfindlich verschlankt. Etwa 15 Prozent der Jordanier sind arbeitslos, ein Drittel von ihnen junge Hochschulabsolventen.
An Unis wird immer öfter scharf geschossen
Etwa 40 Prozent der jungen Jordanier besuchen die Universität. Dass danach immer weniger einen Job finden, verursacht Frustration. Die eskaliert an den Universitäten zunehmend in Gewalt: Allein 2012 kam es hier zu 80 bewaffneten Auseinandersetzungen; im Frühjahr 2013 starben fünf Menschen bei Campus-Schießereien. Meist stehen sich dann Familienclans gegenüber: „Stammesstrukturen spielen in Jordanien seit jeher eine wichtige Rolle“, erklärt Yasa’an Shamaileh, ein junger Radio-Journalist aus der südlichen Provinz Karak. „Familienbande helfen gerade jungen Leuten angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Das Problem ist, dass Streitigkeiten durch falsches Ehrgefühl entstehen. An Universitäten wird das begünstigt durch allgegenwärtige Vetternwirtschaft.“
Studierendenverbände wie die Vereinigung Thahabtoona prangern seit Jahren Seilschaften und Korruption an Hochschulen an. Im Grunde seien die Universitäten Spiegel der Gesellschaft, meint der sozialistische Abgeordnete Jamal Nimri: „Ein korruptes System, Perspektivlosigkeit und mangelnde Freiheiten verursachen Verbitterung und Gewalt.“
Die Regierung hat angekündigt, die Gewalt mit Sicherheitsmaßnahmen und strengerer Kontrolle zu bekämpfen. Mehr Diskussion und akademische Freiheiten erwäge man mittelfristig. Für junge Oppositionelle ein weiteres Symbol für Repression und schleppende Reformen. Vorerst aber werden sie Zusammenstöße mit den Regierenden meiden: Angesichts des syrischen Bürgerkrieges geben viele der Stabilität im Staat neues Gewicht. Für Jordanien setzen sie auf kleine Schritte statt den radikalen Bruch.