13.10.2020
Zwischen Schuld und Reue – im Gespräch mit Massoud Bakhshi
Iranisches Filmplakat von „Yalda“. Mit Genehmigung von Massoud Bakhshi.
Iranisches Filmplakat von „Yalda“. Mit Genehmigung von Massoud Bakhshi.

Iranisches Kino als internationaler Erfolg? Mit „Yalda“ ist Massoud Bakhshi trotz Corona genau das gelungen. Mit dis:orient sprach der Autor und Regisseur über Vergebung und die iranische Filmindustrie.

Massoud Bakhshi ist Autor und Regisseur in Iran und wohnt in Teheran. Sein neuster Film „Yalda“ nahm an internationalen Festivals teil und wurde für den Amnesty International Filmpreis nominiert. In Deutschland feierte er bereits im August Premiere und ist noch immer in ausgewählten Kinos zu sehen.

Herr Bakhshi, „Yalda“ handelt von einer fiktiven Fernsehsendung in Iran. Eingeladen ist eine junge Frau, die zum Tode verurteilt ist, und die Familie des von ihr getöteten Mannes. Das Publikum der Fernsehsendung hat die Möglichkeit über SMS abzustimmen, ob der Frau vergeben werden sollte oder nicht und kann dabei einen Preis gewinnen. Was ist der Hintergrund dieser Geschichte?

Der Film „Yalda“ handelt von Vergebung und Rache.„Yalda“ erzählt eine Geschichte über die Möglichkeit, sich selbst in andere hineinversetzen und von der Schwierigkeit des Vergebens. Gleichzeitig ist „Yalda“ eine „weibliche“ Geschichte und ein Portrait der heutigen Frauen Irans. Alle Frauen im Film werden schließlich aktiv und setzen sich für die Rettung des Lebens von Mariyam, der Verurteilten, ein. Das ist schön. Dabei setzt sich der Film auch mit der Rolle von Medien in unserem heutigen Leben auseinander.

Welche Rolle spielt das Bitten um Vergebung und die Möglichkeit des Vergebens in Iran real?

In einigen besonderen Fällen von nicht vorsätzlichen Tötungen besteht die Möglichkeit, dass der Familie des Opfers ein „Blutgeld“ gezahlt wird und der zum Tode verurteilten Person vergeben wird. Hierdurch kann es zur Rettung eines Menschenlebens kommen und der verurteilten Person wird die Chance eingeräumt, weiterzuleben. Hierfür muss jedoch viel Zeit investiert werden und die Familie der verstorbenen Person muss sich als großzügig erweisen. Dies ist nicht immer der Fall.

Die letzte Folge der Fernsehsendung „Honigmonat“, auf der „Yalda“ beruht, behandelte einen echten Fall von Mord und Vergebung. Allerdings lehnte die Familie des Ermordeten ab. Der Moderator verließ darauf geschockt die Bühne. Die Zuschauer kritisierten sein Verhalten, da er nicht das Recht gehabt hätte, die Entscheidung zu missbilligen. Die Sendung wurde eingestellt. Wie akzeptiert ist das „Blutgeld“ Konzept in der iranischen Gesellschaft?

Was mich damals nachhaltig bewegt hat, war der Einfluss der Medien, welche den Blick des Publikums auf eine gefährliche Weise veränderten, beziehungsweise formten. Das hätte ich so nicht erwartet. Ich denke, dass die iranische Gesellschaft in Bezug auf dieses Thema wesentlich aufmerksamer geworden ist und die Relevanz dieses Themas nun erkennt. Auch wenn es für ein [grundsätzliches] Vergeben und eine substantielle Umsetzung einer solchen Vergebung [Anm. d. Red.: Gemeint ist wohl die Abschaffung der Todesstrafe in Iran], sowie für ein [grundsätzliches] Hineinversetzen von sich selbst in Andere noch ein weiter Weg in Iran ist.

Sie machen sowohl Spiel- wie Dokumentarfilme. Ihre meisten Filme sind jedoch eine Mischung aus beidem, wie beispielsweise der 2007 erschienene Film „In Teheran gibt es keine Granatäpfel mehr“. Auch bei „Yalda“ hätte sich eine reine Dokumentation angeboten. Warum haben Sie sich stattdessen für einen Spielfilm entschieden?

Bei Dokumentationen und Spielfilmen gibt es keinen großen Unterschied für mich. Es gibt nur gute und schlechte Filme. Ich produziere einen Spielfilm genauso wie eine Dokumentation. Der Film „Yalda“ ist ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit der heutigen Gesellschaft Irans, dessen Geschichte auf realen Fragen und Themen beruht und erzählt wird. Schlussendlich ist dieser Film jedoch ein Spielfilm und seine Geschichte nimmt, obwohl sie real erscheint, Elemente aus dem surrealen Kino in sich auf. Es ist das Herausstellen dieser Elemente, dass dem Publikum dabei hilft, eine bessere Wahrnehmung der Realität zu erhalten. 

Zu welchem Grad sind Filmemacher*innen in Iran durch die weltweiten Entwicklungen im Kino beeinflusst?

Das heutige Kinos Irans ist ein innovatives Kino und eng verbunden mit den Veränderungen in der Gesellschaft. Ich halte es für wichtig und einflussreich. Die neue Generation der iranischen Filmemacher*innen ist sehr mutig und progressiv, sowohl hinsichtlich der Geschichten als auch im Experimentieren mit neuen Erzählformen im Kino. Ich denke, dass sich das Kino Iran trotz aller wirtschaftlichen Probleme und Einschränkungen durch die Fähigkeiten der jungen Generation verbessert und stärker wird. Es entwickelt sich und findet dabei seinen eigenen Weg.

Und andersherum, wie sehen Sie den Einfluss der iranischen Filmemacher*innen auf das weltweite Kino?

Das iranische Kino und die Filmemacher*innen sind wichtig für die Welt. Bei allen großen Filmfestivals sind mindestens ein, oft mehrere iranische Filme zu sehen. Allerdings hoffe ich, dass die Präsenz iranischer Filme nicht auf die Festivals beschränkt bleibt, sondern dass iranische Filme auch in den Kinosälen zu sehen sind.

Welches Land finden Sie zurzeit in Bezug auf Filme interessant und warum?

Kino und insgesamt Kunst lassen sich nicht auf ein Land beschränken. Europa ist äußerst interessant und es lässt sich hier viel Neues sehen. Auch das asiatische und lateinamerikanische Kino ist aufgrund der jungen Bevölkerung und der sozialen Umwälzungen sehr aktiv und lebendig. Dort werden sehr gute Filme produziert.

Ihr letzter Film „Eine ehrenwerte Familie“ über den Irak-Irankrieg aus Perspektive der iranischen Oberschicht durfte in Iran nicht gezeigt werden, nachdem der Film 2012 in Cannes lief. Es hieß, der Film werfe „ein schlechtes Licht“ auf Iran. Können Sie das nachvollziehen?

Ich glaube, dass ein Film die Einstellungen des Filmemachers oder der Filmemacherin abbildet und nicht eine Kultur oder ein Land repräsentiert. Jemand, der sich etwa die Filme von Michael Haneke oder Ulrich Seidl anschaut, wird danach nicht Österreich und die österreichische Bevölkerung verurteilen oder Vorurteile aufbauen, sondern vielmehr die Arbeit dieser zwei Filmemacher bewerten.

In der Filmindustrie Irans gibt verschiedene Stufen von Genehmigungen und finanzieller Unterstützung. Es scheint sehr kompliziert zu sein. Welche Rollen spielen die Mediengesetze für die iranische Kinolandschaft, für Regisseur*innen und Autor*innen, für Sie?

Für mich sind diese Prozesse auch sehr kompliziert und vieles davon verstehe beziehungsweise kenne ich auch nicht. Allerdings glaube ich, dass die Kreativität und die Handlungsfreiheit eines Künstlers oder einer Künstlerin nicht über Gesetze beschränkt wird. Die Gesetze sind nicht wichtig. Kunst wird für die Schönheit der menschlichen Seele geschaffen und ich hoffe, dass auch meine Arbeit aus mir und den Zuschauern bessere Menschen macht.

Im Gegensatz zu „Eine ehrenwerte Familie“ konnten Sie „Yalda“ auch dem iranischen Publikum zeigen. Wie waren die Reaktionen?

Sehr unterschiedlich und vielfältig. Die Personen, welche die Bedeutung und die Kritik des Filmes verstanden haben, mochten ihn mehr. Nachdem wir verkündet hatten, dass wir den gesamten Gewinn des Filmes für die Freiheit von zwei Verurteilten einsetzen werden, gab es einen größeren Zulauf für den Film. Davon abgesehen habe ich gelernt, dass, welchen Zuspruch auch immer meine Filme in meinem Land erhalten, ich mich davon nicht mitreißen lassen darf, sondern meinen eigenen Weg weiterverfolge. 

 

 

Sören ist Iranist mit mehr als elf Jahren Iranerfahrung. Aktuell promoviert er zum Einfluss sozialer Normen auf lebensverändernde Entscheidungen in Iran, führt ein Dienstleistungsunternehmen zur Förderung der deutsch-iranische Beziehungen und gründete einen Verein zur Förderung von Kunst- und Kulturaustausch zwischen Deutschland und Iran. Bei...
Redigiert von Maximilian Menges, Anna-Theresa Bachmann
Übersetzt von Sören Faika