20.03.2010
Zwischen Hightech, H&M und Haredim
Israel hat sich vom Agrarland zur Hightech-Supermacht entwickelt – und die Weltwirtschaftskrise verhältnismäßig gut überstanden. Die „Bank of Israel“ rechnet mit 3,5 Prozent Wachstum für 2010. Die Übernahme des deutschen Billigmedikamentenhersteller Ratiopharm für 3,6 Milliarden Euro durch den israelischen Pharmakonzern Teva (hebr. Natur) ist eine weitere Erfolgsgeschichte aus „Silicon Wadi“.

Teva-Chef Schlomo Yanai bezeichnete die Transaktion als „eine wichtige Säule und einen entscheidenden Wachstumstreiber in Europa“. Gemeinsam hätten beide Unternehmen einen Umsatz von 16,2 Milliarden Dollar. Mit diesem Umsatz und weltweit rund 40.000 Mitarbeitern wäre Teva die Nummer eins am europäischen Generikamarkt. Auch bei neuen IT-Technologien sind die Israelis führend – Internet-Firewall, USB-Stick, ICQ: alles Made in Israel. Der größte Exportschlager des kleinen Landes ist jedoch die Rüstungsindustrie. Mehr als ein Dutzend israelischer Unternehmen waren bei der Sicherung der Olympischen Spiele in Athen beteiligt – und auch bei der kommenden Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika wird das so sein. Aber nicht nur Großereignisse verlassen sich auf das Know-how aus Nahost: Die Infrastruktur des Buckingham Palace, des Vatikans und des Eiffelturms werden mit israelischer Technologie gesichert; ebenso die Flughäfen in New York, London, und Singapur.

Nicht alles Gold was glänzt
 
Trotz des Booms ist und bleibt Israel ein Altneuland. Die jüdischen Techniker und Tüftler haben es zwar mit ihrem digitalen Goldrausch geschafft international wettbewerbsfähig- und führend zu sein, aber der Aufschwung kommt nicht bei allen an. Die Sozialleistungen wurden in den vergangenen Jahren drastisch gekürzt und die Kommunen klagen über knappe Kassen. Zwischen den Wolkenkratzern am Mittelmeer und den Plattenbauten im Süden und Norden des Landes liegen Welten, statt Starbuck’s Suppenküchen – und dazwischen ein kleines bisschen Schweden.

Das Bekleidungsunternehmen H&M hatte nämlich vergangene Woche seine erste Filiale in Israel eröffnet und damit einen Massenansturm ausgelöst. Bei Öffnung der Pforten warteten Tausende vor dem Geschäft im Tel Aviver Einkaufszentrum Azrieli. Nach Schließung ging man davon aus, dass die Filiale an ihrem ersten Öffnungstag insgesamt etwa 15 000 Käufer angezogen hatte. Der Umsatz wird auf umgerechnet etwa 600 000 Euro geschätzt. Ähnlich großen Andrang konnte auch die in der vergangenen Woche eröffnete zweite israelische IKEA-Filiale für sich verbuchen. Mit koscheren Köttbullar-Fleischbällchen und einer eigenen Synagoge hatte zuvor schon die erste Ikeafiliale in Netanya großen Erfolg. All diese weltlichen Erfolge wurden aber von den Haredim, den Frommen, getoppt. 

Sittsamkeit beim Eisverkauf

Im ultraorthodoxen Stadtteil Mea Schearim hat am Freitag die erste koschere Eisdiele eröffnet und eine wahre Hysterie ausgelöst: Mehr als 6000 Menschen standen für eine kostenlose Eisprobe Schlange, wie die Yedioth Ahronoth berichtete. Die Hauptverkehrsstraße in dem Jerusalemer Viertel musste für den Verkehr gesperrt werden. Zwischendurch kam es zu Tumulten, als Mitglieder der radikalen jüdischen Gruppe Neturei Karta über Lautsprecher die Menge zur „Sittsamkeit“ aufriefen. Die Besitzer des Eisladens organisierten daraufhin zwei Reihen - eine für Männer, eine für Frauen -, die noch durch Barrieren in der Mitte getrennt wurden. Gegen 14 Uhr musste der Besitzer die Menge zum Gehen auffordern, da er sich auf den Shabbath vorbereiten müsse. 
Die boomende Hightech-Branche und die Frommen in Mea Shearim – das sind zwei Welten, die weit von einander entfernt sind. Aber auch diese Kluft beginnt sich mancherorts langsam zu schließen: Dank der Frauen, des Fussballs und der Fifa. Die israelische Firma Daronet hat den Zuschlag erhalten, die offiziellen Webseiten für die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika zu gestalten und zu betreiben. Die Kundenbetreuung für die Benutzer der interaktiven Webseite wird von ultraorthodoxen Frauen in der Ortschaft Elad nahe Tel Aviv abgewickelt werden. Das Unternehmen bezeichnet sich auf seiner eigenen Homepage als „Medienspezialist für den Wandel“. Passender könnte es kaum sein.