Anfang Dezember hatte ich die Möglichkeit, eine palästinensische Delegation aus Vertretern der Zivilgesellschaft während eines Informationsbesuches für einige Tage in Brüssel und Berlin zu begleiten. In zahlreichen Gesprächen wurde dabei deutlich, dass die Chancen für eine Konfliktregelung zwischen Israelis und Palästinensern äußerst pessimistisch eingeschätzt werden. In diesem Zusammenhang möchte ich auf einige Punkte eingehen, die während meines mehrmonatigen Aufenthalts in Ostjerusalem 2006 noch kaum thematisiert wurden bzw. mir nicht bewusst waren und möglicherweise neue Entwicklungen darstellen.
1) Die Akzeptanz für israelisch-palästinensische Projekte und Organisationen, die sich gemeinsam für eine friedliche Beilegung des Konflikts und eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen, sei stark gesunken. Am Beispiel der Graswurzelbewegung OneVoice, die sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt und in etwa von einem gleich großen Anteil palästinensischer und israelischer Aktivisten getragen wird, erklärte ein junges Delegationsmitglied, dass die Koordination der Aktivitäten weiterhin gemeinsam durchgeführt werde. Jedoch laufe die eigentliche Aufklärungsarbeit, zum Beispiel auf zentralen Plätzen in israelischen und palästinensischen Städten, mittlerweile getrennt ab. Dies sei weniger auf die Reisebeschränkungen , sondern auf die gewachsene Skepsis der Bevölkerung gegenüber jeglichen gemeinsamen Projekten zurückzuführen. Selbst diese auf eine friedliche und gerechte Lösung abzielenden Initiativen würden als "Kollaboration mit dem Feind" verstanden werden.
2) Zu den Parlamentswahlen in Israel im Februar 2009 äußerten sich die Delegationsmitglieder einstimmig gleichgültig. Es sei egal, ob Likud, Kadima oder die Arbeitspartei (haAwoda) als Sieger hervorgehen würde. Netenyahus Likud würde zumindest mit offenen Karten spielen, während die etwas freundlichere Rhetorik der Arbeitspartei gegenüber einem zukünftigen palästinensischen Staate in krassem Gegensatz zu den tatsächlichen politischen Maßnahmen der Partei stünde. Diese Aussagen verdeutlichen, dass das Vertrauen gegenüber dem wichtigsten Partner während der Oslo-Verhandlungen gegen Null tendiert. Gegenüber der links-zionistischen Partei Meretz-Yachad um Yossi Beilin fand die Gruppe positive Worte, jedoch sei man sich ebenso der marginalen Bedeutung von Meretz bewusst.
3) Aus Sicht der meisten Delegationsmitglieder sei die Zwei-Staaten-Lösung gegenwärtig unrealistisch, da Israel kein Interesse habe, diese umzusetzen. Deshalb ließen verschiedene Mitglieder der Delegation zur Überraschung der europäischen Gesprächspartner immer wieder verlauten, dass man sich für eine demokratische Ein-Staaten-Lösung einsetzen müsse. Die Erfahrung eines gemeinsamen Staates, in dem Juden in wenigen Jahrzehnten eine Minderheit darstellen würden, könnte wiederum die Bereitschaft der israelischen Führung für eine gerechte Zwei-Staaten-Lösung stärken, so das Kalkül einzelner Delegationsmitglieder.
4) Die Delegationsmitglieder, allesamt aus dem Westjordanland, beschrieben die kulturelle Entfremdung zwischen der Bevölkerung im Gaza-Streifen und der Westbank. Nicht erst seit der Machtübernahme der Hamas im Juni 2007 hätten die persönlichen Kontakte, auch aufgrund der Reisebeschränkungen durch Israel, stetig abgenommen. Hinzu käme, dass die beiden Teile der Palästinensischen Gebiete bis 1967 von unterschiedlichen Ländern, Jordanien und Ägypten, verwaltet wurden, was sich bis heute auf die unterschiedlichen Gesetzgebungen auswirkt.
Aus manchen Aussagen und Zukunftsszenarien der Delegation konnte man interpretieren, dass eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ohne Einbeziehung Gazas im palästinensischen Diskurs keinen Tabubruch mehr darstellt.
5) Schließlich waren sich die Mitglieder der Delegation, die sich grundsätzlich sehr kritisch gegenüber der Hamas äußerten, einig, dass eine große Chance vertan wurde, als man den Wahlsieg der Hamas 2006 nicht anerkannte. Israel habe eine große Chance für einen langwierigen Waffenstillstand vergeben, da die Hamas in der Regierungsverantwortung moderater hätte auftreten müssen, um die breite Unterstützung in der palästinensischen Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Innerhalb der palästinensischen Bevölkerung habe aber vor allem die internationale Gemeinschaft und insbesondere Europa riesiges Vertrauen eingebüßt.