Die internationalen Sanktionen gegen die Islamische Republik Iran verstärken den Wertverfall des iranischen Rials in einer Heftigkeit, die der Gesellschaft regelrecht die Luft zum Atmen nimmt. Längst herrscht ein Krieg auf Sparflamme, während die Reichen immer reicher werden. Die Folgen sind unabsehbar.
Ein Gastbeitrag von Friedrich Schulze
Iraner sind an Stau gewöhnt. Besonders in Teheran, der immer quirligen Hauptstadt Irans. Doch in den letzten Monaten hat sich das Treiben auf den Straßen noch mal deutlich verändert. „Ich habe das Gefühl, dass die Menschen schlimmer Auto fahren!“ - „Letztens wurde ich fast überfahren“. Zwei von einigen Kommentaren, die man in letzter Zeit auf den Straßen Teherans hören kann. Seit Jahresbeginn hat sich der Wert des Iranischen Rials gegen den Euro oder den US-Dollar mehr als halbiert. Der Staat hat sich mächtig ins Zeug gelegt, den Wertverfall abzubremsen, hat selbst unzählige Ölmilliarden in den Geldkreislauf gespült und feste offizielle Wechselkurse bestimmt. Doch die Maßnahmen waren ähnlich effektiv wie der Versuch, ein Fass ohne Boden zu füllen.
Und so steigen die Wechselkurse und für die Menschen geht es abwärts. Die offizielle Inflationsrate liegt schon länger bei 25 Prozent. Inoffiziell, hat man das Gefühl, zählt niemand mehr. Scharfe Zungen behaupten mittlerweile wäre man bei einer Inflationsrate von knapp 70 Prozent im Monat angelangt. Das Schockierende ist: Im Iran ist man daran gewöhnt, dass die Preise steigen. „Das war schon immer so“. Doch was in den letzten Monaten passiert macht die Menschen nervös. „Einige Lebensmittelpreise haben sich seit Sommeranfang verdoppelt“.
Ein zynisches Beispiel ist der vor einiger Zeit bekannt gewordene „Hühnerskandal“. Da die Preise für Hühnerfleisch - eines der wichtigsten Lebensmittel - so enorm anstiegen, plante die Regierung mit „subventionierten“ Hühnern die aufgeheizte Lage zu beruhigen. Leider ging der Versuch nach hinten los und beim Verkauf der „Staatshühner“ bildeten sich endlose Schlangen. Die Folge waren Tumulte und Nachrichten-Schlagzeilen die den Eindruck erweckten, als ginge es um die letzten Lebensmittelreserven im Land. Danach wurde es noch beschämender. Der Freitagsprediger von Teheran erklärte in seiner Ansprache, dass „Hühnerfleisch nicht so gesund sei und man deswegen lieber darauf verzichten sollte. Insgesamt sei es überhaupt nicht so nötig“. Zeitgleich wurde darüber diskutiert, dass man in Zukunft im Fernsehen lieber kein Hühnerfleisch mehr zeigen sollte, „um nicht unerfüllbare Wünsche zu wecken“.
Der öffentliche Nahverkehr platzt aus allen Nähten
Benzin ist, verglichen zu europäischen Ländern, immer noch mit umgerechnet etwa 70 Cent pro Liter sehr günstig. Doch gemessen an einem Einkommen von etwa 800 Euro, das einer ganzen Familie durchschnittlich pro Monat zur Verfügung steht, ein stolzer Preis. Hinzu kommt, dass das Benzin oft minderwertig ist und viele Autos auf iranischen Straßen gern 20 Jahre und mehr auf den Buckel haben. Und einen großen Teil der Fahrzeit stehen die Teheraner ohnehin im Stau. So entscheiden sich immer mehr Iraner notgedrungen die sowieso schon überforderten Öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen.
In den vergangenen Jahren hat Teheran einige Fahrbahnen extra für Busse geschaffen. Diese Linien haben tatsächlich einige Fahrzeiten mehr als halbiert. Auch wurden viele alte Busse durch Neue ersetzt.
Die Situation ändert sich allerdings gerade wieder deutlich. Durch den dramatischen Anstieg an Fahrgästen werden wieder die ausrangierten „Oldtimer“ auf die Straßen geholt. Manchmal entstehen nun regelrechte Staus auf den Busspuren, weil es einfach zu viele Busse geworden sind. Nachdem viele Monate die Preise der Fahrscheine stabil blieben sind auch diese nun vorsichtig angehoben worden.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Teheraner Metro, die wohl die Größte des Nahen Ostens ist und jährlich mehr Fahrgäste bewegt als die Berliner U-Bahn. Schon lange plante die Teheraner Stadtverwaltung, die Anzahl der Wagons zu erhöhen, um den
Insassen mehr Luft zum Atmen zu geben, und jetzt - wo der Druck enorm anstieg - wurden die längst überfälligen Wagons von den chinesischen Herstellern gekauft und auf die Schienen gesetzt. Und obwohl auch hier die Preise erhöht wurden, überkommt einen das Gefühl, dass der Platzmangel des Berufsverkehrs zum Regelfall wird. Der öffentliche Nahverkehr platzt aus allen Nähten.
Straßenmusiker als Zeichen der Krise
Eine weitere Entwicklung ist, dass die studierende Jugend der Mittelschicht Jobs sucht. Gewöhnlich arbeitete man als Student einer Mittelschichtsfamilie nicht. Doch die schlechter werdende finanzielle Perspektive vieler Familien drängt die Studenten in die
Arbeit. Das klingt erst einmal nicht so dramatisch, stellt aber oft für die Jugendlichen eine soziale Herausforderung dar, da es auch als ein Zeichen von „Armut“ empfunden wird. Hinzu kommt, dass es derzeit noch viel zu wenige Studentenjobs gibt, da es bisher nur wenig arbeitssuchende Studierende gab.
Die mangelnden Jobchancen sind ein Grund dafür, dass die Anzahl der Straßenverkäufer steigt. Besonders auffällig ist es in der Metro. Schon immer gab es dort den ein oder anderen Verkäufer, der Kaugummis während der Fahrt anbot, doch mittlerweile lässt sich dort fast alles kaufen. Von Kleber, Taschenlampen über Stadtpläne oder Gedichtkarten bis zu Unterwäsche und Socken.
Ein ähnliches Bild zeigt sich auf den Straßen selbst, doch verstreut sich die Schar der Verkäufer hier stärker. Bemerkbarer sind dafür Straßenmusiker, die seit einigen Monaten besonders nachts alte Lieder aus der Zeit der letzten Pahlavi-Dynastie spielen.
Noch viel härter trifft es die Unterschicht. Anstatt zu betteln verkaufen viele arme Teheraner Taschentücher oder bieten Passanten an, sich für eine kleine Spende auf einer Personenwaage wiegen zu lassen. Das führt dazu, dass nach den neusten Statistiken immer noch etwa 80% der Straßenkinder „arbeiten“.
Die Zahl der Bettler und Kinder, die auf der Straße leben, wächst beständig. Und das bedeutet im Iran, rechtlos und darauf angewiesen zu sein, sich mit dem Abtransport von Müll und dem Abfall selbst sein täglich Brot zu verdienen.
Die Revolutionsgarde gewinnt
Doch es gibt auch die Profiteure der Krise. Besonders seit dem die Finanzsanktionen gegen Iran greifen, verdienen sich Geldwechsler und internationale Händler eine goldene Nase. Handel gibt es schließlich immer, er hat nur seinen Preis. Je höher die Hürden, desto größer der Verdienst derjenigen, die den Handel ermöglichen. Und dazu braucht man vor allem eins: Devisen.
Die werden entweder im Ausland gelagert oder im Inland oft illegal getauscht. Und so boomt die „Teheraner Börse“ - wie sich der vielleicht größte illegale Währungstauschplatz in Iran am Teheraner Basar nennt. Die ganz großen Geschäfte werden natürlich woanders gemacht, doch hier sind die Geldhaufen förmlich zu sehen. Der Staat kündigt immer mal wieder an, nun gegen die illegalen Geldwechsler vorzugehen, da sie natürlich die offiziellen Wechselraten untergraben. Da allerdings selbst der Regierung vorgeworfen wird, mit den schwarzen Tauschraten Geld zu machen, und niemand im Land mit den offiziellen Kursen arbeitet, rechnet kein Iraner mit konkreten, selbst mittelfristigen Gegenmaßnahmen. Ganz abgesehen davon wurden die „inoffiziellen“ Kurse bis vor kurzem ebenso selbstverständlich in den Zeitungen abgedruckt wie die „offiziellen“ Werte. Anfang Oktober führten die sprichwörtlichen Massen an Geldwechslern zu Protesten wegen der fallenden Kurse, die sich im Oktober nochmals dramatisch verschlechtert haben. Mittlerweile bekommt man für einen Euro etwa 45.000 Iranische Rial. Anfang September waren es noch etwa 20.000 Rial weniger und einige im Regime fragen öffentlich, wer dafür verantwortlich ist.
Und obwohl es die Oberschicht auch schon längst beim Einkaufen von Importprodukten oder beim Restaurantbesuch merkt, spielt die Krise dort noch keine so große Rolle. Die erwähnten Importeure und Geldwechsler leben gerade vom Abstieg der Anderen. Besonders die Revolutionsgarden, die in den vergangenen zehn Jahren langsam aber sicher zur wichtigsten Wirtschaftsmacht in Iran geworden sind und gleichzeitig die Grenzen kontrollieren sowie auch der gewöhnlichen Polizei überstellt sind, werden immer reicher. Für sie sind die Sanktionen bares Gold wert und so sind sie auch nicht wirklich an einer Entspannung der Lage interessiert.
Verkehrsbußen verlieren an Schrecken
Wenn man durch den Norden Teherans geht, fällt auf, dass an jeder zweiten Ecke ein neues Traumhaus hochgezogen wird. Der Bauboom ist gigantisch. Angeheizt durch die Inflation, günstigen, fast ausschließlich afghanischen Arbeitern und dem „neuem“ Reichtum baut jeder noch ein Haus, bevor sich die Situation wieder verändern könnte. Gleichzeitig begannen in diesem Jahr die Investitionen des letzten Fünfjahres- Entwicklungsplans zu wirken, der große Fortschritte in der Infrastruktur vorsieht. Dass dies natürlich ebenso die Unterschicht stützt und Gelder ins besonders unzufriedene Volk nach den Wahlunruhen von 2009 spült, ist sicherlich kein Zufall. Daher werden gerade neben den Traumhäusern Wege, Straßen, Brücken und jegliche Art von „Stadtverschönerung“ - gern auch Denkmäler für den Iran-Irak-Krieg - gebaut. Und so gibt es in Iran tatsächlich - vor allem in Teheran und besonders in dessen Norden - sichtbaren Fortschritt zu sehen.
Das ändert aber nichts an der extremen Umverteilung, die gerade stattfindet. Die Gesellschaft insgesamt wird dabei immer ärmer. Der Staat selbst versucht mit Gehaltserhöhungen von 17 Prozent im Verwaltungs- und Sicherheitsbereich der Inflation zu begegnen. Dass dies keineswegs ausreicht, wissen die Verantwortlichen wohl selbst. Hinzu kommt, dass in den Universitäten effektiv sogar weniger Lohn die Angestellten erreicht, da hier die Gehaltserhöhungen nicht in allen Bereichen angekommen sind.
Und der Polizeichef kündigte nun an, dass Strafgelder für Verkehrsvergehen ihre Wirkung verlieren, weil sie noch nicht an die Inflation angepasst seien und „es würde die Zielsetzung gefährden, die Unfallrate weiter zu senken“. Mit relativer Sicherheit lässt sich wohl sagen, dass dies kein ausreichender Grund für die am Anfang des Artikels beschriebenen Verhaltensänderungen im Stadtverkehr sein kann.
Die Zeit bis zu den Wahlen ist hochexplosiv
Vielmehr sind es die unzähligen kleinen Veränderungen im Alltag, die Tag für Tag den Druck auf die Iraner erhöhen. Und so fördern die Sanktionen mittlerweile eine extreme Verschärfung der Arm-und-Reich Entwicklung in Iran. Die Gesellschaft wird langsam zerrissen und ausgelaugt. Noch nie gab es so viele Visaanträge für das Ausland wie heute – Tendenz dramatisch steigend, genau wie bei den Ablehnungsbescheiden. Viele Iraner haben die Hoffnung aufgegeben.
Während also die Medien über Risiken des möglichen Angriffs Israels diskutieren, herrscht längst Krieg auf „Sparflamme“, bei dem sich die Hardliner des israelischen und des iranischen Politik gegenseitig in die Hände spielen. Wie bei allen Kriegen sind hiervon vor allem die Unschuldigen betroffen sind.
Für die Revolutionsgarden in Iran könnte es hingegen kaum einen besseren Status quo geben.
Nicht nur, dass sie reichlich Geld verdienen, sie können die Kriegsgefahr vor allem nutzen, um den Druck auf die iranische Bevölkerung und Führungspersonen zu erhöhen. In außergewöhnlichen Zeiten sind außergewöhnliche Mittel „gerechtfertigt“. Und auch wenn sich hoffentlich die „revolutionären Säuberungen“ aus den Zeiten des Iran/Irak-Krieges nicht wiederholen werden, steigt seit drei Jahren die Zahl der Exekutionen an. Relativ zur Bevölkerungsanzahl nimmt Iran damit weltweit den Spitzenplatz ein. Auf der Rangliste von Reporter ohne Grenzen zur Pressefreiheit fällt Iran ebenso seit einigen Jahren und findet sich für 2011 auf Platz 175 von 179 weltweit wider. In dieses Bild passt auch, dass im September die Tageszeitung Sharq geschlossen wurde. Viele Studenten sagten dazu: „Das war noch eine Zeitung, die man lesen konnte“. Und ohne Zweifel gehörte Sharq zu den kritischen Blättern, die versuchten, täglich Journalismus auf hohem Niveau abzuliefern.
Und so stehen die verstopften Busse oder Metrozüge stellvertretend für die Entwicklung in Iran. Nach und nach wird den Menschen die Luft zum Atmen genommen. Und auch wenn die Schmerzgrenze vieler Iraner weit höher ist als die eines durchschnittlichen Europäers, gibt es den Punkt, an dem ein einfaches alltägliches Ereignis einfach zu viel ist. So ist das Protestpotential zurzeit in Iran sehr hoch und die Monate bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen Anfang Juni 2013 und besonders die unmittelbare Zeit danach werden explosiv.