Auch am zweiten Tag nach der Präsidentenwahl im Iran ist es schwer, verlässliche Meldungen aus dem Land zu erhalten. Die Arbeit der internationalen Medien in Teheran wird offenbar massiv behindert, Bilder werden zensiert. Gleichzeitig überschlagen sich bei Twitter und in diversen Blogs die Nachrichten - von Toten ist die Rede. Diese Berichte lassen sich jedoch nicht verifizieren. Darum sollte sich zunächst auf die Kernfrage konzentriert werden, die die Grundlage für den Aufruhr in Teheran gelegt hat:
Wurde die Präsidentschaftswahl im Iran gefälscht?
Natürlich ist es möglich, dass sich die internationalen Beobachter von Mir Hossein Moussavis imposanter Wahlkampagne beeindrucken und verführen ließen und dadurch seine Unterstützung im Volk überschätzt haben. Die Großdemonstration seiner Anhänger in Teheran am vergangenen Montag war sehr endrucksvoll, nur sagt eine Kundgebung in der Hauptstadt wenig über seine Beliebtheit in Qum, Shiraz oder auf dem Land aus. Vielleicht wurden also die Machtverhältnisse zwischen Ahmadinejad und Moussavi vor den Wahlen einfach falsch eingeschätzt.
Gleichwohl gibt es einige Indizien, die auf eine Manipulation des Wahlergebnisses hindeuten. Die Internetseite Tehran Bureau verweist darauf, dass die Ergebnisse in sechs Etappen veröffentlicht wurden. In jeder dieser sechs Etappen entwickelte sich der Abstand zwischen Ahmadinejad und Moussavi linear. Dies erscheint jedoch höchst außergewöhnlich, gerade wenn man die ethnische Diversität des Landes in Betracht zieht. Nate Silver, Experte für Wahlanalysen, zeigt jedoch am Beispiel der letzten Präsidentschaftswahl in den USA, dass eine derart lineare Entwicklung des Abstands zwischen zwei Kandidaten keinesfalls ungewöhnlich und kein Beweis für eine Fälschung der Wahl ist.
Juan Cole, Professor für Nahost-Geschichte an der Universität Michigan, liefert auf seinem Blog andere Hinweise, die auf massive Manipulationen bei den Wahlen hindeuten. Er verweist auf das schwache Abschneiden Moussavis in der Provinz Azerbaijan, seiner Heimatregion. Hier ist der Herausforderer eigentlich besonders populär - dennoch soll Ahmadinejad in Ost-Azerbaijans Hauptstadt Tabriz 57% der Stimmen erhalten haben. Ebenso überraschend scheint Cole die Tatsache, dass Ahmadinejad auch in Teheran mehr als 50% der Stimmen erhalten haben soll.
Auch die Stimmenanzahl für den zweiten Reformkandidaten Mehdi Karroubi erscheint mit 333.000 sehr gering - gerade wenn man bedenkt, dass seine Partei nach eigenen Angaben 400.000 Mitglieder hat. Hinzu kommt, dass Karroubi zur ethnischen Minderheit der Luren gehört. Doch selbst in der Heimatprovinz Lorestan war der Kandidat abgeschlagen.
All diese Indizien sind jedoch nur Hinweise auf Manipulationen, keine zwingenden Beweise. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass es ausgerechnet Mahmud Ahmadinejad gelungen sein soll, über regionale Unterschiede und ethnische Grenzen hinweg landesweit eine deutliche Mehrheit errungen zu haben - mit Siegen in Städten und auf dem Land und in so unterschiedlichen Provinzen wie Azerbaijan, Gilan und Khorazan. Insgesamt erhielt Ahmadinejad sieben Millionen Stimmen mehr als bei der Stichwahl 2005.