„Five Broken Cameras" war als bester Dokumentarfilm für einen Oscar nominiert. Der Palästinenser Emad Burnat dokumentiert darin die Gewalt der israelischen Besatzung in seinem Dorf Bil’in. Einen Oscar gewonnen hat der Film nicht, doch dafür schon im Vorlauf zu den Feierlichkeiten hitzige Debatten ausgelöst. Gefilmt von einem Palästinenser in der Unmittelbarkeit seines Alltags und produziert mit einem israelischen Co-Regisseur, wurden Film und Filmemacher teils angegriffen, teils vereinnahmt. Persönliche Gespräche mit beiden Regisseuren zeugen vom Ringen mit der Besatzung und vom Ringen um das Werk.
Fünf zerstörte Kameras legt er auf den Tisch: „Jede Kamera ist eine Episode in meinem Leben.“ Emad Burnat beginnt 2005 filmend das Leben seiner Familie und seines Dorfes Bil’in zu dokumentieren. Mit der Handkamera begleitet er die ersten Lebensjahre seines Sohnes Jibril, der fast zeitgleich mit dem Baubeginn der israelischen Sperranlage geboren wird. Die verwackelten Bilder zeigen Szenen eines Alltags, den die Besatzung prägt: durch den Bau des Sperrzauns, den sich formierenden Widerstand und die zunehmende Gewalt des Militärs. Die Zuschauer verfolgen das Geschehen wie Emad durch die Linse seiner Kamera – bis das Bild erneut schwarz wird. Vier der Kameras, die Emad zu Beginn des Films vor dem Zuschauer ausbreitet, werden im Laufe der Jahre von der israelischen Armee zerschossen oder zerschmettert. Die Kamera, das Mittel der Dokumentation, macht Ohnmacht und Macht des Dokumentierenden greifbar: Er ist der militärischen Willkür ausgesetzt, doch diese in Bildern festzuhalten kann die Armee nicht verhindern.
„Five Broken Cameras“ ist das Ergebnis der Zusammenarbeit Emad Burnats mit dem israelischen Filmemacher und Aktivisten Guy Davidi. Davidi stieß 2010 auf Einladung Burnats zu dem Projekt und unterstützte es fortan bei Konzeption, Schnitt und Fertigstellung. Solch grenzübergreifende Zusammenarbeit ist seit dem Ausbruch der zweiten Intifada 2000 immer schwieriger geworden: Zum einen gibt es durch die physische Abriegelung der besetzten Gebiete kaum mehr Raum für Begegnung, zum anderen werden gemeinschaftliche Projekte sowohl in Israel als auch in Palästina von vielen Seiten scharf kritisiert. In der immer stärker rechtsgerichteten Gesellschaft Israels sind linke Aktivisten verpönt und in Palästina ist schnell als „Kollaborateur“ verdächtig, wer mit Israelis verkehrt.
Mit Menschen der anderen Seite zusammenzuarbeiten macht verdächtig
Die Oscar-Nominierung für den Film hat diese Spannungen noch einmal deutlich hervortreten lassen und beide Regisseure unter Druck gesetzt. In Israel feierten die Medien die Auszeichnung als außergewöhnliche Ehrung für ihr Land: Neben „Five Broken Cameras“ war auch der israelische Dokumentarfilm „The Gatekeepers“ für einen Oscar nominiert. Dass beide Filme Israel als Besatzungsmacht scharf kritisieren, tat ihrer nationalistischen Vereinnahmung kaum einen Abbruch. In Palästina hoffte man auf einen ersten „palästinensischen“ Oscar, doch Emad Burnats Zusammenarbeit mit einem Israeli blieb umstritten: Nicht wenige sahen den Film durch israelische Zuschüsse und Davidis Einfluss korrumpiert.
Dazu erklärte Davidi nach der Bekanntgabe der Nominierungen: „Wenn ein Film erfolgreich ist, solltest Du Dich zurücklehnen und genießen. Aber wenn ein Film wie ‚Five Broken Cameras’ erfolgreich ist, dann öffnet sich eine Box voller komplexer Herausforderungen.“ Obgleich die Dokumentation einer zutiefst palästinensischen Geschichte, ist der Film wie das Schicksal seiner Figuren untrennbar mit dem Vorgehen des Staates Israel verwoben. So zeugt der Film nicht nur vom kämpferischen Ringen mit der Besatzung, sondern vom Ringen um den Kampf an sich: Nach Jahrzehnten des Konflikts gehen die Meinungen darüber, was man mit welchen Mitteln erreichen möchte, weit auseinander.
Was bedeutet es, wenn eine Dokumentation der Besatzung erfolgreich ist?
Alsharq traf beide Regisseure im Vorfeld der Oscar-Verleihungen einzeln zu Gesprächen. Guy Davidi in einem Café in Tel Aviv, Emad Burnat nach dem freitaglichen Mittagsgebet in seinem Dorf Bil’in. Das Interview findet keine 200 Meter entfernt vom Sperrzaun statt, wo zwei Dutzend Aktivisten sich zur wöchentlichen Demonstration eingefunden haben. Die Unterhaltung wird immer wieder unterbrochen, wenn uns Schwaden aus Tränengas die Sprache verschlagen. Das Militär schießt scharf auf die Hand voll Demonstranten, die Steine in Richtung der meterhohen Betonmauer werfen, die in Bil’in inzwischen den Sperrzaun ersetzt. Beide Gesprächspartner sind müde von den vielen Interviews der letzten Tage. „Heute Morgen kam die BBC. 40 Minuten in der Maske und zwei Minuten vor der Kamera“, sagt Guy. Für das Gespräch mit Alsharq nahmen er und Emad sich mehr Zeit.
Zwei Gespräche voller Widersprüche in Ausschnitten:
Emad Burnat
Guy Davidi
„Da wurde gerade jemand verletzt. Die Soldaten schießen scharf. Meine Kamera ist im Auto, ich sollte filmen. Aber es ist sowieso jede Woche das gleiche.“
„Ich war jahrelang regelmäßig auf den Demonstrationen in der West Bank. Einige Monate lebte ich auch in Bil’in, zog nachts mit Emad los und filmte die Militäreinsätze. Ich kannte die Geschichte Bil’ins unter der Besatzung, die Geschichte der Menschen, die so schnell aus ihrer Kindheit herauswachsen müssen.“
„Das Leben eines jeden im Dorf ist von der Situation geprägt. Jedes von Emads Kindern zum Beispiel, verknüpft den Zeitpunkt seiner Geburt mit politischen Ereignissen. Der eine Sohn, der während der Oslo-Verhandlungen geboren wurde, der andere Sohn, der mit der zweiten Intifada auf die Welt kam. Und Jibril, der geboren wurde, als man anfing, den Zaun zu bauen.“
„Ich begann zu filmen, um meine Familie zu dokumentieren. Die Idee, einen Film über die Geschehnisse hier aus meiner persönlichen Perspektive zu machen, kam mir nach ein paar Monaten: Es gab schon Filme zu dem Thema, aber eine persönliche Sicht auf die Dinge, die gab es noch nicht.“
„Als Emad mich fragte, ob ich mit ihm einen Film machen wollte, lehnte ich erst ab. Ich dachte, es würde zu schwierig werden mit einem Palästinenser zusammenzuarbeiten, einem Mann aus dem Dorf. Außerdem gab es schon Filme über Bil’in.“
„Ich sprach Guy an, nachdem ich schon fünf Jahre gefilmt hatte. Zu dem Zeitpunkt war alles schon da: die Idee, das Material. Ich bat ihn um Hilfe bei den Bemühungen um Finanzierung und bei der Bearbeitung des Films. Durch ihn hoffte ich mehr darüber zu erfahren, wie Außenstehende die Geschichte betrachten und verstehen würden.“
„Emad überredete mich dazu, das Material zu sichten. Die ersten Stunden zeigten nur, was ich schon erwartet hatte: Demonstrationen, Festnahmen – das Übliche. Doch dann kam diese Szene, in der sich ein Mann vor einen Militärjeep stellte. Es war Emads Vater, der sich gegen die Verhaftung seines zweiten Sohnes wehrte. Und da kam mir der erste Text des Films in den Kopf: ,Sollte ich etwas tun, wenn er dort steht, oder nicht?'“
„Es war erstaunlich, dass Emad nie die ganzen persönlichen Details erwähnt hatte. Für ihn war es immer zuallererst eine palästinensische Geschichte gewesen, vielleicht die Geschichte seines Dorfes, doch nie seine ganz persönliche.“
„Der Film zeigt mein Leben, das Leben meiner Familie, wie mein Sohn aufwächst. Das ist Alltag, da können die Menschen mitfühlen. Die sind doch sonst müde von den Bildern des Konfliktes hier. Durch die Oscars werden hunderttausende Menschen mehr über die Situation in Palästina erfahren. Das ist das Wichtigste.“
„Vielen ist nicht klar, dass ich selbst den Text von ‚Five Broken Cameras’ geschrieben habe. Nach Jahren in der West Bank hatte ich ein sehr gutes Verständnis dessen, was vorging. Vieles in diesem Film kommt vielleicht nicht unbedingt von Emad selber, sondern reflektiert meine eigene Sicht auf die Welt.“
„Ich gab die Position als Co-Regisseur an Guy als Person, als Freund, jemand, der oft hier war, um uns zu unterstützen. Das ist alles. Guy kam nicht als Israeli oder als Vertreter des Staates dazu. Es hätte auch jemand anders sein können, ein Deutscher zum Beispiel.“
„Der Film ist keine reine Dokumentation, sondern auch Erzählung. Nicht alle Bilder sind in chronologischer Reihenfolge aneinandergeschnitten. 50 Prozent des Filmmaterials gab es bereits, als ich zu Emad stieß. 20 Prozent ist Material von anderen Kameramännern und 30 Prozent haben wir bewusst und als Material für unsere Geschichte gedreht. Das ist Manipulation, allerdings zugunsten der Geschichte und nicht mit ideologischen Absichten.“
„Die Leute hinterfragen diesen Aspekt zu sehr: Sie sollten sich stärker bewusst machen, dass das Filme Machen ein Handwerk ist. Wir wollen den Menschen mit diesem Film nicht vorschreiben, was sie zu meinen haben, sondern sie dazu anregen überhaupt nachzudenken.“
„Dies ist ein Film gegen Israel, kein israelischer Film.“
„Die israelisch-palästinensische Kollaboration war nicht die Grundidee oder das Ziel des Films. Mir ging es um die Geschichte. Die meiner Familie und die des Dorfes. Und ich habe nach Wegen gesucht, den Film zu realisieren.“
„Dieser Film ist eine Kollaboration – und zwar eine positive. Das Wort Kollaboration ist ein aufgeladenes, gerade in diesem Kontext, doch ich benutze es bewusst, um herauszustellen, dass sie gut sein kann.“
„Natürlich gibt es ein Machtverhältnis, doch die Diskussionen darüber finde ich nicht besonders ergiebig. Auch das Opfer hat ja in gewisser Weise große Macht. Das Opfer kann immer sagen, es sei benutzt worden, manipuliert oder gezwungen. Einige Leute kamen auf mich zu und sagten mir ins Gesicht, dass ich bei diesem Film nicht hätte Regie führen dürfen, weil ich Israeli sei und es sein Material war.“
„Ich werde immer ein Israeli sein. Privilegien lassen sich nicht umkehren, man muss also in dem Rahmen arbeiten, den sie vorgeben. Wir müssen Wege finden, konstruktiv damit umzugehen.“
„Mein Bestreben war es, den Film fertig zu stellen, ihn im Ausland zu zeigen. Israelis stehen mehr Möglichkeiten offen, aber es ging mir um den Film, nicht um mich selbst.“
„Ich war einmal in Jerusalem zu einer Vorführung des Films. Es sollte eine Diskussion geben nach dem Film, doch sie fand nicht statt. Die meisten Reaktionen in Israel waren negativ. Ich beschloss, nicht noch einmal nach Israel zu kommen. Ich glaube die Israelis haben ein Problem damit, wie sie über Palästinenser denken, was sie fühlen. Es ist Mentalität: Die Menschen verschließen ihre Augen.“
„Der Film ist das Ergebnis unseres kulturellen Aufeinanderprallens.“
„Als der Film für die Oscars nominiert wurde, da kannten die Meisten hier die Oscars doch kaum. Aber durch den Film haben sie erfahren, dass es eine große Auszeichnung ist, dass Millionen von Menschen die Oscars verfolgen. Es war also ein Erfolg für den Film und für die Menschen hier.“
„Es war ein großes Problem, als die israelischen Medien anfingen, die Oscar-Nominierung für Israel zu reklamieren. Die Leute hier begannen mich zu fragen, warum er als israelischer Film bezeichnet wurde. Ich versuchte öffentlich klar zu stellen, dass es die israelischen Medien waren, die das behaupteten, dass es nicht die israelische Regierung war, der der Film gefiel. Und auch nicht der Mehrheit der Israelis.“
„Die Dokumentar-Sparte der Oscars ehrt, anders als die Sektion ‚Bester Ausländischer Film’, einen Film nicht als Repräsentanten eines Landes, sondern für sich. Der Film kann also Israel schon mal gar nicht bei den Oscars repräsentieren.“
„Ich möchte Israel nicht repräsentieren. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt ein Land repräsentieren wollen würde.“
„Eine Zeit lang wird das Ganze für Aufsehen sorgen und dann wird die Angelegenheit vergessen werden und das Publikum froh sein, dass es keine Neuigkeiten mehr gibt und sie ihr Leben ungestört und sorglos weiterführen können.“
„Five Broken Cameras“ dokumentiert die Entstehung der Protestbewegung Bil’ins – die in Palästina einen Wandel eingeleitet hat. Seit dem Israel gegen Ende der zweiten Intifada den Bau einer Sperranlage rund um die palästinensischen Gebiete vorantreibt, hat sich auch der palästinensische Widerstand gegen die Besatzung verändert. Bil’in wurde zu einem Zentrum der sich formierenden Bewegung des gewaltlosen Widerstandes. In den ländlichen Gebieten, die besonders von der Ausbreitung der jüdischen Siedlungen und dem Landraub durch die Sperranlage betroffen sind, haben sich die Menschen zusammengetan, um gemeinsam für ihre Lebensgrundlage einzutreten. Es entstanden sogenannte „Popular Resistance Committees“, die den gewaltlosen, von der Bevölkerung getragenen Widerstand organisieren und propagieren. Ihre Aktionen beeinflussen das Erscheinungsbild des Widerstandes inzwischen maßgeblich und die palästinensische Führung nutzt sie zunehmend zur Unterfütterung ihrer diplomatischen Bemühungen.
Ein Symbol für den Aufwind des Strategiewechsels ist die Reihe der Protest-Camps gegen den Siedlungsbau, unter ihnen Bab al-Schams, die die Methoden der Anti-Mauer-Proteste direkt aufgreifen. Palästinensische Aktivisten haben angekündigt, diese Aktionen in den kommenden Monaten zu verstärken. Ganz Palästina, bedeuten die Zeltdörfer, ist ein Bil’in.