25.10.2019
Verzerrungen und Vorurteile – eine kritische Rezension zu Constantin Schreibers „Kinder des Koran“
Der Schulunterricht in muslimisch geprägter Länder ist ein häufig diskutiertes Thema – doch wie haltbar sind Constantin Schreibers Thesen?  Foto: Debby Hudson
Der Schulunterricht in muslimisch geprägter Länder ist ein häufig diskutiertes Thema – doch wie haltbar sind Constantin Schreibers Thesen? Foto: Debby Hudson

Antisemitismus, problematische Frauenbilder und religiöser Fundamentalismus prägen die Schulbücher muslimischer Länder und dadurch die Werte von Muslim*innen – das behauptet der Journalist Constantin Schreiber in „Kinder des Koran. Was muslimische Schüler lernen“. Eine genaue Lektüre zeigt jedoch: Schreibers Analyse ist ungenau, verzerrend und bisweilen faktisch falsch und verbreitet xeno- und islamophobe Positionen, Stereotype und Diskurse. Eine Rezension von Jan Altaner

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Nehmen wir an, eine nicht weiße Journalistin schriebe auf der Grundlage von je einem Schulbuch aus Russland, Ungarn, den USA, Kolumbien und Deutschland ein Buch mit dem Titel „Kinder der Bibel. Was christliche Schüler lernen“. Dieses Buch gäbe vor, christliche Gesellschaften zu erklären und den Leser*innen näher zu bringen. Es wäre kaum denkbar, dass ein Werk mit einer solchen Datengrundlage voller Allgemeinplätze über völlig verschiedene christlich geprägte Gesellschaften unhinterfragt in Deutschland zu einem Sachbuchbestseller würde.

Im Mai 2019 veröffentlichte der ARD-Fernsehjournalist Constantin Schreiber solch ein Buch – jedoch nicht über uns, die Christ*innen, sondern die, die Muslim*innen: „Kinder des Koran. Was muslimische Schüler lernen“ (im Folgenden KdK). Autor und Werk bekamen zuletzt viel unkritische Aufmerksamkeit in den Medien,[1] monatelang befand sich das Buch auf der Spiegel-Bestsellerliste für Sachbücher. Doch das Unbehagen, das der eingangs durchgeführte Orientalismus-Check auslöst – eine über ‚die Anderen‘ getätigte Aussage klingt unhaltbar, wenn sie auf den eigenen, westlichen Kontext übertragen wird – verlangt eine kritische Auseinandersetzung mit Schreibers Buch.

Für diese Rezension wurden sämtliche Quellen Schreibers recherchiert und die von ihm untersuchten Schulbücher aus Palästina und Ägypten ausfindig gemacht. Die Auswertung dieser Quellen weist nach, dass Schreiber grob verallgemeinert, unsauber und manipulierend arbeitet, Tatsachen verdreht und an manchen Stellen bis zur Unwahrheit verzerrt. Kinder des Koran gibt nur vor, aussagekräftig und ergebnisoffen zu sein sowie Verständnis für muslimische Gesellschaften zu schaffen. Tatsächlich aber ist es nicht repräsentativ und konstruiert ein einheitliches Bild antisemitischer, frauenverachtender und fundamentalistischer Muslim*innen.

Schreibers Buch verbreitet, legitimiert und befördert xeno- und islamophobe Positionen, Stereotype und Diskurse, die es dem politisch rechten Rand ermöglichen, sich den Kampf gegen Antisemitismus und die Ungleichbehandlung der Geschlechter diskursiv anzueignen und argumentativ gegen die als anders konstruierten Muslim*innen in Stellung zu bringen. Daher täuscht Schreibers Image des integren, toleranten und wahrheitsliebenden „Brückenbauer[s]“.[2] Insbesondere Medienmacher*innen sollten sich kritischer mit ihm und seiner Arbeit auseinandersetzen.

Vorhaben und Aufbau des Buches

Basierend auf der zentralen Annahme, dass Schulbücher den aktuellen Stand einer Gesellschaft widerspiegeln, untersucht KdK Schulbücher verschiedener Fächer aus muslimisch geprägten Gesellschaften um nachzuvollziehen, welche Werte sie vermitteln (Vgl S.7). Diese Grundannahme, auf der Schreibers gesamtes Buch fußt, muss bereits kritisch hinterfragt werden – da sie nicht ausreichend zwischen Staat und Gesellschaft unterscheidet: Ein durch ein autokratisches Regime gestaltetes Schulbuch spiegelt nicht die Gesellschaft eines Staates wider, sondern versucht im Gegenteil, sie nach Wünschen dieses Regimes zu verändern. Ohne eine umfassende Kontextualisierung kann nicht einfach von einem Schulbuchtext auf gesellschaftliche Realitäten oder die Wertesysteme einer Bevölkerung geschlossen werden.

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Diese Problematik missachtend bilden „insgesamt weit mehr als 100 Bücher aus dem Irak, Jordanien, Libanon, Palästina, Ägypten, dem Iran, der Türkei und Afghanistan“ (S.7) die Grundlage Schreibers Analyse. Im Fazit spricht er sogar von „gut hundert Bücher[n]“, die er sich „angesehen“ habe (S.283, eigene Hervorhebung). Umfassende Auszüge enthält das Buch jedoch nur aus je einem Schulbuch aus Afghanistan, Iran, Ägypten, Palästina und der Türkei. Neben knappen Ländereinführungen analysiert und bewertet Schreiber die abgedruckten Schulbuchinhalte unter Hinzuziehung deutscher Wissenschaftler*innen sowie einheimischer Informant*innen.

Tatsächlich enthalten die von Schreiber abgedruckten Schulbücher problematisch und revisionsbedürftig erscheinende Inhalte und erfüllen deutsche Schulbuchstandards nicht. Insbesondere ein eindeutig antisemitisches afghanisches Schulbuch, das möglicherweise durch internationale – und auch deutsche – Entwicklungshilfe (mit)finanziert wurde, weist auf vorhandene Missstände hin. Im Fokus dieser Rezension stehen jedoch nicht die untersuchten Schulbuchinhalte, die weder verteidigt noch rechtfertigt werden sollen, sondern eine kritische Untersuchung und Auseinandersetzung mit Constantin Schreibers Vorgehensweise und Analyse in fünf Punkten.

1. Kinder des Koran konstruiert falsche Dichotomien zwischen westlichen Mehrheitsgesellschaften und ‚den Muslimen‘ und unterlässt notwendige kritische Kontextualisierungen.

Während Schreiber den untersuchten Schulbüchern vorwirft, „eine Schwarz-Weiß-Welt mit Muslimen und Nichtmuslimen“ (S.58) zu zeichnen, konstruiert KdK selbst eine Dichotomie zwischen uns, dem modernen, rationalen, nicht-antisemitischen, nicht-sexistischen, moderaten Westen – und den Anderen, dem emotionalen, antisemitischen, frauenverachtenden, religiös-fundamentalistischen Kollektiv der Muslim*innen. Bereits der Titel „Kinder des Koran. Was muslimische Kinder lernen“ setzt eine nichtexistierende Uniformität aller Muslim*innen voraus und unterstellt fälschlicherweise, der Koran sei die entscheidende Prägung für alle Schüler*innen in muslimischen Ländern. Dabei sind weder die untersuchten Länder homogen muslimisch, noch definieren sich alle dort lebenden Muslim*innen in erster Linie oder überhaupt durch ihren Glauben.

Doch Schreibers Analyse fußt auf der Annahme, dass ‚muslimisch‘ als Analysekategorie für die verschiedensten, auf drei Kontinenten liegenden Gesellschaften ausreicht. Für die Vielfalt und Komplexität muslimischer Gesellschaften, strukturelle innergesellschaftliche Ungleichheiten und die vielschichtigen Zusammenhänge zwischen Politik, Religion und Gesellschaft ist in KdK kein Platz. Die Dominanz der Analysekategorie „Religion“ verstärkt Schreiber in seiner Analyse dadurch, dass zwei der fünf genauer untersuchten Schulbücher dezidiert religiös sind (Afghanistan: Koranexegese und Iran: Ethik). Problematische Textstellen einzelner Schulbücher entkontextualisiert der Autor und Gründer der Toleranz-Stiftung[3] und verallgemeinert sie unverhältnismäßig auf die Gesamtheit der Muslim*innen: „Ist der muslimische Gott also per se zornig?“ (S.15).

Den vorhanden Antisemitismus, Sexismus oder ideologischen Fanatismus der Mehrheitsgesellschaften europäischer Länder verschweigt Schreiber. Denn seiner Argumentation zufolge existieren Antisemitismus und Frauenverachtung in Deutschland und Europa ohne Migration nicht (Vgl. S.8: „Selbstverständlich ist Jude kein Schimpfwort [in Europa]“). Stattdessen verortet er diese gesamtgesellschaftliche Probleme ausschließlich bei der muslimischen Minderheit, die er gänzlich negativ charakterisiert, auch um in Abgrenzung davon das deutsche Selbstbild zu konstruieren. Der antisemitische Anschlag auf eine Synagoge in Halle im Oktober 2019 verdeutlicht beispielhaft die Absurdität von KdKs Behauptungen, die ferner dazu beitragen, dass Staat und Gesellschaft blind für den Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft ohne Migrationshintergrund bleiben und diesen ausschließlich den Anderen zuweisen.

Es fehlt eine kritische und umfängliche Kontextualisierung der Schulbuchinhalte und Gesellschaften, die für eine profunde Analyse notwendig wären. Schreibers Kontextualisierungen sind extrem verkürzt und unzureichend sowie fehlerhaft und verzerrend. So zeichnet er beispielsweise das „Sich-nicht-verantwortlich-Fühlen und de[n] schwache[n] Gemeinsinn der ägyptischen Gesellschaft“ (S.175) anstelle autokratischer Strukturen für die Probleme des Landes verantwortlich. Die Revolution 2011 und die seither stattfinden Massendemonstrationen, bei denen Tausende für eine Verbesserung der Lebensumstände mit Gefängnis, Folter oder ihrem Leben bezahlten, werden von Schreiber schlicht nicht erwähnt.

2. Schreibers Analyse ist verallgemeinernd und nicht repräsentativ; sie basiert in weiten Teilen auf individuellen Beobachtungen und nicht nachprüfbaren Aussagen anonymer, einheimischer Informant*innen

Der Autor begründet weder warum noch wie er die Länder, Schulbücher und deren Schulbuchauszüge für seine Untersuchung auswählte. Eine solche Begründung wäre insbesondere notwendig, da seine Auswahl in keiner Weise repräsentativ ist. Die nicht belegte Stichprobe ist viel zu klein, um seine verallgemeinernden Aussagen und Schlussfolgerungen zu rechtfertigen. Anstatt arabischsprachige Schulbücher aus Libanon, Jordanien oder Irak aufzunehmen, die Schreiber selbst lesen könnte, enthält sein Buch Schulbuchauszüge aus der Türkei, Iran und Afghanistan, Länder, deren Landessprachen er nicht beherrscht (Vgl. S.9). Eigenen Aussagen zufolge blätterte er einfach mit Muttersprachler*innen durch diese Bücher auf der Suche nach „Interessante[m], Auffällige[m] und Berichtenswerte[m]“ (S.9), ohne zu definieren, was er darunter versteht. So wählte er drei der fünf genauer untersuchten Bücher aus, ohne exakte Übersetzungen und ohne die Übersetzungen anderer Werke, die einen Vergleich ermöglicht hätten.

Folglich kann Schreiber in diesen Fällen allein sprachlich nicht fähig gewesen sein, eine exemplarische Auswahl zu treffen. Seine selektive und intransparente Auswahl übersetzter Schulbuchauszüge, die einen „authentische[n] Blick“ bieten soll, damit sich „jeder Leser […] einen eigenen Eindruck“ (S.10) verschaffen könne, ist eine Farce. Entgegen seinen Behauptungen kürzt er Übersetzungen nicht „behutsam“ (S.10), wie beispielsweise die Überprüfung des online zugänglichen, 140-seitigen palästinensischen Schulbuches zeigt, von dem KdK nur 25 Seiten übernimmt. Dessen Kapitel über Facebook oder das Engagement der unverschleierten Palästinenserin Hind al-Husseini für die Bildung von Frauen und Kindern, die dem einförmigen Bild einer rückständigen, frauenverachtenden muslimischen Schulbildung widersprechen, kürzt Schreiber heraus.

Schreiber unterstreicht seine kritische Argumentation bisweilen, indem er – wissenschaftlich unsauber – auf problematische Stellen in anderen Schulbüchern verweist, ohne diese zu belegen (Vgl. S.7f, 9, 224). Weite Teile des Buches stützen sich außerdem auf individuelle Beobachtungen und ziehen kaum wissenschaftliche Quellen hinzu. Für die Kontextualisierungen Irans und Ägyptens fehlen diese sogar komplett. Stattdessen beruft er sich vielfach auf nicht überprüfbare, sehr subjektive, anonyme Aussagen einheimischer Informant*innen, die passenderweise stets seine Meinung wiedergeben. Schreiber hinterfragt sie nie, sondern präsentiert sie entgegen jeder kritischen journalistischen Praxis als ohne weiteres glaubhaft und repräsentativ (Vgl. z.B. S.170–176), was jedoch nicht über die unzureichende Faktenbasis hinwegtäuschen kann.

3. Schreibers Analyse ist journalistisch unsauber und manipulierend, denn sie enthält eine unausgewogene Berichterstattung, sprachliche Suggestionen, erfundene Inhalte, unlautere Aneignung fremder Texte sowie Verfälschungen von Quellen.

Das Buch beschreibt Muslim*innen und muslimische Gesellschaften nahezu ausschließlich negativ. Seine unausgewogene Berichterstattung wird darüber hinaus auch in der Behandlung von Israel/Palästina deutlich, zugunsten Israels. Einem „altgediente[n] israelische[n] Politikberater“, den er als friedensliebend charakterisiert, stellt er wenige Zeilen später einen Palästinenser gegenüber, der verkündet: „Hitler war ein guter Mann“, „[w]eil er die Juden ermorden ließ“ (S.179). Diese pseudo-neutrale und in ihrer Wirkung manipulierende Gegenüberstellung, verdeutlicht die schwarz-weiße, dichotome Sichtweise auf Israel/Palästina, die Schreiber seiner Leser*innenschaft vermittelt: Die jüdischen Israelis wollen den Frieden, die Palästinenser*innen preisen Hitler.

Doch nicht nur die Wortwahl Schreibers, die oftmals eine bestimmte Interpretation suggeriert, ist problematisch. Findet der Autor auf der Basis der Schulbuchauszüge nur wenige ‚offensichtliche‘ Möglichkeiten für Kritik an Muslim*innen, kritisiert er stattdessen Textinhalte, die es gar nicht gibt. So im Falle des türkischen Schulbuches: Schreiber problematisiert den Abschnitt „Unsere Führer und wir“ aufgrund der Wortwahl im Buch, da ‚Führer‘ „historisch für uns eine eindeutige Konnotation“ und eine „sehr starke Wertung [beinhalte, denn] Führung implizier[e] Stärke“ (S.225f). Ein Abschnitt mit diesem Titel existiert im türkischen Schulbuch jedoch überhaupt nicht! Der Abschnitt, auf den sich Schreiber bezieht, trägt die Überschrift: „Unsere Regierenden und wir“ (S.245) – da er selbst kein Türkisch spricht und nach eigener Aussage mit Muttersprachler*innen zusammenarbeitete, erscheint ein Übersetzungsfehler unwahrscheinlich, eine bewusste Manipulation hingegen naheliegend.

 Jan Altaner

Auch sonst lässt Schreibers Vorgehensweise gute journalistische Praxis vermissen: So eignet er sich aus einem Zeitungsartikel des österreichischen Der Standard[4] viele Passagen und ganze Sätze wortgetreu mit nur wenigen Einfügungen an, ohne dies ausreichend kenntlich zu machen (S.220f). Schreiber stützt sich auf den Artikel als Beleg für bereits lange bestehende Kritik an türkischen Schulbüchern – doch verfälscht er neben dieser Aneignung die Schlagrichtung des Artikels. Im Original schwächt der Artikel die Bedeutung der Feinddarstellung Europas in türkischen Schulbüchern dadurch ab, dass er vielfache Reformbestrebungen und positive Meinungsumfragen gegenüber der EU erwähnt sowie einen westlichen Diplomaten und deutschen Historiker beschwichtigend zu Wort kommen lässt. Doch all dies unterschlägt Schreiber und fokussiert sich ausschließlich auf die negativen Aspekte, wodurch er die Aussage seiner Quelle verfälscht, was guter journalistischer Arbeit widerspricht und verdeutlicht, wie unsauber er arbeitet.

4. KdK gibt vor Verständnis zu schaffen, doch ist die Analyse nicht ergebnisoffen, sondern geprägt von orientalistischen Vorurteilen: Muslim*innen werden als antisemitisch, frauenverachtend und fundamentalistisch dargestellt.

Im Resümee behauptet Schreiber ein problematischer „roter Faden“, die Trias „Islambild, Frauenbild, Antisemitismus“, ziehe sich durch die von ihm analysierten Schulbücher (S.267). Doch diese Behauptung entlarvt sich als falsch, da selbst in den fünf genauer untersuchten, willkürlich von ihm nach unklaren Kriterien ausgewählten Schulbüchern keines dieser drei Elemente so präsent ist, wie er es behauptet.

Nur die zwei religiösen Schulbücher aus Iran und Afghanistan enthalten problematische und zu kritisierende Religions- und Frauenbilder; das ägyptische und türkische erwähnen den Islam kaum oder gar nicht. Die Mehrheit von Schreibers ‚Fallstudien‘ (Ägypten, Türkei und Palästina) enthalten keine Anhaltspunkte für ein problematisches Frauenbild. Für das ägyptische und palästinensische Schulbuch konstruiert Schreiber den Vorwurf des Antisemitismus durch Verallgemeinerungen, Framing und falsche Schlussfolgerungen, dem türkischen und iranischen Schulbuch wirft er an keiner Stelle vor antisemitisch zu sein. Kein problematischer „roter Faden“ aus „Islambild, Frauenbild, Antisemitismus“ zieht sich durch Schreibers Analyse, dafür jedoch sein Versuch, diesen auf der Basis einzelner Befunde zu konstruieren und für alle untersuchten Schulbücher und dadurch für alle Muslim*innen zu verallgemeinern.

Diesem Befund entspricht Schreibers offensichtliche Voreingenommenheit, die seine folgende Aussage über das türkische Schulbuches offenbart: „Ich erwartete also eindeutig problematische nationalistische und religiöse Inhalte“ (S.223). Im Fazit versucht Schreiber seine falschen Erkenntnisse durch das ‚Allgemeinwissen‘ seiner Lesenden zu untermauern. Die Realität in der muslimischen Welt sei „rassistisch, antisemitisch, gewaltverherrlichend“, dass wisse jeder, der „selbst einen entsprechenden Hintergrund hat“, „sich in dem Themenbereich auskennt“ oder „einmal [!] vor Ort war“ (S.283f). Wo genau man dafür „vor Ort“ sein sollte, spezifiziert Schreiber nicht, ein Badeurlaub am Roten Meer scheint auszureichen. Kennste ein muslimisches Land, kennste alle.

5. Schreibers Analyse enthält rassistische, islamophobe und vielfach AfD-nahe Positionen und befeuert, verbreitet und legitimiert rechtsextreme Diskurse, die innergesellschaftliche Problematiken ausschließlich bei Muslim*innen verorten.

Schreiber argumentiert, dass sich ein problematisches Frauen- und Religionsverständnis sowie Antisemitismus bei Muslim*innen durch emotionalisierte Schulbücher wie „Gehirnwäsche“ festsetzten und gerade auch die „jungen Menschen, die […] nach Deutschland kommen“ ein „Leben lang prägen“ könnten (S.270f). In seinem Fazit heißt es: „Aber spiegeln die [ausschließlich negativen] Inhalte der Schulbücher darüber hinaus sogar ein allgemeines muslimisches Weltverständnis wider, das sich unabhängig davon in den Köpfen und Herzen hält, wann jemand nach Deutschland gezogen ist und in welcher Generation er hier lebt? Ein vermeintlich allgemeingültiges muslimisches Weltverständnis, das emotional fest eingeprägt ist?“ (S.272)

 Jan Altaner

Mit dieser rhetorischen Frage suggeriert Schreiber, dass alle Muslim*innen ein spezifisches, antisemitisches, frauenverachtendes und fundamentalistisches Weltbild teilten – egal ob sie in einem muslimischen Land oder in Deutschland geboren und sozialisiert wurden. Denn das muslimische Weltbild sei „emotional fest eingeprägt“ (S.272) und kaum zu verändern, sodass es über die Generationen weitergegeben – quasi vererbt – werde. Diese Bemerkung Schreibers stellt eine Form von kulturellem Rassismus dar, da sich Schreiber nicht auf Rasse, Ethnie oder Gene, sondern auf Kultur – das imaginierte ‚allgemeine muslimische Weltverständnis‘ – stützt, um das Kollektiv der Muslim*innen als anders als und gefährlich für die deutsche Mehrheitsgesellschaft darzustellen und zu stigmatisieren.

Schreibers Darstellung ist stigmatisierend und kriminalisierend. Laut dem Autor sind „[Schulen] der biografisch letzte Ort, an dem wir muslimische Jugendliche zuverlässig erreichen“ (S.273). Er fordert, dass muslimische „Werteverständnis sogar um[zu]formen“(S.273). Seine wenig originellen Vorschläge dazu lauten, speziell Muslim*innen in Deutschland zu Besuchen von KZ-Gedenkstätten zu verpflichten (Vgl. S.274) sowie die Möglichkeit, „muslimische Schüler speziell zu unterrichten“, „[z]umindest punktuell“ (S.275f). Schreibers Vorschlag, durch Ausgrenzung zu integrieren, ist schlicht absurd und erinnert an die Ausländerklassen der 1970er Jahre.[5]

Neben dem konstruierten, ausschließlich negativen und verallgemeinernden Bild von Muslim*innen als antisemitisch, frauenfeindlich und fanatisch hat KdK auch weitere Positionen mit der AfD gemeinsam. Ohne dass die untersuchten Schulbücher dies rechtfertigen würden schürt das Buch mehrfach die Angst vor einer muslimischen Übernahme der Welt (z.B. Die Aussage des einheimischen Informanten aus Iran: „Keiner von uns [Schüler*innen im Iran] zweifelte […] an der Idee, die Welt solle muslimisch werden“ (S.117), sehr hohen Geburtenraten in muslimischen Ländern (Vgl. S.120, 180) und damit verbundenen Migrationsströmen (Vgl. S.122). Tatsächlich stützt sich Schreiber wiederholt auf Schriftliche Anfragen der AfD-Fraktion an die Bundesregierung (S.180f),[6] die dieser unterstellen, mit deutschen Steuergeldern über das UNRWA-Hilfswerk für palästinensische Geflüchtete antisemitische Schulbuchinhalte zu finanzieren, um die vorgebliche Bekämpfung von Antisemitismus gegen Muslim*innen und Einwander*innen zu wenden. Die AfD-Fraktion als Urheberin dieser Anfragen nennt Schreiber nicht.

In der Diskussion um gestiegene Entwicklungshilfe-Zahlungen an das UNRWA ignoriert er die komplexen Gründe, die die von ihm zitierte Antwort der Bundesregierung angibt (Fußnote 6, S.181),[7] und behauptet wider besseren Wissens, der Grund dafür „liegt vor allem in der enorm gestiegenen Zahl der [palästinensischen] Flüchtlinge“ (S.180). Diese Behauptung Schreibers ohne jeden Beleg und gegen die Aussage seiner Quelle - der Antwort der Bundesregierung - zeigt beispielhaft, wie manipulativ und fehlerhaft seine Analyse ist. Doch auf ihrer Grundlage stellte die AfD wiederum eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung.[8] So ist ein fruchtbarer Zirkel zwischen AfD und Schreiber entstanden, der bisher nicht öffentlich thematisiert wurde, sodass Schreiber weiterhin erklären kann, sich für Toleranz und gegen ‚Lügenpresse-Vorwürfe‘ zu engagieren.[9]

Doch hat Schreiber noch extremere Fans am rechten Rand: Auch das Ex-NPD Mitglied Carsten Jahn[10] nimmt bei einer Buchbesprechung KdKs[11] auf seinem Youtube-Kanal Schreibers falsche, verallgemeinernde und verzerrende Analyse und die Überschrift seines WELT-Interviews „[eine] Ganze Generation soll mit Hass auf den Westen aufwachsen“[12] dankend entgegen. Gestützt auf sie wirft Jahn der Bundesregierung vor, bewusst Antisemitismus und Hass auf den Westen in muslimischen Ländern zu finanzieren, um später diese Menschen nach Deutschland zu holen. Mit dieser Rhetorik erreicht der Rechtsextreme über 10.000 Videoaufrufe, während die Kommentarspalten vor antisemitischen Verschwörungstheorien nur so überquellen. So trägt Schreibers Buch dazu bei, dass Rechtsextreme sich den vorgeblichen Kampf gegen Antisemitismus und Ungleichbehandlung der Geschlechter diskursiv aneignen und sie als Argumente gegen die als anders konstruierten Muslim*innen in Stellung bringen.

Wie diese Buchbesprechung zeigen konnte, stimmt in Kinder des Koran nur sehr wenig. Die mangelhafte Analyse sowie Schreibers politische Agenda der Konstruktion eines einheitlichen Bildes der Muslim*innen als antisemitisch, frauenverachtend und fundamentalistisch entlarven sein in der Öffentlichkeit gepflegtes Image eines integren, kritischen und aufrichtigen Journalisten und Experten für ‚den Islam‘, Muslim*innen und den arabischen Raum als Täuschung. Schreiber, der angebliche ‚Mann der Mitte‘ oder „Brückenbauer mit kritischem Blick“ errichtet und stützt Feindbilder in der deutschen Gesellschaft – weshalb insbesondere Medienmacher*innen und Verantwortliche sich kritischer mit ihm und seiner Arbeit auseinandersetzen sollten.

 

[1] Vgl. z.B. „Schulbücher aus dem Orient : Bereinigte Geschichte, geschärfte Feindbilder.“ FAZ, 13.08.2019. www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/klassenzimmer/constantin-schreiber-untersucht-was-muslimische-schueler-lernen-16308244.html ; „Diese Bücher sind keine Basis für Frieden.“ Cicero, 02.05.2019. www.cicero.de/palaestinensische-schulbuecher-koran-kinder-constantin-sch...

[2] Selbstcharakterisierung Constantin Schreibers im Interview mit Karriereführer. www.karrierefuehrer.de/recht/constantin-schreiber-im-gespraech.html

[3] "Triff mich!": Constantin Schreiber gründet Toleranz-Stiftung.“ Tagesspiegel, 20.08.2019, Zitat Schreiber. www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/gegen-vorurteile-und-luegenpresse-theorien-triff-mich-constantin-schreiber-gruendet-toleranz-stiftung/24922746.html

[4] „Türkische Schulbücher sehen europäische Staaten als Feinde.“ Der Standard, 17.08.2005. https://derstandard.at/1879723/Tuerkische-Schulbuecher-sehen-europaeisch...

[5] „Das schwere Erbe der Ausländerklassen.“ Tagesspiegel, 24.10.2013. www.tagesspiegel.de/berlin/schule/schule-und-integration-die-geschichte-...

[6] Deutscher Bundestag (2018): Schriftliche Fragen an die Bundesregierung, Bundestags-Drucksache 19/1126, Frage 22 von Beatrix von Storch, S. 15. https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/011/1901126.pdf ; Deutscher Bundestag (2018): Geldmittel an UNRWA und die Kontrolle durch die Bundesregierung. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der AfD, Bundestags-Drucksache 19/2545, Frage 10, S. 5. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/025/1902545

[7] Deutscher Bundestag (2018): Geldmittel an UNRWA und die Kontrolle durch die Bundesregierung. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der AfD, Bundestags-Drucksache 19/2545.
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/025/1902545

[8] Deutscher Bundestag (2019): Fundamentalistische Schulbücher im Kontext deutscher Entwicklungspolitik. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der AfD, Bundestags-Drucksache 19/10528. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/109/1910902.pdf

[9] Schreiber, Constantin (ConstSchreiber). „Photo Text.” 20.08.2019, 10:58 Uhr, Tweet. https://twitter.com/ConstSchreiber/status/1163721933634113536/photo/2

[10] „Demo: Dem Rechten Aufmarsch entgegentreten“. Köln gegen Rechts. http://gegenrechts.koeln/tag/carsten-jahn/

[11] „Kinder des Zorns - Eine Generation mit falschem Weltbild kommt auf uns zu!“ Carsten Jahn, 01.05.2019. www.youtube.com/watch?v=wbZjNDNulC8&t=121s

[12] „Ganze Generation soll mit Hass auf den Westen aufwachsen“, Die Welt, 30.04.2019. www.welt.de/politik/deutschland/plus192700855/Kinder-des-Koran-Constanti...

Jan promoviert derzeit zur urbanen, sozialen und ökonomischen Geschichte Libanons im 20. Jahrhundert an der University of Cambridge. Zuvor studierte er Nahost-, Geschichts-, und Islamwissenschaft in Beirut und Freiburg. Zwischen 2016 und 2020 war er bei dis:orient im Redaktionsteam sowie als Autor aktiv. Neben der Forschung schreibt er...
Redigiert von Charlie Wiemann, Adrian Paukstat, Daniel Walter