Neun Tage nach dem Beginn des Aufstands sind knapp 400 Menschen bei den Kämpfen in Ägypten getötet worden. Das sind fünf mal mehr Opfer als bei den Protesten der »Grünen Bewegung«, die nach den Präsidentschaftswahlen 2009 im Iran ausbrachen. Damals wurde das Vorgehen der des iranischen Regimes und seiner Milizen zu Recht weltweit eindeutig verurteilt. Heute kann sich der Westen nur zu halbherzigen Solidaritätsbekundungen durchringen.
Seit Tagen lassen sich die USA und Europa von Husni Mubarak vorführen. Täglich wählen die Regierungschefs in Washington, London und Berlin die Nummer des ägyptischen Präsidenten und seines Stellvertreters, jeden Tag treten sie vor die Presse und fordern Gewaltlosigkeit, Reformen und »eine Übergabe der Macht, die jetzt eingeleitet werden muss.« Mubarak verkündet starrsinnig, bis zum Ende seiner Amtszeit auf seinem Posten verharren zu wollen und lässt am nächsten Tag seine Schlägertrupps mit aller Härte gegen die friedlichen Demonstranten vorgehen.
Die zögerliche Haltung der US-Regierung ist falsch
Die Reaktion sind halbgare Verurteilungen aus dem Westen, die ohne jede Konsequenz bleiben. US-Außenministerin Hillary Clinton krönte das Trauerspiel, in dem sie das Regime in Kairo aufforderte »eine unabhängige Untersuchung« der Zusammenstöße vom Mittwoch einzuleiten. Ein Statement aus dem entweder blanker Zynismus oder grenzenlose Naivität spricht.
Präsident Barack Obama sieht dem ganzen Treiben mehr oder weniger tatenlos zu. »Mr. Change« scheint einen durchgreifenden Wandel in Ägypten bestenfalls halbherzig zu wollen. So richtig es war, am Anfang der Proteste Zurückhaltung zu üben, um dem ägyptischen Regime keinen Vorwand dafür zu liefern, die Demokratiebewegung als »westlich gesteuert« zu diskreditieren, so falsch ist sein Schweigen im Angesicht der Jagdszenen aus Kairo.
Natürlich ist es möglich, dass Obama hinter den Kulissen einen härteren Ton gegenüber Mubarak anschlägt. Nur offensichtlich ist er damit bislang ohne jeden Erfolg geblieben. Dabei hätte er anders als im Falle des Iran 2009, zu dem die USA keine diplomatischen Beziehungen unterhalten, ein Mittel gegen das ägyptische Regime in der Hand: Pro Jahr überweisen die USA 1,3 Milliarden US-Dollar an Militärhilfen nach Kairo. Würde Amerika den Ägyptern dieses Geld entziehen, stünde Mubarak vor dem Aus. Denn kein anderes Land wäre willens und in der Lage Ägypten beizuspringen. Der Erzfeind der USA Iran übrigens schon gar nicht, denn seit 1979 gibt es keine diplomatischen Beziehungen zwischen Teheran und Kairo.
Wo also verläuft Barack Obamas rote Linie? In seiner viel umjubelten Kairoer Rede hatte der US-Präsident erklärt, dass Meinungsfreiheit, demokratische Teilhabe und Rechtsstaatlichkeit unveräußerliche Rechte aller Menschen seien. »Deshalb werden wir sie überall fördern und unterstützen.« Anderthalb Jahre später guckt der Friedensnobelpreisträger tatenlos zu wie wenige hundert Meter vom Ort seiner Rede entfernt Menschen gejagt, verletzt und getötet werden, die für genau diese Rechte auf die Straße gehen.
Der Einfluss der USA im Nahen Osten wird weiter geschwächt
Nun verfolgt Barack Obama als Realpolitiker langfristige Ziele und sorgt sich um die amerikanischen Interessen in der Region. Dazu gehören die Sicherheit Israels, Stabilität in der Region und der Zugriff auf den Suez-Kanal. Vermutlich sieht der US-Präsident diese Interessen durch ein neues Regime in Kairo, an dem möglicherweise auch noch die islamistischen Muslimbrüder beteiligt sind, gefährdet und setzt darum auf einen Machtübergang der kleinen Schritte.
Nur sollte der Realpolitiker Obama auch wissen, dass seine zögerliche Reaktion auf das brutale Vorgehen des Mubarak-Regimes das Ansehen des Westens in Ägypten und dem Nahen Osten schweren und nachhaltigen Schaden zufügt, der den Einfluss der USA in der Region weiter schwächen wird. Welcher junge Mensch aus Ägypten, Marokko oder Jordanien soll den salbungsvollen Reden von Demokratien und Menschenrechten fortan noch Glauben schenken, wenn USA und EU nicht bald Partei ergreifen? Dieser Tage werden all jene Skeptiker bestätigt, die dem Westen seit jeher Heuchelei im Umgang mit den Gesellschaften des Nahen Ostens vorwerfen.
Noch ist der Machtkampf in Ägypten nicht entschieden, noch haben Obama, Cameron, Merkel und andere die Möglichkeit, ihr politisches Gewicht für die Aufständischen vom Nil in die Waagschale zu werfen. Denn eines ist klar: Früher oder später wird das Mubarak-Regime vom Volkszorn weggefegt. Der Westen kann mit seiner Haltung jetzt beeinflussen wie eine künftige Regierung in Kairo den USA und Europa gegenüber eingestellt ist. Bislang hat man dabei wenig richtig gemacht.