09.03.2011
Unruhen im Oman - Slow-har brennt
Das Sultanat Oman galt lange als eines der ruhigsten und stabilsten Länder im Mittleren Osten. Noch Ende vergangenen Jahres wurde das 40-jährige Thronjubiläum des Herrschers Sultan Qabus begangen. Es gab eine Woche Sonderurlaub, Extragehälter, Tanz und Gesang. Die Omanis verehren den Monarchen wie einen Halbgott.

Doch vor zwei Wochen erreichte die Welle der Revolten auch den Oman. Über die Krawalle und das veränderte Leben in der Industriestadt Sohar berichtet anonym ein dort lebender Deutscher.

Der Herkunftsort von Sindbad und das wichtigste Industriezentrum des Landes (125.000 Einwohner) ist ein verschlafenes Nest, selbst nach omanischen Maßstäben. Zum Höhepunkt meiner Woche gehörten bisher das Sushi-Buffet im Crowne Plaza Hotel und gemeinsames Fußballschauen bei Schischa und Schwarztee an der Hauptstraße. Das war vor Samstag, dem 26. Februar.

Als ich am Freitag von einem Kurztrip aus Dubai nach „Slow-har“ zurückkomme, freue ich mich noch auf die Ruhe der Stadt, wie ich zu diesem Zeitpunkt noch denke. Samstagmittag klingelt mein Handy: ein deutscher Freund berichtet von einer Demonstration am Weltkugel-Kreisverkehr, der nur einige hundert Meter von unserem Wohnkomplex entfernt ist. Für die Rückfahrt vom Hafen, die sonst nicht mehr als 20 Minuten dauert, benötige ich an diesem Abend über eineinhalb Stunden. Der Verkehrsknotenpunkt ist von Protestierenden blockiert.

Schließlich doch Zuhause angekommen, streife ich mir eine Disch-dasha über und gehe so halbwegs inkognito zum Kreisverkehr. Wo sonst bloß eine kleine Gruppe von Taxifahrern im Schatten der Bäume auf Kundschaft wartet, tobt nun eine gewaltige Demonstration. Rund eintausend Omanis marodieren über den Platz. Straßenschilder sind abgerissen, die Scheiben des großen Supermarkts bereits eingeschlagen, brennende Reifen verbreiten beißenden, schwarzen Rauch. In der Nacht eskaliert die Lage weiter. Die Demonstration wird gewaltsam aufgelöst und die Protestierenden versuchen das Polizeirevier zu stürmen. Wieder steigt Rauch auf, die Wache brennt. 45 Menschen werden festgenommen, zwei sterben. Ausnahmezustand in Sohar.

Rauch über Sohar, der wichtigsten Industriestadt im Oman

Nicht nur die Polizeistation geht in Flammen auf, auch der Amtssitz des Bürgermeisters („Wali“), eine Zweigstelle des Arbeitsministeriums, ein Liquor Store und sogar das Krankenhaus (!) werden angegriffen. Während der Hypermarket am großen Kreisverkehr brennt, plündern erst Männer und dann auch verschleierte Frauen die Regale, schleppen DVD-Spieler, Cola-Paletten, Reis-Säcken, sogar Toilettenpapier und Babywindeln heraus. Die Straßen sind blockiert, verängstigte Ausländer haben ihre Autos offen stehen gelassen. Gestohlene Tanklaster stehen quer auf der Hauptstraße, die im Norden in die Vereinigten Arabischen Emirate und im Süden nach Muskat führt.

Die Polizei kapituliert, Militäreinheiten rücken an. An jedem Kreisverkehr stehen nun Radpanzer und Geländewagen mit Maschinengewehren. Der Hafen von Sohar, industrielle Herzkammer des Landes und Hauptarbeitsort der Expats, wird bewacht wie eine Festung. Einige Kilometer vom Stadtkern entfernt steht zum Eingreifen bereit ein Armeeregiment in der Wüste. Hubschrauber überfliegen die Stadt.

Elf Tage später hat sich die Lage auf der Straße beruhigt. Aber der Protest ist nicht vorbei. Die Bewohner Sohars haben Bürgerwehren aufgestellt, um weitere Plünderungen und Brandschatzungen zu verhindern. Während die Stadtbewohner den Protesten größtenteils mit staunendem Entsetzen begegnet sind, wollen sie nun weitere Zerstörungen durch junge, zornige Männer aus anderen Städten und Dörfern verhindern. Die Protestierenden am Kreisverkehr hatte auch ich nie zuvor in der Stadt gesehen.

Das Militär kontrolliert die Zufahrtsstraßen. Die eilig ernannten Vertreter der Revolte stellen absurde Maximalforderungen: Unter anderem wollen sie einen Mindestlohn von umgerechnet 1000 Euro (wobei dieser erst Ende Februar von umgerechnet 250 auf 400 Euro erhöht wurde) und die Tilgung aller Bankschulden der Einheimischen. Immer wieder stellen wir fest, dass sich der Protest auch gegen Ausländer richtet: Die Expats und die Begüterten aus der Hauptstadt Muskat hätten den Armen die Jobs weggenommen und den Besitz unter sich aufgeteilt. Weil die Demonstranten weiterhin wichtige Straßen und die Hafenzufahrt kontrollieren, müssen wir oft Wegzoll bezahlen. Nur noch gemeinsam mit mehreren Kollegen in einem möglichst unscheinbaren Wagen mit Privatnummernschild wagen wir uns auf die Straßen. Sicher ist sicher.

Der Sultan reagiert mit Unsicherheit und Anbiederung: kurzfristig werden 50.000 Arbeitsplätze in der Zivilverwaltung nur für Omanis geschaffen, ein Beraterrat wird eingesetzt und es gibt erstmals eine Arbeitslosenhilfe in Höhe von umgerechnet 300 Euro. Doch rührt das an den Ursachen der Proteste? Der Kern des Problems scheinen mir nicht Finanzen und Arbeitslosigkeit zu sein, sondern mangelhafte Bildung bei gleichzeitigem Boom. Die wirtschaftliche Entwicklung gründet auf progressiven Entscheidungen des Sultans (etwa Ausbau der Infrastruktur und Tourismus), wurde und wird aber zu größten Teilen von Ausländern bewerkstelligt. Englischsprachige Europäer, Nordamerikaner, Australier oder Südafrikaner bauen in Joint Ventures die Anlagen zum Öl- und Gasexport auf. Neben einer halben Million Indern stellen insbesondere Pakistanis, Bangladeschis und Philippinos die Arbeitskräfte für den Dienstleistungsbereich (Verkäufer, Schneider, Frisöre, Reinigungskräfte, Haushaltspersonal). Das eine wollen, das andere können die Omanis nicht machen. Sie sind gefangen zwischen unzureichender Bildung und übertriebenem Eigenanspruch.

Die politische Klasse wird bei aller internen Korruption auch vom Sultan verhätschelt. Am Nationalfeiertag soll jeder Minister umgerechnet 200.000 Euro und eine Bentley-Limousine bekommen haben. Bei einigen Männern gilt der besonders private Kontakt zum Machthaber als Grund für die Beschäftigung als politische Berater. Über die Frauenlosigkeit von Sultan Quabus gibt es seit Jahren Gerüchte, über die aber unter Omanis selbst in vertraulichen Hintergrundgesprächen nicht gesprochen wird.

Der Protest ist am Ende wohl auch ein Versuch, auf den Zug der Revolution aufzuspringen, strukturelle und vor allem finanzielle Verbesserungen zu erreichen – aber ohne den Herrscher selbst in Frage zu stellen. Einige unserer Mitarbeiter haben gekündigt. Sie wollen jetzt Arbeitslosenhilfe beantragen und dann auch demonstrieren.

In einem Zeitungsinterview hat der niederländische Chef der hiesigen Aluminiumfabrik gerade gesagt: „Omanis sind mitunter wie verzogene Kinder.“