30.03.2009
Tödlicher Anschlag auf PLO-Führer im Libanon

Hier ein Gastbeitrag eines befreundeten Doktoranden:

Kamal Naji (auch bekannt als Kamal Medhat) wurde am 23. März Opfer eines Attentats. Eine Autobombe tötete ihn und drei seiner Gefährten im Südlibanon in der Nähe des Flüchtlingslagers Mieh Mieh. Der Libanon, der bereits Schauplatz vielfältiger Regionalkonflikte ist, scheint immer mehr auch vom inner-palästinensischen Konflikt direkt betroffen zu sein.

Naji war ein palästinensischer Widerstandskämpfer der ersten Stunde. Seine Familie stammte aus Jaffa, wurde von jüdischen Siedlern vertrieben und lebte danach als Flüchtlinge im Gazastreifen. Dort begann Naji nach eigenen Angaben im Alter von 16 Bomben zu bauen, um sie gegen israelische Panzer einzusetzen. Er war bereits Fatah-Mitglied als er 1968 in den Libanon kam. An der Seite Arafats führte er von hier aus den Befreiungskrieg gegen Israel. Er studierte an der Lebanese University, machte weiter Karriere in der Fatah und später in der PLO und wurde schließlich nach dem Abzug Syriens aus dem Libanon 2005 zum stellvertretenden PLO-Chef im Libanon ernannt. Sein Einfluss stützte sich auf seine guten Kontakte zu lokalen Führern in den Flüchtlingslagern. Er vermittelte in Konflikten und verhandelte auch mit rivalisierenden Bewegungen, einschließlich der Hamas.

Dieser Anschlag fallt in eine Zeit lang anhaltender politischer Spannungen zwischen Fatah und Hamas. Spätestens seit den blutigen Machtkämpfen 2007 in Gaza, die die Hamas für sich entschied und daraufhin die Macht ergriff, werfen sich beide Seiten im Libanon gegenseitig vor, die Kontrolle über die Flüchtlingslager mit Gewalt sichern bzw. erobern zu wollen. „Hamas is trying to bring the conflict to Lebanon“, sagte mir Kamal Naji vor drei Monaten ein einem Interview. Auf Nachfrage ergänzte er, dass Hamas seit einigen Monaten versuche, die Fatah militärisch herauszufordern. Er zeigte sich zwar überzeugt, dass Fatah unter den Palästinensern im Libanon weiterhin die deutlich populärste Bewegung darstelle. Dennoch war er besorgt über die Strategie der Hamas, Allianzen mit Fatah-feindlichen und pro-syrischen Gruppierungen einschließlich der libanesischen Hisbollah zu schmieden.

Dass die Rivalitäten ausgerechnet im Libanon Gewaltpotential besitzen, liegt an den außergewöhnlichen Bedingungen der Palästinenser in diesem Land. Trotz aller sozialen und rechtlichen Diskriminierung genießen sie weitreichende politische Freiheiten. Die Flüchtlingslager des Libanon sind weitgehend autonom, sodass auch der Bereich Sicherheit in den Händen der Palästinenser selbst liegt. Dabei hat jedes Lager seine eigene sicherheitspolitische Struktur. Während einige Lager unter kompletter Kontrolle der Fatah stehen, herrschen in anderen Syrien-treue Milizen. Und in einigen herrscht einfach nur Chaos. In Zeiten wachsender inner-palästinensischer Spannungen werden diese staatenfreien Räume zur Gefahr für die Stabilität des ohnehin labilen Landes. Der Anschlag auf einen Moderator und Vermittler wie Naji ist daher auch aus Sicht der libanesischen Regierung sehr besorgniserregend.

Die Struktur der Flüchtlingslager lädt auch Interventionisten von außen ein, ihre Interessen hier zu verfolgen. Das gilt vor allem für Syrien, für das die Palästinenserfrage als Instrument der Machtpolitik im Libanon seit dem militärischen Abzug im Frühjahr 2005 wichtiger denn je ist. Gruppen wie der PFLP-GC Ahmad Gibrils (die während des letzten Gazakriegs Raketen nach Israel feuerte und damit einen Gegenschlag Israels riskierte) und die Fatah al-Intifada besitzen beide als reine Interessenvertreter Syriens bewaffnete Milizen und Trainingscamps außerhalb der Flüchtlingslager. Der libanesische Staat ist ohne syrische Zustimmung nicht in der Lage, diese Milizen zu zerschlagen. In den nördlichen Lagern Nahr al-Bared und al-Baddawi, die jahrzehntelang unter absoluter Kontrolle Syriens standen, hat die Fatah auch nach dem syrischen Abzug noch immer kein eigenes Büro eröffnen können.

Vielleicht aber hatte der Anschlag auch gar nichts mit den libanesischen Verhältnissen zu tun, immerhin fanden zum gleichen Zeitpunkt in Kairo Verhandlungen über eine palästinensische Einheitsregierung statt, die zu torpedieren und der ägyptischen Diplomatie zu schaden im Interesse verschiedener Akteure ist. Die denkbaren Motive sind vielfältig und der Raum für Spekulationen ist groß. Dass für den Chef von Fatah und PLO im Libanon, Abbas Zaki, direkt nach dem Attentat auf seinen Stellvertreter bereits feststand, Israel trage die Verantwortung, muss aber weniger als seine Überzeugung, denn als Versuch der Deeskalation gewertet werden. Auf den Erzfeind Israel lässt sich schließlich leicht verständigen. Würde er palästinensische Gruppen, gar die Hamas oder Syrien als potentielle Attentäter erwähnen, würden sich Fatah-Offiziere sicher zu Vergeltungsschlägen animiert fühlen, mit unvorhersehbaren Folgen.

Abbas Zaki steckt aber weiterhin in einem Dilemma. Er ist einerseits der offizielle Vertreter aller Palästinenser im Libanon und damit Verhandlungspartner der libanesischen Regierung. Zugleich gilt er als wenig einflussreich und durchsetzungsstark in der palästinensischen Flüchtlingsgemeinschaft des Libanon. Besonders seine Fähigkeiten, Konflikte zwischen rivalisierenden Familien und Milizen in den Lagern zu moderieren und Entscheidungen durchzusetzen, sind eher beschränkt.

Diese Rolle hatte bisher vor allem Kamal Naji inne, der auch am 23. März ins Flüchtlingslager Mieh Mieh fuhr, um nach einer Gewalteskalation zweier Familienclans vor Ort zu schlichten.

Maximilian Felsch ist Diplom-Politologe und hat bis 2006 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Politikwissenschaft studiert. Zurzeit promoviert er an der Universität Münster über Hamas in Libanon, Syrien und Jordanien.