Das Konzept der Schweigeminute scheint nicht in Palästina erfunden worden zu sein. Als um 12 Uhr auf dem Manara-Platz im Herzen Ramallahs eine Sirene ertönt, die an die Flucht und Vertreibung von etwa 700 000 Palästinensern aus ihren Städten und Dörfern 1948 erinnert, halten nur wenige Menschen inne, auch der Verkehr fließt ohne Unterbrechung weiter. Die als „Nakba“, also als „Katastrophe“ erinnerten Ereignisse im Zuge der Staatsgründung Israels jähren sich an diesem wechselhaften Sonntag zum 63. Male.
Das Organisationskomitee, bestehend aus Abgesandten verschiedener politischer Parteien, hat ganze Arbeit geleistet. Unter dem Slogan „Wir halten an unserem Land fest. Es gibt keine Alternative zur Rückkehr“ hat es ein abwechslungsreiches künstlerisches Programm konzipiert, das auf einer Bühne dargeboten wird. Nach folkloristischen Tänzen und Rezitationen von Gedichten der palästinensischen Ikone Mahmoud Darwisch wartet das erste Highlight auf: Dem Komitee ist es gelungen, eine Delegation palästinensischer Flüchtlinge aus Libanon und Syrien ins Westjordanland zu bringen. Als ein Mitglied der Delegation solidarische Grüße aus den palästinensischen Lagern im Libanon überbringt, bekommen Einige im Publikum feuchte Augen. Die israelische Belagerung Beiruts 1982 sowie das Massaker von Sabra und Schatila nehmen im palästinensischen kollektiven Gedächtnis eine zentrale Rolle ein.
Als die libanesisch-palästinensische Band Haneen dem Publik mit den Klassikern des Widerstands gegen die „Besatzung Palästinas“ einheizt, nimmt die Veranstaltung an Fahrt auf. Es herrscht Volksfestcharakter, immer wieder tanzen Gruppen spontan den palästinensischen Volkstanz Dabke. Den emotionalen Höhepunkt des Nachmittags bildet jedoch der Auftritt des Sängers und Dichters Abu Arab. Die patriotischen Hymnen des in Syrien lebenden 83-jährigen, selbst ein Opfer der „Nakba“, sind jedem Palästinenser bekannt und berühren die Anwesenden zutiefst.
Kontrastprogramm Qalandiya
Ähnliche Vorkommnisse ereignen sich in weiteren Orten der Palästinensischen Gebiete, etwa in Bir Zeit, im Ost-Jerusalemer Stadtteil al-Issawiya und in al-Walaja, wo der prominente Zivilgesellschaftler Mazen Qumsiyeh verhaftet wird. Glücklicherweise kommt dabei niemand ums Leben. Anders als im Gaza-Streifen und in Silwan, einem der Hotspots Ost-Jerusalems, wo bereits am Samstagmorgen der Jugendliche Milad Said Ayyasch Schusswunden erlag, die er laut Angaben von Augenzeugen am Freitag durch einen israelischen Siedler erlitt. In der Folge wurden die Ost-Jerusalemer Stadtteile Ras al-Amoud und Silwan bis Sonntag nacht hermetisch abgeriegelt. Der belgische Fotojournalist Jan Beddegenoodts war am Freitag nach dem Mittagsgebet in Silwan und hat die Auseinandersetzungen gefilmt.
Im Zentrum der administrativen Hauptstadt Palästinas haben sich einige Tausend Leute versammelt. Ein Großteil von ihnen hat sich bereits am frühen Nachmittag den Schulklassen aus den umliegenden Flüchtlingslagern angeschlossen, die als Protestzug vom Mausoleum Yassir Arafats, der politischen Vaterfigur Palästinas, zum Manara-Platz marschiert sind.
„Es gibt keine Alternative zur Rückkehr“
Die identitären Symbole der Palästinenser sind omnipräsent. Neben der Kuffiyeh, dem Palästinensertuch, sind es vor allem die großen schweren Metallschlüssel, die viele Flüchtlinge beziehungsweise Vertriebene 1948 in der Annahme mitnahmen, kurze Zeit später in ihre Häuser in Jaffa, Haifa oder Akko zurückkehren zu können.
Der Schlüssel als Symbol der Flüchtlinge und Vertriebenen |
Das Organisationskomitee, bestehend aus Abgesandten verschiedener politischer Parteien, hat ganze Arbeit geleistet. Unter dem Slogan „Wir halten an unserem Land fest. Es gibt keine Alternative zur Rückkehr“ hat es ein abwechslungsreiches künstlerisches Programm konzipiert, das auf einer Bühne dargeboten wird. Nach folkloristischen Tänzen und Rezitationen von Gedichten der palästinensischen Ikone Mahmoud Darwisch wartet das erste Highlight auf: Dem Komitee ist es gelungen, eine Delegation palästinensischer Flüchtlinge aus Libanon und Syrien ins Westjordanland zu bringen. Als ein Mitglied der Delegation solidarische Grüße aus den palästinensischen Lagern im Libanon überbringt, bekommen Einige im Publikum feuchte Augen. Die israelische Belagerung Beiruts 1982 sowie das Massaker von Sabra und Schatila nehmen im palästinensischen kollektiven Gedächtnis eine zentrale Rolle ein.
Die Stimmung ist emotional, jedoch wenig bedächtig, vor allem aber friedlich. Das bunt gemischte Publikum, jung und alt, weiblich und männlich, lässt sich nicht zu Schmähungen Israels verleiten, wie man es etwa von Veranstaltungen der Hizbullah kennt. Zwischen den musikalischen und künstlerischen Beiträgen werden lediglich „das Ende der Besetzung“ sowie „das Ende der palästinensischen Teilung“ mit Sprechchören gefordert. In diesem Zusammenhang ist es dem Komitee hoch anzurechnen, dass es seinen Aufruf an die Bevölkerung, auf parteipolitische Symbole zu verzichten, weitestgehend durchsetzt. Im Meer palästinensischer Flaggen haben sich nur wenige Fatah-Fahnen von ein paar Unverbesserlichen verirrt. Apropos Fatah: Als ein Grußwort für Yassir Arafat und Mahmoud Abbas gesprochen wird, brandet beim ersteren Applaus auf, wohingegen dem gegenwärtigen Palästinenserführer nur verhaltenes Klatschen zuteil wird. Dass Abbas am Tag der Flüchtlinge schlecht wegkommt, mag nicht verwundern. Schließlich hat sich der Palästinenserpräsident gemäß den Enthüllungen der „Palestine Papers“ mit den israelischen Verhandlungspartnern darauf verständigt, dass lediglich 10 000 der etwa 5 Millionen registrierten palästinensischen Flüchtlinge in ihre alte Heimat zurückkehren sollen. Ein Verrat an der „Palästinensischen Sache“, argumentieren nicht zuletzt die Betroffenen.
Palästinensisches Fahnenmeer |
Als die libanesisch-palästinensische Band Haneen dem Publik mit den Klassikern des Widerstands gegen die „Besatzung Palästinas“ einheizt, nimmt die Veranstaltung an Fahrt auf. Es herrscht Volksfestcharakter, immer wieder tanzen Gruppen spontan den palästinensischen Volkstanz Dabke. Den emotionalen Höhepunkt des Nachmittags bildet jedoch der Auftritt des Sängers und Dichters Abu Arab. Die patriotischen Hymnen des in Syrien lebenden 83-jährigen, selbst ein Opfer der „Nakba“, sind jedem Palästinenser bekannt und berühren die Anwesenden zutiefst.
Die Band Haneen auf der Konzertbühne. |
Kontrastprogramm Qalandiya
Nur wenige Kilometer weiter südlich bietet sich ein Kontrastprogramm zur friedlichen Atmosphäre im Herzen Ramallahs. Am Qalandiy-Checkpoint liefern sich mehrere hundert palästinensische Jugendliche wilde Straßenschlachten mit kaum älteren israelischen Soldaten. Steine, brennende Reifen und vereinzelte Leuchtgeschosse gegen Tränengas- und Gummigeschosse sowie laut Rotem Kreuz vereinzelt scharfe Munition, stundenlang geht es so. Alle paar Minuten werden Jugendliche vom Roten Halbmond beziehungsweise Kreuz abtransportiert. Die bittere Bilanz: hunderte Verletzte, größtenteils durch Tränengas, zum Teil jedoch auch durch andere Geschosse.
Krankenwagen am Checkpoint Qalandiya |
Ähnliche Vorkommnisse ereignen sich in weiteren Orten der Palästinensischen Gebiete, etwa in Bir Zeit, im Ost-Jerusalemer Stadtteil al-Issawiya und in al-Walaja, wo der prominente Zivilgesellschaftler Mazen Qumsiyeh verhaftet wird. Glücklicherweise kommt dabei niemand ums Leben. Anders als im Gaza-Streifen und in Silwan, einem der Hotspots Ost-Jerusalems, wo bereits am Samstagmorgen der Jugendliche Milad Said Ayyasch Schusswunden erlag, die er laut Angaben von Augenzeugen am Freitag durch einen israelischen Siedler erlitt. In der Folge wurden die Ost-Jerusalemer Stadtteile Ras al-Amoud und Silwan bis Sonntag nacht hermetisch abgeriegelt. Der belgische Fotojournalist Jan Beddegenoodts war am Freitag nach dem Mittagsgebet in Silwan und hat die Auseinandersetzungen gefilmt.
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Zu den Ereignissen an der israelisch-syrischen beziehungsweise -libanesischen Grenze veröffentlicht Alsharq in Kürze einen weiteren Artikel.