03.07.2013
Syriens Kinder - eine bestohlene Generation
Ein Junge holt Wasser im Zaatari-Camp in Jordanien. Foto: Karl Schembri/Oxfam, Mai 2013
Ein Junge holt Wasser im Zaatari-Camp in Jordanien. Foto: Karl Schembri/Oxfam, Mai 2013

Syriens Kinder zahlen den höchsten Preis für den Konflikt in Syrien. Wehrlos sind sie Krieg und Vertreibung ausgesetzt. Doch die humanitäre Katastrophe bedeutet für die Jüngsten sehr viel mehr als direkte Gewalterfahrungen. Von Anna Clementi

“Wir waren zuhause, als sie begannen Hama zu bombardieren. Zwei meiner Töchter wurden verletzt, während sie im Wohnzimmer fernschauten. Sie brauchten medizinische Versorgung in einem Krankenhaus. Deshalb sind wir aus Syrien geflohen.“

Fatima ist eine junge Frau, die im Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien lebt. Ihre Geschichte ähnelt den Geschichten vieler anderer Mütter, die ihre Kinder in den letzten beiden Jahren großgezogen, unterstützt und begraben haben.

Babys, Kinder und junge SchülerInnen bezahlen den höchsten Preis für die syrische Krise. Laut des im März 2013 veröffentlichten UNICEF-Berichts “Children of Syria: a lost generation?” sind mehr als zwei Millionen Kinder in Syrien von Hilfsleistungen abhängig. Darüber hinaus bedürfen 1,2 Millionen syrische Flüchtlinge in Jordanien, im Libanon und in der Türkei humanitärer Unterstützung. Sie sind die stummen und vergessenen Akteure des syrischen Konflikts – Opfer von Gewalt, Mord, Vergewaltigung, Folter und willkürlichen Verhaftungen.

Diejenigen, die sich dafür entschieden haben, in Syrien zu bleiben, haben keinen adäquaten Zugang zu Gesundheitsversorgung. Die hygienischen Bedingungen haben sich in großen Teilen des Landes dramatisch verschlechtert. Mangelnde medizinische Versorgung führt dazu, dass Krankheiten wie Diarrhoe gerade bei den Jüngsten häufiger tödlich ausgehen.

Ebenso bleibt vielen Kindern der Zugang zu Bildung verwehrt. Mehr als 2.000 Schulen sind während des Konflikts beschädigt oder zerstört worden. Viele der Schulgebäude sind zu Zufluchtsorten für Flüchtlinge und Vertriebene umfunktioniert worden.

In den Flüchtlingslagern in Jordanien und der Türkei, ebenso wie in den informellen Zeltansammlungen des Libanons, sind die Lebensbedingungen prekär. Als den Nahen Osten im Januar eine Kältewelle, Fluten und Windstürme erfassten, wurde mehr als die Hälfte der Flüchtlingskinder krank – einige starben. Bald kommt der Hochsommer und die Hitze in den Camps wird kaum zu ertragen sein.

Die Schulabbruch-Quote ist sehr hoch: “Seit wir Syrien verlassen haben, gehen meine Kinder nicht mehr in die Schule”, erklärt Mohammed, junger Vater von vier Kindern, mit denen er nach Jordanien geflohen ist. „Wir verstehen nicht, wo wir sind. Deshalb ziehen wir es vor, zusammen im Zelt zu bleiben. Dort fühlen wir uns sicherer.“

Diejenigen, die weiterhin zur Schule gehen, haben Schwierigkeiten, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Rana lebt seit einigen Monaten in der nordjordanischen Stadt Zarqa. Sie ist sehr besorgt um ihren Bruder. „Ich habe Angst, dass mein Bruder bald nicht mehr zur Schule gehen wird. Er ist immer alleine, hat keine Freunde und alle Jungen der Schule machen sich über ihn lustig.“

Die psychologischen Auswirkungen des Konflikts auf die geistige Gesundheit und Entwicklung der Kinder sind besorgniserregend. Es gibt Wunden, die nicht heilen werden und Bilder, die nicht mehr vergessen werden. Der dreijährige Mahmoud versteckt sich hinter einem Vorhang und weint. „Mein Sohn läuft weg, weil er die Kamera für eine Schusswaffe hält“, erklärt seine Mutter Hasna.

 

Alle Namen im Bericht wurden verändert. Übersetzung aus dem Englischen von Christoph Dinkelaker.

Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache unter dem Titel "Syria's Children: a stolen generation" auf der Webseite Focus on Syria. Focus on Syria (FoS) ist ein unabhängiges Netzwerk, das die in vielen Medien vernachlässigte humanitäre Dimension des Konflikts in Syrien beleuchtet. Gezielt vermeidet es FoS, im Konflikt Partei zu ergreifen. Alsharq kooperiert in den kommenden Monaten mit FoS und wird ein bis zwei FoS-Artikel im Monat ins Deutsche übersetzt veröffentlichen.

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