08.04.2016
Schutz von Zivilist_innen in Syrien: Fordern, was richtig ist
Ausschnitt eines Videos des Bashar Assad Crimes Archive. Photo: CC-BY-Bashar Assad Crimes Archive/SRLW (https://www.youtube.com/watch?v=Umtzz2J6Bik)
Ausschnitt eines Videos des Bashar Assad Crimes Archive. Photo: CC-BY-Bashar Assad Crimes Archive/SRLW (https://www.youtube.com/watch?v=Umtzz2J6Bik)

Das syrische und das russische Regime haben in den letzten fünf Jahren vorsätzlich zivile - insbesondere medizinische - Infrastrukturen in den von der Opposition gehaltenen Gebieten Syriens zerstört. Seit Beginn der anhaltenden Waffenruhe sind diese Angriffe zwar zurückgegangen, doch angesichts der Fragilität des Waffenstillstandsabkommens sind entsprechende Mechanismen zum Schutz von Zivilist_innen dringender nötig denn je, findet Haid Haid.

Russische und Syrische Staatskräfte haben in Syrien systematisch Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen angegriffen. Zu diesem Ergebnis kam ein Anfang März veröffentlichter Bericht von Amnesty International, der sechs Angriffe der vorangegangenen 12 Wochen in der Gegend um Aleppo analysierte. Der Bericht wies auf die vorsätzliche Zerstörung der Gesundheitsinfrastruktur in den von der Opposition gehaltenen Gegenden hin und konstatierte, dass diese Angriffe Kriegsverbrechen gleichkämen und darauf abzielten, den regimetreuen Kräften die Eroberung Nord-Aleppos zu erleichtern.

Sowohl der Kreml als auch das Assad-Regime stritten jedoch ab, zivile Gebiete angegriffen zu haben und beharrten darauf allein terroristische Ziele ins Visier zu nehmen.

Die Zahl der Angriffe auf Krankenhäuser ist seit Beginn des anhaltenden Waffenstillstands in Syrien zwar bedeutend zurückgegangen, doch gibt es noch immer keinerlei Mechanismen, um zivile Ziele davor zu schützen, wieder angegriffen zu werden, sollte das fragile und temporäre Waffenstillstandsabkommen zusammenbrechen.

Systematische Manipulation und Zerstörung medizinischer Infrastrukturen durch das Assad-Regime

Bereits kurz nach Beginn der friedlichen syrischen Revolution im März 2011 hatte das Assad-Regime begonnen, syrische medizinische Arbeitskräfte anzugreifen und den Zugang zur Gesundheitsversorgung für Zivilist_innen zu manipulieren.

Ein weiterer Amnesty-Report von Oktober 2011 stellt fest: „Im Rahmen ihrer Bemühungen, die beispiellosen Massenproteste und –demonstrationen zu zerschlagen, hat die syrische Obrigkeit Krankenhäuser und medizinisches Personal in Instrumente der Repression verwandelt. Menschen, die bei den Protesten oder anderen Vorfällen, die mit dem Aufstand in Verbindung stehen, verletzt wurden, sind in staatlichen Krankenhäusern verbal misshandelt und physisch angegriffen worden, unter anderem von medizinischem Personal. In manchen Fällen wurde ihnen die medizinische Versorgung verweigert. Viele derjenigen, die ins Krankenhaus gebracht wurden, wurden verhaftet.“

Die Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen wurden später Teil von Assads Strategie der kollektiven Bestrafung der zivilen Bevölkerung, welche darauf abzielte, Menschen in den von der Opposition kontrollierten Gebieten zu töten, zu terrorisieren und zu vertreiben. Der jüngste Bericht von Amnesty bestätigt, dass auch die russische Intervention in Syrien Assads frühere Strategie der Terrorisierung von Zivilist_innen verfolgt hat, um rasche militärische Erfolge einzufahren.

Die Beobachtergruppe Physicians for Human Rights dokumentierte im Laufe des fünfjährigen Konflikts 346 Angriffe auf medizinische Einrichtungen, welche den Tod von 705 medizinischen Arbeitskräften zur Folge hatten. Die meisten dieser Angriffe wurden dem syrischen Regime zu Lasten gelegt.

Im Februar 2016 beschloss die internationale Charity-Organisation Médecins Sans Frontieres (MSF), die syrische Regierung und ihre russischen Alliierten formal nicht über den Standort einiger medizinischer Einrichtungen zu informieren, aufgrund der Befürchtung, dass dies sie zu Zielobjekten machen könnte. Dennoch wurden einige Krankenhäuser angegriffen, was darauf hinweist, dass das Assad-Regime und Russland zumindest über den Standort einiger Einrichtungen Bescheid wussten.

Zuhair, ein in Aleppo arbeitender Arzt, behauptet ebenfalls, dass das syrische Regime vorsätzlich Krankenhäuser angreift. „Assad kennt den Standort von Schulen, Krankenhäusern und Märkten – und das ist der Grund, weshalb diese Orte normalerweise häufiger angegriffen werden als andere Gebiete“, sagt er. „Sie wollen uns Angst einjagen, sodass wir das Land verlassen oder aufgeben.“

Russische und syrische Regierungskräfte hatten abgestritten, Zivilist_innen und zivile Infrastrukturen in Syrien angegriffen zu haben – trotz einer Vielzahl von Beweisen, die die Anschuldigungen untermauern. Die Abwesenheit eines politischen Willens seitens der internationalen Akteure, beide Regierungen für ihre Verstöße zur Rechenschaft zu ziehen, erlaubt jenen, mit ihren Kriegsverbrechen fortzufahren.

Rami, ein syrischer Aktivist in Nord-Aleppo, klagt die internationale Gemeinschaft an, Assad ungestraft töten zu lassen: „Wir wissen nun, dass Assad alle Syrer_innen töten möchte, die es wagen nach ihren Grundrechten zu fragen. Was mich jedoch noch immer enttäuscht, ist, dass niemand aus der internationalen Gemeinschaft irgendetwas tut, um ihn aufzuhalten. Er ist frei uns zu töten – ganz so wie es ihm beliebt."

Mögliche Mechanismen zum Schutz von Zivilist_innen in Syrien

Dies könnte sich ändern, wenn humanitäre Organisationen und Menschenrechtsorganisationen einen Interessenverband bildeten, der nicht nur Druck auf das Assad-Regime und Russland ausüben, sondern sich auch für eine Mobilisierung anderer – schlagkräftigerer – internationaler Akteure einsetzen würde.

Eine Aufgabe dieses Interessenverbands wäre es beispielsweise, Daten all der Angriffe auf zivile Infrastruktur zu sammeln, um die Gegebenheiten zu verstehen, unter welchen diese Angriffe stattfanden.

Krankenhäuser genießen einen besonders geschützten Status unter Humanitärem Völkerrecht. Ein Krankenhaus oder eine medizinische Einheit absichtlich anzugreifen – sei sie zivil oder militärisch – wird als Kriegsverbrechen gewertet. Doch: Das Humanitäre Völkerrecht ist flexibel in Bezug darauf, wie kollaterale Schäden an Krankenhäuser zu bewerten sind, die aus Angriffen auf legitime militärische Ziele in der Nähe resultieren. Die Daumenregel ist: Wenn der Schaden am Krankenhaus angesichts des direkten und konkreten militärischen Vorteils, der aus dem Angriff des nahen Ziels entsteht, nicht exzessiv ist, dann kann der Schaden als gerechtfertigt gesehen werden.

Aus diesem Grund sollte der Interessenverband die lokalen Gemeinden mobilisieren, damit sich mögliche militärische Ziele weit weg von Krankenhäusern befinden. Sie müsste die Helfer der Opposition dazu bringen, Druck auf deren bewaffnete Gruppen auszuüben, damit diese von zivilen Einrichtungen fern blieben.

Nour, eine syrische Aktivistin aus Daraa, hat Erfahrungen damit, die lokale Gemeinde zu mobilisieren, um bewaffnete Gruppierungen aus zivilen Gebieten zu drängen. „Wir sind uns dessen bewusst, dass Assad die FSA (Freie Syrische Armee) als Ausrede nutzen könnte, uns Zivilist_innen anzugreifen. Deshalb konnten wir seit Beginn [des Konflikts] mit Hilfe einiger Notablen die lokalen FSA-Gruppen davon überzeugen, nicht innerhalb der Stadt zu operieren“, sagt sie.

Die Unfähigkeit, diejenigen endgültig zu identifizieren, die für die Angriffe auf zivile Infrastrukturen verantwortlich sind, ist der Grund dafür, weshalb diese Angriffe weiter stattfinden können. Der Interessenverband wäre entscheidend in seiner Aufgabe, nach etwaigen Angriffen die mutmaßlichen Täter zu identifizieren. „Naming and Shaming“ könnte ein wichtiger Schritt sein, wenn einige Kräfte sich weigerten zu kooperieren. Anschließend könnten Internationale Kampagnen gegen Akteure gegründet werden, die weiterhin Krankenhäuser angreifen. Auch könnte Druck ausgeübt werden auf andere internationale Akteure, sich ebenfalls in den Prozess einzubringen.

Riham, eine in der Türkei lebende syrische Aktivistin, glaubt, dass die einzige Lösung, um Angriffe auf Zivilist_innen zu stoppen, in der Bildung eines internationalen Solidaritäts-Netzwerk besteht. „Syrer stehen nicht auf der Agenda westlicher Politiker. Nur durch Solidaritäts-Bewegungen ausgehend von der Graswurzelebene können wir das ändern“, sagt sie. „Lokale Gemeinschaften in verschiedenen Ländern müssen damit anfangen, Druck auf ihre politischen Vertreter auszuüben, um unserer Misere ein Ende zu machen.“

Die Bildung einer solchen Interessengruppe wird natürlich nicht von heute auf morgen gelingen, jedoch zeigen vorherige Erfahrungen mit internationalen Solidaritäts-Bewegungen, dass solche eine Initiative möglich ist. Humanitäre Organisationen und Menschenrechtsgruppen sollten fordern, was richtig ist und sich nicht auf das begrenzen, was möglich ist.

 

Dieser Beitrag erschien auch auf NOW.

 

Aus dem Englischen von Laura Overmeyer

 

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