Der maronitische Patriarch Nasrallah Boutros Sfeir hat beim Papst seinen Rücktritt eingereicht. Der 90-Jährige stand fast 25 Jahre lang an der Spitze der »Maronitisch-Syrischen Kirche von Antiochien«.
Aufgrund des ausgeprägten Konfessionalismus besitzen religiöse Würdenträger im Libanon eine hohe gesellschaftspolitische Bedeutung. Das gilt insbesondere für die Maroniten, die mit Abstand größte christliche Gemeinschaft des Libanon. Ihre gesellschaftliche Funktion sieht die Kirche im Zusammenhalt der Gemeinschaft. Auf ihrer letzten patriarchalen Synode 2003-2004 hat sie zudem beschlossen, sich ebenso als Vertreterin der im Exil lebenden maronitischen Libanesen zu organisieren, die heute die Mehrheit aller Maroniten bilden.
Die Bedeutung des Libanon für die Maroniten lässt sich am besten mit der Israels für die Juden vergleichen. Der Libanon gilt den Maroniten in aller Welt als Garant für das Überleben ihrer ethno-religiösen Gemeinschaft. Die Kirche wurde bereits im 7. Jahrhundert im syrischen Orontes-Tal gegründet und benannte sich nach dem syrischen Mönch Maron. Mitte des 15. Jahrhunderts vereinigte sich der maronitische Klerus offiziell mit der römisch-katholischen Kirche in Rom.
Als Sfeir 1986 sein Amt antrat, befand sich der Libanon noch im Bürgerkrieg. Die letzte Phase des Kriegs war geprägt von erbitterten innerchristlichen Kämpfen zwischen der christlich-nationalistischen Miliz der Lebanese Forces und den Anhängern des maronitischen Oberbefehlshabers der Armee, Michel Aoun. Anders als seinem Vorgänger Antoine Khreich gelang es Sfeir nicht, eine ausgewogene, zwischen den Konfliktparteien vermittelnde Rolle einzunehmen. Sfeirs Nähe zu den im christlichen Kerngebiet autonom herrschenden Lebanese Forces und deren Führungsfigur Samir Geagea brachten dem Patriarchen seitens Sympathisanten Aouns den spöttischen Spitznamen »Abu Samir« ein. Wie sehr Sfeir bereits in seinen ersten Amtsjahren als Reizfigur wahrgenommen wurde, zeigte sich, als 1989 Gefolgsleute Aouns den Amtssitz des Patriarchen in Bkerke verwüsteten.
Sfeir versuchte sich als Schlichter – und hatte dennoch eindeutige politische Präferenzen
Das Ende des Bürgerkriegs 1989 brachte für die Maroniten einen politischen Bedeutungsverlust mit sich, hatten sie doch zuvor die staatlichen Institutionen noch weitgehend dominiert. Im Zuge des Ta´if-Abkommens wurde ihre politische Repräsentation zugunsten muslimischer Gemeinschaften verringert. Angesichts der demographischen Verschiebungen waren diese Modifikationen im konfessionellen Proporzsystem des Libanon überfällig gewesen. Außerdem wurden die bedeutendsten maronitischen Parteien in den Nachkriegsjahren verboten und ihre politischen Führer gingen ins Exil beziehungsweise wurden verhaftet.
In der Nachkriegszeit dominierten Syrien und Syrien-loyale Akteure, wie die Hizbullah, die Amal-Organisation oder der langjährige Ministerpräsident Rafiq Hariri, die libanesische Politik. In dieser Phase des politischen Vakuums christlicher Interessenvertretung wuchs die Bedeutung der maronitischen Kirche. Sfeir griff 1992 aktiv in die libanesische Politik ein, als er angesichts der inakzeptablen Umstände der sehr kurzfristig angesetzten Parlamentswahlen zum Boykott aufrief, wobei ein großer Teil der christlichen Wähler seiner Empfehlung folgte.
In den Folgejahren gehörte der Patrirach zu den wenigen Stimmen, der im Libanon die syrische Dominanz offen infrage zu stellen wagten. Zugleich unterstütze er den militanten »Widerstand« der Hizbullah gegen die israelische Besatzungsmacht im Südlibanon. Als Israel im Jahr 2000 den Libanon verließ, sprach er sich jedoch deutlich für die Entwaffnung der Hizbullah aus.
Nach der so genannten Zedernrevolution und dem Abzug der syrischen Truppen 2005 kehrten die christlichen Führungsfiguren Samir Geagea und Michel Aoun auf die politische Bühne des Libanon zurück. Die Rivalitäten aus Bürgerkriegszeiten wurden nicht überwunden, im Gegenteil fand sich die christliche Gemeinschaft nach wenigen Monaten in zwei verfeindeten Lagern wieder: Während Aouns Freie Patriotische Bewegung eine Allianz mit der Hizbullah einging und das oppositionelle Lager des 8. März stärkte – Ambitionen auf das Präsidentenamt spielten für diese Entscheidung sicherlich eine Rolle –, blieb Geagea fester Bestandteil des von Saad Hariri geführten Lagers des 14. März.
Sfeirs enges Verhältnis zu Samir Geagea – für ausländische Delegationen der Lebanese Forces gehört etwa ein Besuch in Bkerke zum Pflichtprogramm – hat auch innerhalb der Kirche nicht selten für Kritik gesorgt. Sfeirs politische Präferenz dürfte zu den Wahlsiegen des Lagers des 14. März, sowohl 2005 als auch 2009, beigetragen haben. Ungeachtet dessen rief der Patriarch die politischen Lager regelmäßig zur Versöhnung auf und organisierte mehrere Schlichtungstreffen. In Phasen höchster politischer Anspannung besaß einzig Sfeir die Autorität, die zerstrittenen politischen Führer zu Gesprächen zusammenzubringen. Eine Missachtung der kirchlichen Autorität hatte selbst der sonst wenig fromme Ex-General Michel Aoun angesichts der ausgeprägten Religiosität im Libanon nicht gewagt.
Sinkende Popularität und Unzufriedenheit in Rom brachten Sfeir zu Fall
Nichtsdestotrotz ist das Ansehen des Patriarchen in den letzten Jahren stetig gesunken. Die schwindende Popularität Sfeirs hat auch die Autorität der Kirche belastet. Insbesondere die junge Generation fühlt sich kaum noch vom maronitischen Klerus vertreten. Diese Entwicklung hat nicht nur mit der politischen Parteinahme des Patriarchen zu tun, sondern auch mit der Überalterung der Kirchenstrukturen sowie mit immer lauter werdenden Korruptionsvorwürfen. Im Jahr 2008 hatte der Chef der maronitischen Marada-Partei, Suleiman Franjieh, die Kirche sogar als »Hort der Diebe« beschimpft – ohne damit einen größeren Skandal ausgelöst zu haben.
Glaubt man der dem Lager des 8. März nahe stehenden Zeitung Al-Akhbar, dann hatte der Vatikan Sfeir schon vor Monaten den Rücktritt nahe gelegt. Unter Berufung auf vatikanische Kreise schreibt das Blatt von großer Unzufriedenheit des Papstes mit Sfeirs Arbeit. Zum einen würde kritisiert, dass Sfeir die Maroniten nicht vereint, sondern durch seine politische Parteinahme gespalten habe. Noch schwerer wiege aber, dass er zu wenig gegen die Auswanderung von Christen aus dem Nahen Osten unternehme. Auch die christliche Abwanderung innerhalb des Libanon aus den schiitisch geprägten Süden und dem sunnitisch geprägten Norden des Landes nach Beirut würde in Rom mit Sorge beobachtet.
Die Mission des Papstes sei es vor dem Hintergrund der Vertreibungen von Christen im Irak und der steigenden Gewalt gegen Kopten in Ägypten, die christliche Kultur im Nahen Osten zu bewahren. Im Kontext dieses Programms habe der Vatikan der maronitischen Kirche eine Schlüsselfunktion zugebilligt. Sie solle sich als Ostkirche den »Interessen aller Christen des Nahen Ostens widmen«.
Kaum ein Patriarch besaß ähnlich großen politischen Einfluss
Die Informationen Al-Akhbars können als glaubhaft eingestuft werden. Bereits Anfang Februar dieses Jahres hatte die Zeitung als einziges Medium von einem bevorstehenden Rücktritt Sfeirs berichtet und über eine mögliche Wahl eines Nachfolgers spekuliert, der dem Lager des 8. März nahe stehen könnte.
Als potentielle Nachfolger Sfeirs werden in der libanesischen Presse vor allem zwei Namen gehandelt: Bashara al-Rai, Bishof von Byblos sowie Paul Youssef Mattar, Erzbischof von Beirut, beide sind über 70 Jahre alt. Während über al-Rais politische Orientierung wenig bekannt ist, wird Mattar eine Nähe zum Lager des 14. März nachgesagt.
Gewählt wird der neue Patriarch vom Rat der maronitischen Bischöfe in einer Prozedur, die einer Papstwahl gleicht. Bevor der neu gewählte Patriarch in die kirchliche Residenz in Bkerke einziehen kann, muss er vom Papst in Rom bestätigt werden. Ein Wahltermin steht noch aus.
Mit Sfeir verschwindet eine der prägendsten christlichen Figuren aus der libanesischen Öffentlichkeit. Der Kleriker aus Rayfoun polarisierte. Er erfand die Rolle des Patriarchen in der christlichen Gesellschaft neu: Keiner seiner jüngsten Vorgänger besaß ähnlich großen politischen Einfluss. Sein wichtigstes Anliegen, die maronitische Gemeinschaft zu einigen, bleibt jedoch unvollendet.