Nach dem Ausschluss von Khairat al-Shater und Salah Hazem Abu Ismail ist Abdal Moneim Abu al-Futuh der aussichtsreichste islamistische Präsidentschaftsbewerber. Der 60-Jährige hatte bereits im vergangenen Jahr seine Kandidatur erklärt und war deshalb aus der Muslimbruderschaft ausgeschieden. Damals hatten die Muslimbrüder einen eigenen Bewerber noch strikt ausgeschlossen.
Abu al-Futuh blickt auf eine lange Geschichte als Oppositioneller zurück. Große Bekanntheit erlangte er bereits 1977, als er in seiner Rolle als Studentenführer der Universität Kairo während einer Podiumsdiskussion erbittert mit dem damaligen Präsidenten Anwar al-Sadat stritt und dem Staatschef unter anderem vorwarf, von Heuchlern umgeben zu sein. Mehrfach unterbrach Sadat den Studenten scharf und warf ihm vor, zu wenig Respekt zu zeigen.
Seit Mitte der 1970er Jahre war Abu al-Futuh, der Krankenhausmanagement studiert hatte, Mitglied der Muslimbrüder. Außerdem gehörte er zu den Mitbegründern der Gamaa Islamiya, einer islamistischen Gruppe, die Gewalt legitimierte und Terroranschläge verübte. Später distanzierte er sich von der Bewegung und warf ihr „intellektuellen Terrorismus“ vor.
1987 stieg er in das höchste Gremium der Muslimbrüder auf, dem er bis 2009 angehörte. Mehrfach wurde er ins Gefängnis gesteckt, zuerst 1981 unter Sadat, später auch unter Mubarak. 1996 wurde Abu al-Futuh zu fünf Jahren Haft verurteilt – wegen Mitgliedschaft in einer Bewegung, die das System stürzen wollte.
Nach seiner Freilassung 2001 knüpfte Abu al-Futuh Kontakte zu anderen Oppositionsgruppen, etwa der liberalen Kefaya-Bewegung. Damit wurde er zu einem führenden Vertreter der Reformer innerhalb der Muslimbrüder, die sich für einen größeren politischen Aktivismus und einen härteren Kurs gegen das Mubarak-Regime starkmachten.
Anders als die Führung der Muslimbrüder unterstützte Abu al-Futuh die Proteste gegen das Regime seit ihrem Beginn am 25. Januar 2011. Später kritisierte er den herrschenden Militärrat wiederholt scharf, auch als die Bruderschaft noch hinter den Generälen stand. Das verleiht ihm im Wahlkampf eine hohe Glaubwürdigkeit.
Obwohl Islamist, versucht Abu al-Futuh auch säkular-orientierte Ägypter anzusprechen. Als Präsident wolle er die immer weiter aufreißende Kluft zwischen Islamisten und Liberalen schließen. Die Kopten müssten ohne jede Diskriminierung als gleichberechtigte Bürger anerkannt werden. Der Bau von Kirchen müsse erleichtert werden. Auch Frauen sollten gleichgestellt werden.
Der ehemalige Chef der Arabischen Mediziner-Union will zudem einen Mindestlohn einführen und die Armee aus der Abhängigkeit von den USA lösen. Abu al-Futuh hat außerdem versprochen, die Hälfte aller Verwaltungsposten mit Ägyptern zu besetzten, die jünger sind als 45. Auch sein künftiger Vizepräsident soll ein Vertreter der jungen Generation sein.
Ähnliche Reformbestrebungen hat sein größter Widersacher ebenfalls anzubieten: Amr Mussa. Wenn die Anzahl der aufgehängten Wahlplakate ein Indikator für die Siegchancen beim anstehenden Votum sind, dann wäre es zweifelsohne nicht mehr als ein Zweikampf zwischen al-Futuh und Mussa: Sind sie aber nicht – und deshalb wirft er sich mit Verve in den Wahlkampf.
Es ist eine neue Erfahrung für den 1936 geborenen Mussa, hatte er sich doch bereits in seinen Zwanzigern und nach dem Jura-Studium an der Kairo-Universität dafür entschieden, Diplomat zu werden. Der zweifache Familienvater diente Gamal Abdel-Nasser, Anwar as-Sadat und Husni Mubark als Botschafter, unter anderem in Indien, der Schweiz und bei den Vereinten Nationen. Der breiten ägyptischen Öffentlichkeit ist Mussa aber erst seit 1991 bekannt. In jenem Jahr wurde er Außenminister von Mubaraks Gnaden – und nutzte die geringen Frei- und Spielräume, um sich als Anwalt für die palästinensische Sache zu inszenieren.
Weitaus wortgewaltiger wurde er in dieser causa, nachdem er 2001 an den Tahrir-Platz im Herzen der ägyptischen Hauptstadt gewechselt und zum Generalsekretär der Arabischen Liga ernannt worden war. Besonders deutlich wurde dies, als er während des Gipfeltreffens der arabischen Herrscher im libanesischen Beirut 2002 den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon rhetorisch in die Schranken wies. Der hatte erklärt, Palästinenserpräsident Arafat die Rück- und Wiedereinreise nach Ramallah verwehren und zudem selbst vor Ort sprechen zu wollen. Mussas Antwort: Scharons Vorschlag, dem Gipfeltreffen beizuwohnen sei eine Überlegung wert, dessen Heimreise nach Israel indes sei nicht sicher.
Mit solchen rhetorischen Husarenritten kann Amr Mussa nun auch als Präsidentschaftskandidat bei vielen Ägyptern punkten, auch bei der bürgerlichen Demokratiebewegung. Gleichwohl dürfte den meisten Wählern im Gedächtnis sein, dass der 75-Jährige noch vor zwei Jahren in einem Fernsehinterview erklärt hatte, er würde für Mubarak stimmen, sollte sich dieser Ende 2011 ein sechstes Mal in unfreien Wahlen zum Präsidenten wählen.
Um dennoch für sich begeistern zu können, reist der Populist mit dem Gespür für die Massen seit Wochen quer durch Ägypten – und verweist immer wieder auf seinen Vorteil: die jahrzehntelange Erfahrung im Polit-Betrieb. Offenbar mit Erfolg. Nach neuesten Umfragen der halb-amtlichen „al-Ahram“ liegt Amr Mussa mit rund 20 Prozent der Wählerstimmen auf Platz zwei im Rennen um die Präsidentschaft. Aber nicht nur liberale Ägypter, sondern auch Europas Regierungen und die Obama-Administration in den USA dürfte sich mit Amr Mussa arrangieren können, wäre er doch ein säkulares Gegengewicht zum islamistisch dominierten Parlament. Noch dazu ein bekanntes.
Das ist Mohammed Mursi, der Ersatzmann der Muslimbrüder, nicht. Weder international, noch nilauf, nilab. Nach dem Ausschluss ihres eigentlichen Kandidaten Khairat al-Shater soll der 59-Jährige nun für die Islamisten das Rennen machen. Seit ihrer Gründung vor einem Jahr ist Mursi Chef der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei (FJP), dem parlamentarischen Arm der Muslimbrüder.
Auch Mursi ist seit mehr als drei Jahrzehnten Mitglied der Bruderschaft. Anfang der 1980er Jahre ging der Ingenieur in die Vereinigten Staaten, wo er unter anderem an der California State University lehrte. Auch seine Kinder kamen in Kalifornien zu Welt und besitzen die US-Staatsbürgerschaft.
In den Jahrzehnten unter Mubarak trat Mursi kaum in Erscheinung. Er ist kein großer Charismatiker und tat sich auch nicht als intellektueller Kopf der Bewegung hervor. Seine potentiellen Wähler sollen nicht ihn wählen, sondern die Muslimbrüder und ihr Programm – so lautet die kaum verhohlene Devise seiner Kampagne. Gleichzeitig betont er jedoch, als Präsident unabhängig agieren zu wollen. Sollte er gewählt werden, werde er den Vorsitz der FJP niederlegen.
Größtes Hindernis für den Kandidaten ist es, seine Aufstellung überhaupt zu rechtfertigen, schließlich hatten die Muslimbrüder zuvor stets erklärt, keinen eigenen Bewerber zu nominieren. Mursi rechtfertigt den Kurswechsel mit den veränderten Umständen in Ägypten. Nun müsse die Losung der Muslimbruderschaft - „Der Islam ist die Lösung“ - schritt weise umgesetzt werden, erklärte der Kandidat.
Nach dem Ausschluss der islamistischen Favoriten Shater und Abu Ismail will Mursi das islamistische Lager hinter sich vereinen. Dafür will sich Mursi auch die Unterstützung der Salafisten sichern.
Seine genaue Agenda ist bislang äußerst vage. In den Mittelpunkt seines Wahlkampfs stellt Mursi die Themen Sicherheit und Wirtschaft. Erst wenn sich die Sicherheitslage in Ägypten verbessert habe, könne es der Wirtschaft wieder besser gehen.
Der Kandidat der FJP scheut vor einem klaren Konfrontationskurs gegenüber dem Militär zurück. So solle das Verteidigungsministerium künftig selbst entscheiden können, wer an seiner Spitze steht – das gleicht einem Freibrief für die Armee.
Den stellt Mohamed Selim al-Awa auch aus. Seit Monaten. Der 1942 in der Mittelmeermetropole Alexandria geborene Verfassungsrechtler hat deshalb sicherlich einen Nachteil im Rennen um das Präsidentenamt, zumal er auch von der einflussreichen Muslimbruderschaft keine Unterstützung erhält. Dennoch hat er Chancen – sofern die Wahlen frei und fair sind – der erste gewählte Nachfolger Husni Mubaraks zu werden; nicht zuletzt weiß er um die Sympathie vieler junger Anhänger der Muslimbruderschaft.
Der achtfache Vater und dreifache Stiefvater kann zudem auf seine makellose Vita als Wissenschaftler und Gelehrter verweisen, folgten doch nach der Promotion an der School of African and Asian Studies (SOAS) in London eine Reihe von Publikationen, Anstellungen als Berater der jemenitischen, pakistanischen und kuwaitischen Regierungen sowie im Sudan und Saudi-Arabien. Ein weiteres Zeichen seiner Authentizität für islamistische Wähler: Unter Gamal Abdel Nasser hatte der einstige Repräsentant der moderat-islamistischen Wasat-Partei im Gefängnis gesessn und unter Mubarak zahlreiche Mitglieder der Muslimbrüder vor Gericht verteidigt.
Aber al-Awa stand nicht nur mit dem alten Regime auf Kriegsfuß – sondern auch mit der koptischen Kirche. Erst vor wenigen Jahren erklärte in einem Fernsehinterview, Kopten versteckten Waffen in ihren Kirchen, um Muslime zu töten und seien der wahre Grund für das Maspero-Massaker. Für die zehn Millionen zählende Minderheit der Christen ist er damit nicht wählbar. Auch für die radikalen Anhänger des disqualifizierten Salafisten-Stars Abu Ismail dürfte er kaum eine Alternative sein, schließlich setzt er sich vehement für die Rechte der Schiiten in Ägypten ein und verteidigt deren Auslegung des Islam als rechtmäßig.
Ebenso erhält er keine Unterstützung von den zahlreichen säkularen Demokratiegruppierungen des Tahrir-Platzes. Dies ist spätestens seit Ende November vergangenen Jahres offensichtlich, als al-Awa im Zuge der blutigen Auseinandersetzungen in der nahe gelegenen Mohammed Mahmoud-Straße versuchte, die Demonstranten zur Aufgabe eines Sitzstreiks zu bewegen – und die ihn vom „Platz der Befreiung verjagten“.
Auch Ahmad Shafiq kann nicht mit der Unterstützung der Opposition rechnen. Nach langem Hin und Her um seine Kandidatur und dem Ausschluss Omar Suleimans ist der 70-Jährige der einzige Bewerber aus den Reihen des alten Regimes.
Vier Jahrzehnte lang war Shafiq ein enger Gefolgsmann von Husni Mubarak. Während des Jom-Kippur-Kriegs 1973 kämpfte er als Kampfpilot in der Luftwaffe unter dem Kommando Mubaraks. In den Jahren darauf kletterte Shafiq als sein Vasall die Karriereleiter nach oben. 1991 wurde er zum Stabsschef der Luftwaffe ernannt, fünf Jahre später zu ihrem Kommandeur.
Seine politische Laufbahn begann Shafiq erst im Alter von 60 Jahren. 2002 machte ihn Mubarak zum Minister für zivile Luftfahrt. Seine wichtigsten Aufgaben in diesem Amt waren der Umbau und die Modernisiserung der staatlichen Fluglinie EgyptAir sowie der Bau eines neuen Terminals für den internationalen Flughafen Kairo.
Während seiner Zeit als Minister wurden mehrfach Korruptionsvorwürfe gegen Shafiq laut. So soll er unter anderem Bauaufträge für den Flughafenbau in Kairo ohne ordentliche Ausschreibung an befreundete Unternehmer vergeben haben. Außerdem habe er Grundstücke nahe des Flughafens weit unter Wert verkauft. Der Politiker selbst hat diese Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Am 29. Januar 2011, vier Tage nach Beginn der Proteste gegen das Regime, ernannte ihn Mubarak zum Premierminister. Es war der letzte Versuch des Autokraten, das Volk zu besänftigen. Shafiq wurde von de Demonstranten als Mubaraks Marionette wahrgenommen und konnte den Lauf der Dinge nicht aufhalten. Nach dem Sturz des Präsidenten blieb Shafiq zunächst im Amt, er stolperte jedoch Anfang März über einen Talkshow-Auftritt.
In der populären Talkshow "Baladna bil Masri" warf ihm der bekannte Autor Alaa al-Aswany vor, ein Überbleibsel des alten Regimes, inkompetent und schlicht ungeeignet für das Amt des Regierungschefs zu sein. Shafiq hatte den Anschuldigungen nichts entgegenzusetzen und wurde einen Tag später durch Issam Sharaf ersetzt.
Seinen nächsten öffentlichen Auftritt hatte Shafiq im Sommer vergangenen Jahres auf einer Veranstaltung der Luftwaffe. Ende 2011 gab er dann überraschend seine Kandidatur für das höchste Staatsamt bekannt.
Shafiq verweist zwar gerne auf seine "langjährige, enge Freundschaft" zu Feldmarschall Tantawi, dem Chef der Obersten Militärrats, bestreitet jedoch zugleich der Kandidat des Miliärs zu sein. In seinem Wahlkampf setzt Shafiq auf die Unterstützung der Nostalgiker, also jener Ägypter die mehr als ein Jahr nach der Revolution enttäuscht sind, Sicherheit auf den Straßen und und wirtschaftlichen Aufschwung herbeisehnen. Er hat erklärt, die "Gesetzlosigkeit in Ägypten" innerhalb von 30 Tagen beenden zu wollen. Jene Wähler, die sich nach einem starken Mann an der Staatsspitze ohne Verbindungen ins islamistische Lager sehnen, werden sich von Ahmad Shafiq angesprochen fühlen.