Wenige Tage nach dem Abzug der letzten US-Kampftruppen aus dem Irak holt Regierungschef Nuri al-Maliki zum Schlag gegen politische Konkurrenten aus. Mit fragwürdigen Methoden will er seine sunnitischen Rivalen diskreditieren und gefährdet damit die Zukunft des Landes.
Eine Pressekonferenz, ein eingespieltes Videobekenntnis, das Ganze sogleich über den staatlichen Sender an die TV-Haushalte der Nation übermittelt. Wenn Sicherheitskräfte in einem nahöstlichen Land mal wieder eine »Verschwörung« aufgedeckt haben, gleicht die mediale Präsentation einem Ritual. Eines, das ob seiner plumpen Inszenierung wie ein abgeschmacktes Relikt aus einem anderen Medienzeitalter wirkt – und das trotzdem ungebrochen zum Standardrepertoire der politischen Kommunikation gehört. Iran und Syrien tun sich besonders hervor, wenn es darum geht, reuige Sünder zu präsentieren, die zwar schuldig, aber von »auswärtigen Interessen« korrumpiert sind, und detailliert die wohlbekannten Verschwörungsszenarien darlegen – Treue und Reue im praktischen Videoformat.
Als Brigadegeneral General Daham am Abend des 20. Dezember im Bagdader Innenministerium vor die Presse tritt und den Video-Beamer anwirft, ahnen Einige vielleicht schon, was ihnen präsentiert wird, denn auch im Irak ist das TV-Geständnis das ambivalente Bindeglied zwischen instrumentalisierter Justiz und politisierter Medienlandschaft. Doch was nun kommt, ist eine neue Stufe im mit harten Bandagen geführten politischen Machtkampf im Irak.
Drei Bodyguards des irakischen Vizepräsidenten Tariq al-Hashemi legen detailliert dar, wie der sunnitische Politiker persönlich Anschläge in der Hochsicherheitszone der »Green Zone« in Bagdad in Auftrag gegeben haben soll. Als Anschlagsziel war das Gesundheitsministerium auserkoren, 3.000 US-Dollar, so einer der TV-Zeugen, hätte er dafür von al-Hashemi erhalten. Der Vizepräsident als Terrorpate? Brigadegeneral Daham verschwendet keine Zeit, diesen schweren Vorwurf sacken zu lassen – und hält den Haftbefehl gegen al-Hashemi, den ranghöchsten sunnitischen Politiker im Irak, in die Objektive der versammelten Kameras.
Das Gerichtskomitee, das den Haftbefehl erlassen hat, legt al-Hashemi nichts weniger zur Last, als gegen Artikel 4 des Anti-Terror-Gesetzes verstoßen zu haben. Keine ausländische Verschwörung, keine israelisch-amerikanische Anstiftung, der Feind lauert im Innern, auf höchster Ebene des Staates. Ob am eigentlichen Strafbestand etwas dran ist, rückt schnell in den Hintergrund, schließlich bleibt Brigadegeneral Daham außer den TV-Geständnissen auch jeglichen weiteren Beweis schuldig.
Malikis Schlag gegen die wichtigsten sunnitischen Politiker
So sehr Regierungschef Nuri al-Maliki es auch dementiert, es riecht nach einem politischen Prozess. Es scheint, als habe der Premier genau auf den Tag hingearbeitet, bis die Amerikaner das Land verlassen, um die Boxhandschuhe für den Kampf um den Nachkriegsirak aufzuziehen. Kaum haben die US-Truppen Ende vergangener Woche die Flagge eingerollt, gingen die Kontrahenten aufeinander los – und eine selbst für irakische Verhältnisse beispiellose Eskalation wurde in Gang gesetzt.
Am Freitag kündigte die Iraqiyya von Iyad Allawi, die aus den Wahlen vom März 2010 als stärkste Liste hervorging, einen Boykott der Parlamentssitzungen an. Gleichzeitig nannte Malikis Vize Saleh al-Mutlaq den Premier in einem Interview einen Diktator. Gegen al-Mutlaq ließ Maliki daraufhin ein Amtsenthebungsverfahren initiieren – wegen Inkompetenz im Amt. Wo Gesetzentwürfe sonst monatelang verstauben, erfolgte die Abstimmung in Windeseile. Mittlerweile ist al-Mutlaq seinen Posten als Vize-Regierungschef offiziell los.
al-Hashemi und al-Mutlaq sind die beiden wichtigsten sunnitischen Politiker im Irak, der säkulare Schiit Allawi wird konfessionsübergreifend geschätzt - einen nach dem anderen scheint Maliki nun aus dem Weg räumen zu wollen – al-Mutlaq auf parlamentarischen Wege – und al-Hashemi gleich mit dem K.O.-Schlag. Erst nach monatelanger Hängepartie hatte sich Maliki in die ungeliebte Koalition mit den vorwiegend sunnitischen Parteien der Iraqiyya-Liste zwängen lassen, die seine Rechtsstaatskoalition bei den Wahlen knapp geschlagen hatte.
US-Vizepräsident Biden hatte nach den Wahlen im vergangenen Jahr mit emsiger Reisediplomatie dem amerikanischen Wunsch Ausdruck verliehen, eine fast ausschließlich schiitisch dominierte Regierung von Maliki und der »Irakischen Nationalallianz« zu verhindern. Die amerikanische Position wurde von zwei Überlegungen geleitet: Zum Einen sollte der unvermeidliche Einfluss Teherans so klein wie möglich gehalten werden, zum Anderen der Wahlsieger – und damit auch der Großteil der sunnitischen Wählerschaft – nicht wieder vom politischen Prozess ausgeschlossen werden. Maliki willigte ein – und handelte dafür den verfrühten US-Truppenabzug für das Jahresende 2011 aus.
Der Föderalstaat Irak steht auf dem Spiel
Besonders viel Einfluss bleibt den USA nicht mehr, weder um eigene Interessen im Land zu vertreten, noch den zerstrittenen Haufen sich gegenseitig nicht über den Weg trauender Politiker in einer funktionierenden Regierung zusammenzuhalten. Als Joe Biden Anfang der vergangenen Woche nach Bagdad eilte, konnte er wohl nicht mehr verlangen, als dass Maliki den Schein noch bis zur feierlichen Abzugszeremonie wahrt. Die Ereigniskette der letzten Tage entlarvt die ohnehin mit wenig Überzeugung vorgetragenen Abschiedsworte der Amerikaner als Wunschdenken. Schlimmer noch, binnen kürzester Zeit droht nicht nur die mühsam zusammen geschweißte Regierung, sondern das föderale Projekt Irak als Ganzes zu scheitern.
Das liegt auch daran, dass weder Amerikaner noch Iraker sich seit 2003 wirklich auf eine tragfähige Vision eines Föderalstaates einigen konnten. In den vergangenen Jahren herrschte eine trügerische Ruhe, ohne dass fundamentale Probleme wirklich angegangen worden wären. Die Autonome Region Kurdistan etwa bot Stabilität und lockte Investoren, die Abstimmung über die Zugehörigkeit der umstrittenen ölreichen Provinz Kirkuk wurde hingegen auf unbestimmte Zeit vertagt. In den sunnitischen Provinzen Diyala, Salah ad-Din, Anbar und Niniveh, aber auch im schiitischen Basra im Süden wurden Milizen entwaffnet und in den politischen Prozess eingebunden: Die sunnitischen »Erweckungsräte« auf der einen, die schiitischen Badr- und Mahdi-Milizen auf der anderen Seite waren der Schlüssel, um den blutigen Bürgerkrieg von 2006/2007 zu beenden.
Doch in all diesen Regionen rumort es seit Beginn dieses Jahres immer heftiger. Dort sieht man sich von der Zentralregierung vernachlässigt – und fordert dieselben ökonomischen und politischen Vorteile, wie sie die Kurdische Autonomieregion in Anspruch nimmt. Während in der ölreichen Provinz Basra eher die ökonomischen Beweggründe überwiegen, kommt aus den sunnitischen Provinzen der Vorwurf der konfessionellen Diskriminierung in Richtung Bagdad.
Bereits im Vorfeld der Wahlen vom Frühjahr 2010 hatte Maliki allerhand Anlass für die Anschuldigungen gegeben. Die von ihm eingesetzte De-Baathifizierungskommission sollte alte Kader des Saddam-Regimes von politischen Ämtern ausschließen. Doch statt einer integrativen Kommission zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte missbrauchte der Premier das Gremium, um unliebsame Kontrahenten politisch kaltzustellen.
Auf der schwarzen Liste hätte Maliki schon damals gerne auch al-Mutlaq und al-Hashemi gesehen. Während al-Mutlaq nur bis 1977 Baath-Mitglied war und keine wichtige Rolle unter Saddam spielte, gehörte al-Hashemi nie der Baath an, sondern war bis 2009 Mitglied der »Irakischen Islamischen Partei« – einem Ableger der Muslimbruderschaft. Al-Mutlaq und al-Hashemi hatten – aus amerikanischer Sicht – im Nachkriegs-Irak eine durchaus konstruktive Rolle gespielt. Ihre Parteien traten bei den Wahlen 2005 trotz breiter Boykottaufrufe an, und sie rehabilitierten nach Ende des Bürgerkrieges 2006/2007 die sunnitische Teilhabe am politischen Prozess. Im Gegensatz zu anderen Berufskollegen unterhielten sie auch zu keinem bekannten Zeitpunkt Privatmilizen.
Maliki gefährdet den gesellschaftlichen Frieden
Die machtpolitische Intention – und die möglichen negativen Konsequenzen – veranlassten die USA damals dazu, ihren verbliebenen Einfluss einzusetzen, um al-Mutlaq und al-Hashemi von der schwarzen Liste der De-Baathifizierungskommission herunterzunehmen – auch um die Wahlen nicht vollends zu delegitimieren.
Wo steht der Irak nun und wie geht es weiter? Im Dezember 2011, ein Jahr nach Bildung der nie funktionsfähigen Regierung und 18 Monate nach den Wahlen, steht alles wieder auf null und Maliki will die Karten neu mischen – ohne dass sich die Amerikaner wieder einmischen können. Dass er dabei nicht nur den ohnehin bleichen demokratischen Anstrich seiner Regierung schleift, sondern auch den gesellschaftlichen Frieden in den Regionen und zwischen den Konfessionen aufs Spiel setzt, kalkuliert er ein. Auch 2008 ließ er willig seine damalige Regierungskoalition platzen – wohlwissend, dass sich genügend politische Partner finden lassen, die an den zu vergebenen Pfründen interessiert wären.
Dasselbe Kalkül scheint den Premier wohl auch jetzt zu leiten. Als Indiz für den ersten Erfolg dieser Strategie könnte man die Tatsache ansehen, dass die Iraqiyya-Liste bisher zwar die Parlamentsarbeit ausgesetzt hat, sich aber noch nicht aus der Regierung zurückgezogen hat, schließlich sind die Ministerien in einem Verteilungssystem wie im Irak die wichtigsten Vehikel, um Pfründe zu sichern und Einfluss zu erhalten. Der sunnitische Parlamentspräsident Usama al-Nujayfi, kein besonders enger Freund Malikis, hat sich an dem Parlamentsboykott zudem explizit nicht beteiligt, könnte also in zukünftigen Machtkonstellationen ein potentieller Partner sein.
Klarer Gewinner des sunnitisch-schiitischen Machtkampfes sind in jedem Fall die kurdischen Parteien im Parlament. Deren Position wird bei anstehenden Verhandlungen über die mögliche Bildung einer neuen Regierung gestärkt. Damit dürfte nicht nur die Frage über die Zugehörigkeit der Provinz Kirkuk zur Autonomen Region Kurdistan wieder auf die Tagesordnung rücken. Auch die Verteilung der Erlöse aus dem Erdölexport wird wieder in den Mittelpunkt rücken. Streitpunkt ist hier vor allem ein Vertrag, den die kurdische Autonomieregierung mit dem US-Öl-Multi Exxon Mobil abgeschlossen hat. Bislang hat Nuri al-Maliki diesen als illegal betrachtet. Für den Machterhalt dürfte der Premier aber auch in diesem Fall seine Meinung bald ändern.