Nach viereinhalb Monaten scheint nun tatsächlich einzutreten, womit zuletzt kaum noch jemand gerechnet hatte: Der Libanon wird wieder eine Regierung bekommen.
Es war am 25. Januar dieses Jahres als Präsident Michel Suleiman Najib Mikati mit der Regierungsbildung beauftragte, nachdem die Allianz des 8. März die Regierung verlassen hatten und Walid Jumblatt, Führer der drusischen Progessiven Sozialistischen Partei, Ministerpräsident Saad Hariri die Unterstützung versagte hatte. Entscheidender Streitpunkt war das Sondertribunal für den Libanon gewesen, das den Mord an Rafiq Hariri aufklären sollte und dessen Ermittler Hisbollah-Kader unter Verdacht stellten.
Das Lager des 8. März verfügte mit Jumblatts Fraktion seitdem über eine komfortable parlamentarische Mehrheit. Dass die Regierungsbildung dennoch so lange dauerte, ist nicht zuletzt den besonderen Spielregeln der libanesischen Demokratie geschuldet. So ist es im kleinteiligen Libanon eine lang gepflegte Tradition, dass alle einflussreichen politische Kräfte, alle größeren Religionsgemeinschaften sowie alle Regionen des Landes nach einem bestimmten Proporz in der Regierung repräsentiert werden. Obwohl die libanesische Verfassung eine solche Einheitsregierung nicht vorschreibt, wird eine einfache Mehrheitsregierung dennoch als erhebliches Legitimatinsdefizit angesehen. Eine Folge dieser Tradition ist, dass der etwa vier Millionen Einwohner zählende Libanon von einem Kabinett mit 30 Ministern regiert wird. Da jedoch kaum 30 sinnvolle Ressorts geschaffen werden können, besteht die Regierung aus zahlreichen „Staatsministern“ die über kein eigenes Ministerium verfügen und nur bei Abstimmungen relevant sind.
Während das Wahlgesetz einen ähnlichen Proporz im Parlament von vornherein sicherstellt, muss die personelle Besetzung der Regierung zwischen den verschiedenen politischen Kräften nach jeder Wahl neu verhandelt werden. Noch komplexer wird das Verhandlungssystem dadurch, dass auch der maronitische Präsident, der sunnitische Ministerpräsident wie auch der schiitische Parlamentspräsident „ihre Leute“ in die Regierung bringen wollen. Langwierige Regierungsbildungen sind im Libanon daher systeminherent und längst keine Seltenheit.
Dennoch fällt die jetzige Kabinettsformation etwas aus der Reihe, da die oppositionellen Kräfte aus dem Lager des 14. März überhaupt nicht an der Regierung beteiligt sind. Dass eine Einheitsregierung wegen der politischen Kontroversen dieses Mal kaum möglich sein wird, das zeichnete sich bereits seit Langem ab. Was verwundert, ist, dass sich das Lager des 8. März dennoch so lange nicht auf eine Postenverteilung einigen konnte. Insbesondere Michel Aoun pochte hartnäckig auf die Besetzung der Schlüsselressorts für seine Freie Patriotische Bewegung. Und nur eine Stunde nach Bekanntgabe des neuen Kabinetts, erklärte der erste designierte Minister bereits seinen Rücktritt. Talal Arslan von der drusischen Libanesischen Demokratischen Partei erklärte auf einer Pressekonferenz seinen Unmut über die Regierung. Er hatte einen bedeutenderen Posten für sich erwartet als den eines Staatsministers ohne Portfolio. Ohne die Stimmen von Talal Arslans Fraktion bei der noch ausstehenden parlamentarischen Bestätigung der Regierung wäre ein Scheitern der Regierungsbildung noch möglich – vorausgesetzt weitere unzufriedene Abgeordnete aus dem Lager des 8. März verweigern der Regierung ihre Zustimmung.
Für Aoun zahlte sich seine Hartnäckigkeit letzten Endes wohl aus; an seine Partei gehen fünf wichtige Ministerien (Arbeit, Telekommunikation, Energie, Justiz und Tourismus). Aoun ist damit zu einem politischen Schwergewicht in der libanesischen Regierung aufgestiegen.
Auch die ebenfalls christliche Marada-Bewegung Suleiman Franjiehs, die mit Aouns Freier Patriotischer Bewegung eine gemeinsame parlamentarische Fraktion bildet, konnte politisch deutlich an Einfluss gewinnen und übernimmt unter anderem das bedeutende Verteidigungsministerium.
Nabih Berri, Parlamentspräsident und langjähriger Führer der schiitischen Amal-Partei, musste dagegen als informeller Interessensvertreter der schiitischen Gemeinschaft den Verlust eines Ministers hinnehmen. Nur durch seine Kompromissbereitschaft kam die Einigung überhaupt zustande. Somit wären nur noch fünf Schiiten, aber sieben Sunniten in der Regierung vertreten – eine umgekehrte Verteilung wäre einigermaßen repräsentativ. Hieran wird aber auch das weiterhin geringe Interesse der schiitischen Hizbullah an einer aktiven Regierungarbeit deutlich. Obwohl die Hizbullah als die treibende Kraft des pro-syrischen Lagers des 8. März angesehen werden kann, scheut sie weiterhin eine zu enge Involvierung in die libanesische Tagespolitik. Für sie ist entscheidend, dass die libanesische Regierung keine Politik gegen ihre Interessen betreibt, wie es die Regierung Hariris in Bezug auf das Den Haager Sondertribunal und die Diskussion um eine Entwaffnung aller Milizen im Libanon getan hat. Im geplanten Kabinett stellt die Hizbullah daher lediglich drei Minister für die weniger bedeutenden Ressorts Verwaltungsreform, Landwirtschaft und Jugend/Sport.
Ebenfalls an Einfluss verloren hat Präsident Michel Suleiman, der das im Libanon kaum beachtete Umweltministerium besetzen darf und zudem noch Einfluss auf das Innenministerium hätte.
Der regionale Proporz hat sich in der neuen Regierung ebenfalls verschoben. Ministerpräsident Mikati konnte viele Sunniten aus seiner Heimatstadt Tripoli ins geplante Kabinett lancieren, wohingegen der gestürzte Ex-Premier Saad Hariri zu seiner Zeit als Ministerpräsident seiner Heimatstadt Saida eine relativ hohe Repräsentanz verschafft hatte. Platz für eine Frau blieb im Kabinett der 30 Minister nicht mehr. Finanzministerin Raya al-Hassan, vor zwei Jahren als Hoffnungsträgerin ins Kabinett gelangt, verlor ihren Posten als Finanzministerin. Der in anderen Bereichen sonst so liberale und fortschrittliche Libanon geht in diesem Punkt wieder einen Schritt zurück. Nur drei weibliche Abgeordnete im Parlament und keine einzige Frau in der Regierung - selbst so mancher konservative Golfstaat kann da eine bessere Bilanz vorweisen.
Protestaktionen von Anhängern des Lagers des 14. März hat es im Libanon bisher nicht gegeben. Hariri und seine politische Allianz verfügen augenscheinlich nicht mehr über das einstige Mobilisierungspotential. Gerade Hariri, der gestürzte Ministerpräsident, tat nichts, um die langwährenden Machtkämpfe innerhalb des Lagers des 8. März um die Regierungsbildung politisch für sich auszunutzen. Stattdessen weilt er seit über einem Monat in Saudi-Arabien, ohne sich zu Wort zu melden.
Auch zur neuen Regierung schwieg Hariri bislang. Dabei sind angesichts der offensichtlichen Erstarkung des syrischen Einflusses im Libanon viele Libanesen frustriert und empört. Es war die Forderung nach dem Ende der syrischen Einflusses, die am 14. März 2005 über eine Million Menschen verschiedener Religionsgemeinschaften auf die Straße trieb. Doch die politischen Führer der einstigen „Zedernrevolution“ sind in eine unerklärliche Passivität verfallen oder haben sich wie Walid Jumblatt der anderen, der pro-syrischen Seite angeschlossen.