07.11.2010
Nahost-Synode des Vatikans: Tage des Donners
Der Nahe Osten ist die Wiege des Christentums. Heute kämpft die Minderheit um ihr Überleben –das Attentat in Bagdad ist da nur der jüngste grausame Zwischenfall in der Region. Der wachsende Einfluss radikaler Islamisten, der Irakkrieg und der israelisch-palästinensische Konflikt hat viele von ihnen zur Auswanderung bewegt. Nun hat der Vatikan eine Nahost-Synode abgehalten – mit einer erstaunlich deutlichen Botschaft an deren Ende.
»Und Mose stieg aus dem Jordantal auf den Berg Nebo, den Gipfel des Gebirges Pisga, gegenüber Jericho. Und der Herr zeigte ihm das ganze Land.« In Erinnerung an diesen Bibelvers aus dem Alten Testament, stieg Papst Benedikt XVI. während seiner Nahost-Reise im vergangenen Jahr auf den Berg Nebo in Jordanien und blickte auf die biblischen Stätten jenseits des Jordans. Damals hatte er den christlichen Arabern versprochen, sich mehr für ihre Belange einzusetzen und eine Sondersynode einzuberufen. Die fand in den vergangenen zwei Wochen nun statt. Im Vatikanstaat trafen sich die Patriarchen und Bischöfe sieben katholischer Riten des Orients. Herausgekommen ist ein – für vatikanische Verhältnisse – flammender Appell.
Die Kirchenvertreter forderten die internationale Gemeinschaft auf, einzugreifen, »um der Okkupation verschiedener arabischer Territorien ein Ende zu setzen.« Und der Papst mahnte in seiner Abschlusspredigt: »Frieden ist möglich. Frieden ist dringend. Frieden ist die Voraussetzung für ein würdiges Leben des Menschen und der Gesellschaft. Konflikte, Kriege Gewalt und Terrorismus laufen nun schon zu lang im Nahen Osten ab« und seien mit ein Grund für die Auswanderung der autochthonen Christen aus der Region, die dort seit 2000 Jahren leben.
Repressalien und Überfälle sind an der Tagesordnung
Im Laufe ihrer Geschichte sind die Christen des Nahen Ostens durch viele Krisen gegangen – aber nie fort. Als 1860 in Damaskus die Kirchen und Kathedralen in Brand gesetzt wurden, das Christenviertel Bab Tuma in Schutt und Asche gelegt worden war, bauten es die Gläubigen einfach wieder auf. Auch den Schikanen, die ihnen – trotz ihres Status als »Schutzbefohlene« – vielerorts auferlegt wurden, ertrugen sie, wie Aufzeichnungen nach der Eroberung Ägyptens durch Napoleon im Jahr 1789 beispielhaft zeigen. Damals hatten die Franzosen mit Verwunderung festgestellt, dass koptische Frauen als Erkennungsmerkmal einen blauen und roten Schuh tragen mussten und koptische Männer nur verkehrt herum auf ihren Pferden reiten durften.
Heute reitet kein ägyptischer Christ mehr verkehrt herum auf seinem Pferd – das alltägliche Leben ist aber dennoch von Repressalien geprägt. Die größte – überwiegend koptische – christliche Minderheit im arabischen Raum, die wie eine »kleine Herde« mit »wenig Licht und zu vielen Schatten« zu leben hat, wie es der verstorbene Papst Johannes Paul II. es einst ausdrückte, muss allein für die Genehmigung eines Kirchenbaus schier unüberwindbare Hürden überwinden. Soll der Gebäudekomplex gebaut werden, darf in der Nähe keine Moschee oder ein muslimischer Friedhof stehen, darf es keinen Widerspruch in der Nachbarschaft gegen das Bauvorhaben geben und keine andere Kirche in dem Stadtteil bereits vorhanden sein. Obgleich diese und andere Gesetze täglich angewandt werden und es immer wieder zu Überfällen auf die christliche Minderheit kommt, herrscht am Nil oftmals ohrenbetäubendes Schweigen.
Ein wenig besser sieht es für die Christen in Syrien aus. Dort wurde im Jahr 2006 der »Kodex des Kanonischen Rechts der Orientalischen Kirchen« in die syrische Rechtsprechung übernommen – trotz der Proteste von Muslimen. Das Assad-Regime nimmt getreu dem Motto »das Vaterland ist für uns alle da, die Religion ist Sache Gottes« christliche Flüchtlinge aus dem Irak auf und die Baath-Partei, 1940 vom syrischen Christen Michel Aflak gegründet, hat viele Kader aus den Reihen der Minderheit. Doch trotz des Paktes zwischen Alawiten und Christen zeigt sich auch in Syrien, dass viele Christen Syrien den Rücken kehren. Im 19. Jahrhundert machten sie noch 18 Prozent der Bevölkerung aus, heute sind es schätzungsweise nur noch vier Prozent.
»Die Auswanderung der Christen ist für den Islam eine Katastrophe«
Dieses Phänomen zeigt sich auch im benachbarten Zedernstaat, dem Irak, Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten. Mohammed al-Sammak, politischer Berater des sunnitischen Großmufti des Libanon und Ehrengast der Nahostsynode, beklagte das. »Die Auswanderung von Christen aus dem mittleren Osten ist für den Islam eine Katastrophe«, sagte er in einer offiziellen Stellungnahme. Daneben beschwor der Vatikan die libanesischen Politik, der Zedernstaat müsse »seine Berufung fortsetzen« und »das Modell der Koexistenz zwischen Christen und Muslimen sein.«
Doch gerade im Libanon zeigt sich, dass auch das Zusammenleben der unterschiedlichen christlichen Konfessionsgemeinschaften alles andere als spannungsfrei ist. Der Bürgerkrieg war eben nicht nur ein Konflikt zwischen Muslimen und Christen, als der er oft verkürzt dargestellt wird, sondern auch durchzogen von Kämpfen bei denen sich verschiedene christliche Milizen aufs Äußerste bekämpften. Auch nach Ende Kampfhandlungen und nach dem Abzug der syrischen Armee 2005 bleiben Libanons Christen politisch gespalten. Die verschiedenen Parteien beschwören zwar immer wieder die Einheit der libanesischen Christen, tatsächlich ist das Land davon aber noch immer weit entfernt. Hinzu kommt, dass die religiösen Würdenträger, allen voran der maronitische Patriarch Nasrallah Boutros Sfeir, regelmäßig aktiv ins politische Tagesgeschehen eingreifen und mehr oder weniger aktiv für eine Fraktion Partei ergreifen. Der christlichen Einheit hat diese Parteinahme für eine Seite bislang jedoch eher geschadet als genutzt.
Mit Blick auf die Situation der christlichen Palästinenser, sprachen sich die katholischen Geistlichen dafür aus, dass diese ein »souveränes Heimatland« bekommen müssten, indem sie »unabhängig und souverän« leben könnten, erklärten die orientalisch-katholischen Kirchenführer. Mit Blick auf Israels Rolle bei der Verwirklichung eines lebensfähigen Palästinenserstaates, forderten sie eine Ende der Besetzung und hoffen künftig darauf, »dass die Zwei-Staaten-Lösung Realität werde und nicht nur einfach ein Traum bleibt.« In Jerusalem wurde diese eindeutige Stellungnahme durch Israels Vize-Außenminister Daniel Ayalon kommentiert und kritisiert. Der politische Rechtsausleger sagte, das Bischofstreffen sei »zu einem Forum politischer Angriffe auf Israel in bester Tradition arabischer Propaganda geworden.« Er forderte den Vatikan zudem auf, sich von den »beleidigenden Bemerkungen« des melkitischen Erzbischofs Cyrille Salim Bustros zu distanzieren. Der hatte gesagt, von einem »Gelobten Land für die Juden« zu sprechen und gleichzeitig daraus politische Konsequenzen im hier und jetzt abzuleiten, sei falsch.
Der Vatikan äußerte sich nicht dazu, wohl aber zur Situation der irakischen Christen. Die Kirchenvertreter ermahnten die Vereinten Nationen ausdrücklich, zu handeln. Nur dann werde »der Irak den Konsequenzen des mörderischen Krieges ein Ende setzen und die Sicherheit, welche alle seine Bürger mit allen ihren sozialen, religiösen und nationalen Komponenten schützen wird, wiederherstellen können.
Dass sich die Bischöfe und Patriarchen so offen politisch geäußert haben, ist erstaunlich – wenngleich logisch und konsequent. Denn klar ist, dass die politischen Umbrüche in den vergangenen Jahrzehnten stets gravierende Veränderungen für die Christen mit sich brachten. Gab es 1948 in Ost-Jerusalem noch 50 Prozent Christen, sind es heute weniger als fünf; mehr als 730.000 sollen während des Bürgerkrieges von 1975 bis 1990 den Libanon verlassen haben und über 100.000 sollen es nach dem Krieg 2006 gewesen sein; in Jordanien hat sich die Zahl der Christen seit dem Sechstagekrieg halbiert. Am schlimmsten ist aber die Lage der Christen im Irak. Dort ist ein wahrer Exodus im Gange, der unaufhaltbar scheint: Nach dem zweiten Irakkrieg 1991 verließen von 750.000 Christen rund 250.000 das Zweistromland, im Zuge des jüngsten Irakkrieges sollen schätzungsweise noch einmal mehr als die Hälfte der verbliebenen Christen die Flucht ergriffen haben. Einige von ihnen leben mittlerweile in der nordirakischen Autonomieregion der Kurden, die meisten aber sind fort aus ihrem Heimatland.
In allen arabischen Ländern sind die wahren Zahlen über die christlichen Bevölkerungsanteile aber immer nur Schätzungen. Es gibt schlichtweg keine zuverlässigen Zahlen über ihre Größe. Entweder, wie im Falle des Libanon, liegt die letzte Volkszählung jahrzehntelang zurück, oder, wie im Falle des Irak, liegen keine Statistiken vor. Saddam Hussein, Sunnit und damit selbst Angehöriger einer Minderheit zwischen Euphrat und Tigris, hatte es verboten die Bevölkerung nach Konfessionszugehörigkeit zu zählen.
Fest steht aber, dass man heute überall auf der Welt riesige christliche Exil-Gemeinden findet. Die Welle der Emigration hat viele von ihnen nach Europa und Amerika gespült; die verschiedenen Bethlehemer Exilgemeinden in Südamerika sind heute zahlenmäßig sogar größer als ihre Ur-Gemeinde in der palästinensischen Stadt. Der Islamwissenschaftler Udo Steinbach macht hierfür – unter anderem – einen wachsenden islamischen Fundamentalismus verantwortlich. Der Einfluss radikaler Islamisten ersetze mehr und mehr die säkularen Gesellschaftsstrukturen. Dass christliche Politiker in Spitzenämtern gelangen, sei heute nicht mehr möglich. Lange Zeit war das aber durch die arabische Nationalismusbewegung möglich gewesen, wie beispielsweise im Irak. Saddam Husseins langjähriger Außenminister Tarik Aziz – der jüngst zum Tode verurteilt wurde, wogegen sich der Vatikan aussprach– ist chaldäischer Christ und hatte die säkular-nationalistische Baath-Partei als Karrieresprungbrett nutzen können. Ebenso hatte der 2004 verstorbene Palästinenserpräsident Jassir Arafat – der alljährlich beim Weihnachtsgottesdienst in der Bethlehemer Geburtskirche in der ersten Reihe saß – eine christliche Bildungsministerin, Hanan Aschrawi. Und der Ägypter Boutros Boutros Ghali, ein koptischer Christ, brachte es gar zum Generalsekretär der Vereinten Nationen.
Eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht
Solche Karrieren, so scheint es, sind in den meisten arabischen Ländern nicht mehr möglich. Einzig der Libanon, der seither ein Rückzugsgebiet für Minderheiten war, bildet die Ausnahme. Aber auch im Levantestaat machen sich die verbliebenen Christen mehr und mehr Sorgen über ihre Zukunft. Hatten sie bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges 1975 eine priviligierte politisch-konfessionelle Gemeinschaft gebildet, müssen sie nun erkennen, dass sich die Angehörigen der bisherigen Minderheiten daran machen, sich ihren Platz in der libanesischen Gesellschaft zu suchen. Zum Ärger der Christen, die mit Argwohn den wachsenden Einfluss des Iran betrachten. Sie wissen, dass die Schiiten durch ihre hohe Geburtenrate die demographischen Gegebenheiten zu ihren Gunsten verändern. Längst erscheint auch das konfessionell motivierte politische Proporzsystem des Landes von einst, demzufolge der Staatspräsident ein Christ, der Premier Sunnit und der Parlamentssprecher Schiit sein muss, überholt.
Aus Sicht christlich-nationalistischer Gruppierungen im Libanon scheint sich dieser Tage also das zu bewahrheiten, was der französische Historiker Jean-Pierre Valognes 1994 mit Blick auf die Frage, ob es die Christen im Nahen Osten im neuen Jahrtausend noch geben werde. »Ohne Zweifel, aber sie werden nicht mehr zählen. Ohne den Bezugspunkt Libanon, wo sie sich erhobenen Hauptes bewegen, werden sie sich an den vorherrschenden Wertvorstellungen orientieren müssen und aufhören, sich zuerst als Christen zu verstehen. Damit wird eine der längsten Auseinandersetzungen der Geschichte bald verloren sein.«
Dagegen und für einen Verbleib der autochthonen Christen als integraler Bestandteil ihrer muslimisch geprägten Gesellschaft, haben die Vertreter der Orient-Kirchen während der Nahost-Synode in den vergangenen beiden Wochen medienwirksam aufbegehrt. Das wird keinen grundlegenden Wandel mit sich bringen, die Situation der Christen in der Region bleibt weiterhin angespannt – eine Verbesserung der Lage ist mittelfristig nicht in Sicht. Die jüngste Geiselnahme in einer der größten Kirchen Bagdads, bei der mehr als 50 Menschen ums Leben gekommen sein sollen, ist da nur der jüngste grausame Zwischenfall in der Region. Aber: Es war ein erstes, deutliches Signal des Vatikans, dass man sich über die Lage der mit Rom unierten Kirchen im Nahen Osten Gedanken macht. Für katholische Verhältnisse waren es laute Tage. Aufbäumende Tage. Tage des Donners.