Am 16. Juni 2013 ließ der ägyptische Präsident Muhammad Mursi 17 der insgesamt 27 Provinzen des Landes mit neuen Statthaltern besetzen. Großen Widerstand und Empörung entfachte die Ernennung von Adel al-Khayat zum Gouverneur des Touristenortes Luxor. Al-Khayat ist Mitgründer der islamischen al-Gamaa al-Islamiyya, die 1997 in Luxor das verheerendste Attentat in der jüngeren Geschichte Ägyptens verübte. Nachdem es zu landesweiten Protesten kam und sogar der entrüstete Tourismusminister sein Amt niederlegte, erklärte al-Khayat nun seinen Rücktritt. Von Tobias Zumbrägel
Am Morgen des 17. November 1997 griffen sechs als Touristen verkleidete Anhänger der al-Gamaa al-Islamiyya zu ihren Waffen und eröffneten das Feuer auf die Besucher des Hatschepsut-Tempels in Luxor – eine der bekanntesten Touristen-Attraktionen Ägyptens. Insgesamt wurden dabei 62 Menschen getötet, ein Großteil von ihnen ausländische Touristen. Laut Augenzeugenberichten wurden einige Opfer auf barbarische Art und Weise verstümmelt, bevor die Attentäter sie gezielt durch Kopfschüsse hinrichteten. Das Blutbad dauerte mehr als eine Stunde, ehe die ägyptischen Sicherheitskräfte den Tempel unter ihre Kontrolle bringen konnten. In Schusswechseln mit der Polizei wurden einige Attentäter getötet, andere begingen Selbstmord.
Das Massaker am Hatschepsut-Tempel markierte den grausamen Höhepunkt des Aufstrebens extremistisch-islamischer Bewegungen, die seit den 80er Jahren in arabischen Ländern immer mehr Zulauf bekommen hatten. Selbst die Anführer der al-Gamaa al-Islamiyya verurteilten die Tat aufs Schärfste und distanzierten sich ausdrücklich von der terroristischen Splittergruppe der Organisation.
„Die Touristen zu Tode erschreckt“
Doch was verbirgt sich hinter dieser Organisation? Die al-Gamaa al-Islamiyya wurde 1971 mit Billigung des damaligen Präsidenten Muhammad Anwar as-Sadat gegründet, der in ihr ein Gegengewicht zu den Anhängern seines Vorgängers Gamal Abd an-Nasir und den Kommunisten sah. Nach diversen Unruhen zwischen der koptisch-christlichen Minderheit und Muslimen wurde die Gamaa 1982 jedoch verboten und ging in den Untergrund. Zehn Jahre später erklärten die Gamaa der Regierung unter Staatsoberhaupt Husni Mubarak den Krieg und propagierten ihre Idee eines islamischen Staates in Ägypten. Nach dem Attentat 1997 gab sie öffentlich ihre Auflösung bekannt, wurde aber nur knapp sechs Jahre später unter einer neu verfassten, gewaltfreien Agenda als salafistische Partei - „Partei für Aufbau und Entwicklung“ - wieder ins Leben gerufen. Obwohl ihre Aktivitäten während der Regierungszeit Mubaraks streng überwacht wurden, konnte die al-Gamaa al-Islamiyya besonders im ländlichen Oberägypten Anhänger finden und ihre ultrakonservativen, salafistischen Ideologien verbreiten. Bei den Wahlen zum Unterhaus 2011/2012 erlangten sie insgesamt 13 Sitze.
Es klang daher wie „Vergangenheitsbewältigung“ auf makabre Art, als Mitte Juni einer der Gründungsmitglieder der al-Gamaa al-Islamiyya, Adel al-Khayat, zum neuen Gouverneur von Luxor ernannt wurde. Zwar leugnet er, jemals eine militante Rolle in der Organisation eingenommen zu haben, so wurde Khayat allerdings bereits 1982 mit der Ermordung Sadats in Verbindung gebracht und für ein Jahr inhaftiert – wenn auch ohne richterliches Urteil.
Der Analyst des amerikanischen Think-Tanks Century Foundation, Michael Wahid Hanna, erklärte dazu der New York Times am 16. Juni 2013: „Jeder ist daran interessiert, diese ehemaligen militanten Gruppen in die Politik und in den Prozess der Normalisierung zu integrieren, aber ich denke, es ist ziemlich kühn, ausgerechnet ein Gamaa-Mitglied zum Gouverneur von Luxor zu ernennen“.
Auch der Vorsitzende der ägyptischen Vereinigung zur Pflege des Tourismus (CST), Ihab Moussa, sagte zur Wahl Khayats: „Durch die Ernennung dieses Mannes als Gouverneur von Luxor erschreckt Mursi die Touristen zu Tode.“ Moussa kündigte an, dass man vor die Vereinten Nationen treten werde, falls Präsident Muhammad Mursi seine Entscheidung nicht innerhalb von 72 Stunden zurücknehme.
Aus Regierungskreisen ließ man hingegen verlauten, dass die Entscheidung nicht rückgängig gemacht werde. Die al-Gamaa al-Islamiyya, hieß es aus Kairo, sei in der Region etabliert und sorge seit 2003 für Ruhe und Ordnung. So betonte Mustafa al-Ghonim aus der Parteizentrale der Muslimbruderschaft, die Erhebung Khayats zum Statthalter Luxors sei eine „exzellente Wahl“.
Luxor zu einer „touristischen Hauptstadt“ machen
Für Beobachter zeigte diese Amtseinführung deutlich, dass der ägyptische Präsident und die Muslimbruderschaft ihre Beziehungen zu den salafistischen Parteien und Organisationen, die besonders nach der Absetzung Mubaraks 2011 großen Zulauf erhalten haben, intensivieren wollen. Durch Bündnisse dieser Art möchte man der neu erstarkten Opposition entgegentreten, die zudem erstmals einen einheitlicheren Eindruck macht. Die Tamarud-Bewegung (zu Deutsch: Rebell) zum Beispiel hat in den vergangenen Wochen für die Abdankung Mursis mobilisiert und organisiert für den 30. Juni einen neuen „Marsch der Millionen“ zu seinem Palast.
Bis Ende des Monats wollten die Bewohner von Luxor jedoch nicht warten, um gegen ihren neuen Statthalter Adel al-Khayad vorzugehen. So bereitete ihnen nicht nur die Vergangenheit Khayads Sorgen, sondern auch seine ultrakonservative Werte- und Normeneinstellung. Er lehnt die freizügige Kleidung genauso ab wie den Alkoholkonsum. Die in der Tourismusbranche tätigen Menschen mussten daher um ihre Zukunft bangen und einen erneuten Abbruch des Fremdenverkehrs befürchten, der sich gerade erst wieder von den Einbrüchen der Revolutionszeiten erholt. Darüber hinaus sorgten sich zahlreiche Einheimische um die Erhaltung der tausendjährigen Altertümer vor Ort, weil diese religiösen Dogmatikern als „barbarisch“ und „frevelhaft“ gelten. Direkt im Anschluss der Wahl Adel al-Khayats postete der bekannte ägyptischer Komiker Bassam Youssef auf Twitter: „Der Gouverneur von Luxor aus der Gamaa? OK, bring uns zwei Götzen von dort, bevor es zu spät ist," und sprach damit vielen Ägyptern auf zynische Art und Weise aus dem Herzen.
Obwohl der neu ernannte Statthalter al-Khayat am 18. Juni noch betonte, er wolle Luxor zu einer „touristischen Hauptstadt“ entwickeln, überwog die Skepsis und Angst bei dem Großteil der Menschen im und außerhalb des Tourismussektors. Zahlreiche Oppositionsbewegungen sowie Dienstleister und Angestellte der Tourismusbranche belagerten daher bereits am Tag nach seiner Wahl, den Sitz des Statthalters und skandierten „Wir wollen keine Terroristen“ und „Die Regierung hat einen Botschafter durch einen Terroristen ersetzt“. Die Proteste brachen auch in den Folgetagen nicht ab, sondern vermehrten sich: So gesellten sich Oppositionsbewegungen wie „Tamarud“ und „6th of April“ zu den Protestlern. Unterdessen trat der ägyptische Tourismusminister, Hisham Zaazou, aus Empörung über die Ernennung Khayats von seinem Posten zurück.
Anhaltende Proteste erzeugen Wirkung
Aber auch in anderen Provinzen gingen Demonstranten auf die Straße, um gegen die Ernennung eines Muslimbruders als Statthalter zu protestieren. Insgesamt hatte der ägyptische Präsident Mursi am 17. Juni sieben der 17 neuen Statthalter aus der Muslimbruderschaft rekrutiert. Damit waren mehr als die Hälfte der 27 Provinzen unter Führung regierungstreuer Politiker.
Zumindest in Luxor musste sich der politische Arm der al-Gamaa al-Islamiyya dem Willen der Demonstraten fügen und beriet am vergangenen Samstag in einer kurzfristig einberufenen Konferenz über die Abdankung Adel al-Khayats. Der Leiter der „Partei für Aufbau und Gerechtigkeit“ der al-Gamaa al-Islamiyya, Abdel Ghani, betonte in einem kurzen Statement, dass die Partei bei der Wahl Khayats nicht konsultiert worden sei und sich gegen seine Ernennung ausgesprochen hätte. Noch in der Nacht von Samstag auf Sonntag erklärte Adel al-Khayat, der nur fünf Tage im Amt war, seinen Rücktritt als Statthalter von Luxor. Den Vorgang, der ihn um seinen Posten brachte, bezeichnete er als „ungerechte Medienkampagne“.
Für die ägyptische Zivilgesellschaft jenseits der Metropolen Kairo und Alexandria ist Khayats Amtsniederlegung ein großer Erfolg und bestärkt die ungebrochene Macht des Boykotts. Auch der Opposition und allen Anhängern der Tamarud-Bewegung, die im Vorfeld des geplanten „Marsches der Millionen“ am 30. Juni 2013 für die kommende Woche zu täglichen Massenversammlungen und Protestmarschen aufgerufen haben, gibt die Resignation Khayats Aufwind. Mursi musste durch diesen Misserfolg hingegen weiter an Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung einbüßen. Vorsichtig optimistisch mag man den Worten des Bestseller-Autors und Politikwissenschaftlers Khaled al-Khamissi folgen, der vergangene Woche in einem Interview mit der Deutschen Welle erklärte: „Der revolutionäre Prozess gewinnt an Kraft“.