Hassan Nasrallah hatte Beweise versprochen. Auf einer Pressekonferenz am Montag Abend wollte der Hizbullah-Generalsekretär „zwingende Beweise“ dafür vorlegen, dass Israel für den Mord am ehemaligen libanesischen Premierminister Rafiq al-Hariri verantwortlich ist. Die hat er nicht vorgebracht. Und dennoch ist es Nasrallah gelungen, in der libanesischen Öffentlichkeit weitere Zweifel am Sondertribunal für den Libanon (STL) zu säen, das den Hariri-Mord aufklären soll.
Mehr als zweieinhalb Stunden lang bot der Hizbullah-Chef großes politisches Theater, garniert mit pixeligen Videoaufnahmen und unterlegt mit dramatischer Musik. Im Mittelpunkt der Präsentation standen Aufnahmen unbemannter israelischer Aufklärungsdrohnen. Mitte der 1990er Jahre habe seine Miliz die Fähigkeit erlangt, sich in die Liveübertragungen der israelischen Drohnenkameras zu hacken. Damit hatte die Hizbullah Kenntnisse über Gebiete, die besonders im Fokus der israelischen Armee standen. Dadurch war es der Hizbullah bereits 1997 gelungen, ein israelisches Kommando nahe des Dorfes Ansariyeh in einen Hinterhalt zu locken. Durch die Aufnahmen der israelischen Drohnen war die Miliz zu dem Schluss gelangt, dass die Israelis in diesem Ort eine Kommandoaktion planten – die Hizbullah hatte Recht, die israelische Einheit wurde in einen Hinterhalt gelockt, bei dem zwölf israelische Soldaten getötet wurden.
Des weiteren führte Nasrallah angebliche Aufnahmen israelischer Drohnen vor, auf denen unter anderem das Zentrum Beiruts, der Ort des Hariri-Anschlags, Hariris Residenzen und Fahrtwege zu sehen sind. Die Bilder sollen aus den Tagen vor dem Attentat am 14. Februar 2005 stammen. Die Drohnenflüge dienten der Vorbereitung des Mordes, argumentiert Nasrallah. Schließlich wohne in den betreffenden Gegenden kein einziger Hizbullah-Funktionär.
Daneben fußt Nasrallahs Argumentation auf den Aussagen angeblicher israelischer Spione. So habe bereits in den 1990er ein libanesischer Agent der Israelis – ein Mann namens Ahmad Nasrallah, der nicht mit dem Hizbullah-Generalsekretär verwandt ist – Rafiq Hariris Sicherheitskräfte informiert, dass der Militärchef der Schiitenmiliz, Imad Mughniyeh, die Ermordung des damaligen libanesischen Premiers geplant habe. Ziel der Israelis sei es gewesen, Misstrauen und konfessionelle Spannungen im Libanon zu säen. Ein anderer angeblicher israelischer Agent habe Informationen über die Residenz des libanesischen Präsidenten und die Yacht des Armeechefs geliefert. Und schließlich habe ein weiterer enttarnter Spion für Israel ausgesagt, dass auch ein Attentat auf den libanesischen Parlamentspräsidenten Nabih Berri, einen schiitischen Verbündeten der Hizbullah geplant gewesen sei, um den Libanon ins Chaos zu stürzen.
Ein weiterer Kollaborateur habe sich am Tag vor dem Hariri-Attentat am Tatort aufgehalten. Genau aus diesem Grund hätten sich auch Hizbullah-Mitglieder dort aufgehalten, um die Spuren des Agenten zu verfolgen. Offenbar geht Nasrallah davon aus, dass das Tribunal Beweise für den Aufenthalt von Hizbullah-Milizionären am Tatort hat. Mit dieser Erklärung versucht er diesen zu begründen und gleichzeitig Israel für den Mord verantwortlich zu machen.
Am Ende seines Vortrags, der auf fast allen libanesischen TV-Sendern und den wichtigsten arabischen Nachrichtenkanälen in voller Länge übertragen wurde, räumte Hassan Nasrallah ein, dass die vorgelegten Videos und angeblichen Geständnisse israelischer Agenten keine direkten Beweise für Israels Täterschaft, wohl aber „Hinweise“ seien. Sollten tatsächlich Hizbullah-Mitglieder vom Gericht in Leidschendam bei Den Haag angeklagt werden, habe man weitere Indizien gegen Israel in der Hinterhand.
Tatsächlich lieferte Nasrallahs Pressekonferenz wenig Neues. Dass Israel weite Teile des Libanon mit Flugzeugen und Drohnen überwacht ist seit langem bekannt. Aus Videoschnipseln von Aufnahmen, die über einen Zeitraum von zehn Jahren gemacht wurden, kann man da kaum einen zwingenden Beweis extrahieren. Für Aufsehen sorgt eher die Tatsache, dass die Hizbullah offenbar seit 15 Jahren in der Lage ist, teilweise ohne Zeitverzögerung auf die Bilder israelischer Überwachungsdrohnen zugreifen zu können.
Auch die Aussagen angeblicher israelischer Agenten sollten mit Vorbehalt bewertet werden. Von den Kollaborateuren, die seit 2009 enttarnt wurden, ist bisher kein einziger vor Gericht gestellt und verurteilt worden. Man kann zudem davon ausgehen, dass Geständnisse zumindest mit der Androhung körperlicher Gewalt erpresst wurden. Wie glaubwürdig diese tatsächlich sind, kann bislang nicht bewertet werden. Jedenfalls sei die Enttarnung der israelischen Agentenringe auch der Grund, warum die Hizbullah erst jetzt mit ihren Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gehe.
Hassan Nasrallahs Ziel war es aber ohnehin nicht, der arabischen Öffentlichkeit die Schuld Israels zu beweisen, sondern die Zweifel am Sondertribunal für den Libanon zu verstärken. Auch wenn seine angeblichen Beweise nicht zwingend sind, fragen sich viele im Libanon und außerhalb, ob das STL gegen die Hizbullah mehr in der Hand hat. Und noch mehr rückt jetzt die Frage in den Mittelpunkt: „Warum wurde nie gegen Israel ermittelt? Warum wurden zwielichtige Zeugen verhört und für glaubwürdig befunden? Warum wurden vier hochrangige libanesische Sicherheitsbeamte vier Jahre lang aufgrund eine dünnen Beweislage inhaftiert und schließlich doch freigelassen während die israelische Überwachung des libanesischen Luftraums dabei vollkommen außer Acht gelassen wurde?“ Nasrallah versucht das Tribunal als amerikanisch-israelische Verschwörung gegen den Libanon und die Hizbullah zu diskreditieren. Jetzt ist das Gericht unter Zugzwang Beweise vorzulegen, die nach Ansicht der libanesischen Öffentlichkeit überzeugender sind.