Mehr als 100 Tage nach den Parlamentswahlen vom 7. Juni hat der Libanon immer noch keine neue Regierung. Frustriert und zermürbt von den monatelangen Verhandlungen hatte der designierte neue Premierminister Saad Hariri das Mandat zur Regierungsbildung in der vergangenen Woche zunächst zurückgegeben. Heute wurde er jedoch von Präsident Michel Suleiman erneut mit der Kabinettsbildung betraut, nachdem Hariri von der Parlamentsmehrheit das Vertrauen ausgesprochen worden war.
In der letzten Woche hatte das von der Hizbollah angeführte Oppositionsbündnis Hariris ersten Kabinettsentwurf abgelehnt. Die Regierungsbildung scheiterte in erster Linie am Veto Michel Aouns, dem Anführer der stärksten christlichen Fraktion im Kabinett und Verbündeten der schiitischen Bewegungen Amal und Hizbollah. Aoun bestand darauf, dass sein Schwiegersohn Gebran Bassil zum Telekommunikationsminister ernannt werden sollte. Diesem Wunsch wollte Hariri nicht nachkommen und verwies darauf, dass Bassil bei den Wahlen den Einzug in die Nationalversammlung verpasst hatte.
Ohne die Zustimmung der Opposition wäre die Bildung einer neuen Regierung äußerst umstritten. Die Präambel der libanesischen Verfassung und auch der ungeschriebene Nationalpakt von 1943 sehen nämlich vor, dass eine Regierung im Konsens der verschiedenen Konfessionen gebildet werden müsse. Ohne Rückhalt von Amal und Hizbollah, die eine überwältigende Mehrheit der Schiiten hinter sich wissen, wäre dieser Punkt jedoch nicht erfüllt.
Jenseits der Personaldebatten scheint inzwischen zumindest ein Konsens über die Machtverhältnisse in der neuen Regierung gefunden worden zu sein. Presseberichten lautet die magische Formel für das künftige Kabinett 15-10-5. Das bedeutet, dass von 15 Minister vom March 14-Bündnis, den Gewinnern der Parlamentswahl nominiert werden sollen. 10 Kabinettsposten sollen von der Opposition om Aoun und die Hizbollah besetzt werden, die restlichen 5 Ressorts sollen von Kandidaten des Staatspräsidenten Michel Suleiman geleitet werden. Damit wäre sichergestellt, dass weder die Parlamentsmehrheit über eine absolute Mehrheit in der Regierung stellt, noch dass die Opposition mit einer Sperrminorität von einem Drittel plus einer Stimme Regierungsentscheidungen blockieren kann. Zünglein an der Waage wären künftig die Vertreter des Präsidenten am Kabinettstisch.
Der Stillstand ist auch das Ergebnis eines saudisch-syrischen Machtkampfes im Hintergrund. Nachdem es kurz nach den Wahlen im Juni noch so ausgesehen hatte, als näherten sich Riad und Damaskus weiter an, liegt eine Verbesserung der Beziehungen beider Staaten derzeit auf Eis. Die Bildung einer neuen libanesischen Regierung scheint jedoch erst nach einem Gipfeltreffen beider Staatschefs möglich, die seit Jahren im Zedernstaat um Macht und Einfluss rangeln.
Angesichts des monatewährenden Machtkampfes wächst im Libanon die Frustration über die politische Elite weiter an. Zum Einen wächst die Frustration über die Sturheit der Opposition, zum Anderen mehren sich die Zweifel an der Führungskraft Saad Hariris. Zudem stellt sich mehr denn je die Frage, ob das libanesische Konsens- und Proporzsystem überhaupt geeignet ist, dem Land stabile politische Verhältnisse zu ermöglichen.