Die bewaffnete Präsenz der Hizbullah und ihre wiederholten Übergriffe auf israelisches Territorium von libanesischem Boden aus stellten für Israel die hauptsächliche Rechtfertigung für den knapp einmonatigen Krieg , der die Welt im Juli in Atem hielt. Auch in der westlichen Öffentlichkeit wurde der Konflikt (wenn auch äußerst kontrovers) im wesentlichen unter militärischen und sicherheitspolitischen Aspekten diskutiert. Während nun die internationale Gemeinschaft gespannt den Ausbau des UNIFIL-Mandats im Südlibanon verfolgt, treten allerdings weitere Konfliktlinien zutage, die eine komplexere Problemlage erkennen lassen.
Dass es dabei um Streitigkeiten um Wassernutzungsrechte zwischen Israel und Libanon geht, mag zwar wenig spektukulär erscheinen, dennoch können die neuerlichen Beschwerden der libanesischen Regierung nicht als Randnotiz abgetan werden, sondern bedürfen einer Erläuterung, um die Spannungen zwischen den beiden Ländern besser verstehen zu können.
Denn nicht zum ersten Mal sieht sich Israel dem Vorwurf der widerrechtlichen Aneignung libanesischer Gewässer beschuldigt. Umso eindringlicher appellierte Ministerpräsident Fouad Siniora an den scheidenden UN-Generalsekretär Kofi Annan, das israelische Vorgehen als Verstoß gegen die Resolution 1701 zu brandmarken.
Was war geschehen? Mohammad Ghamlush, leitender Ingenieur der beiden Pumpstationen des südlibanesischen Flusses Wazzani, berichtet AFP gegenüber von einer Aktion israelischer Spezialstreitkräfte. Diese seien am 22. September in eine Station eingedrungen und hätten diese sabotiert, um beträchtliche Mengen des Flusses nach Israel umzuleiten. "Die Israelis pumpen nun täglich 200-300 Kubikmeter Wasser nach Israel", konstatiert Ghamlush.
In einer Region, in der Wasser eine noch wertvollere Ressource als Öl ist, birgt diese Auseinandersetzung naturgemäß besonderes Konfliktpotenzial. Kompliziert wird die Angelegenheit durch die durchaus legitimen Ansprüche, die beide Seiten für sich geltend machen. Aus libanesischer Sicht ist der Wazzani eindeutig ein libanesischer Fluss, da er am Fuße des Mount Hermon entspringt und erst nach einigen Kilometern die Grenze nach Israel passiert. Neben dieser rechtlichen Grundlage für die Ableitung des Wazzani-Wassers führt die libanesische Regierung vor allem huminitäre Gründe ins Feld: Die Bewässerung soll nämlich jenen grenznahen Dörfern zukommen, die bislang fast völlig von der Wasserversorgung ausgeschlossen sind.
Doch auch Israels Ansprüche auf das Wazzani-Wasser sind nachzuvollziehen: Denn der Wazzani vereinigt sich kurz vor der Grenze mit dem Hasbani einem der Hauptzuflüsse des Jordan. Der Jordan wiederum speist den See Genezareth, das größte Wasserrevoir Israels und Grundlage für die blühende landwirtschaftliche Produktion. Insofern betrifft die Ableitung des Wazzini-Wassers Israel und seine (land)wirtschaftliche Stabilität unmittelbar.
Bereits vor vier Jahren wäre dieser Streit schon beinahe militärisch eskaliert: Damals standen sich der inzwischen ermordete libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri und der heute im Koma liegende Ariel Sharon feindlich gegenüber. Wiederholt hatte die israelische Luftwaffe die Installation der erwähnten Pumpstation aktiv zu sabotieren versucht und Sharon hatte bereits zu diesem Zeitpunkt unverhohlen mit Krieg gegen den Staat Libanon gedroht. Nicht zuletzt aber zeitigten die israelischen Übergriffe vor allem ein Resultat: Den Guerilla-Streitkräften der Hizbullah wurde immer wieder ein Vorwand gegeben, israelisches Territorium als Vergeltung zu beschießen.
Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt, die sich bis zum letztmonatigen Krieg hochschaukelte, erhielt, neben der strittigen Frage der Shebaa-Farmen, nicht zuletzt durch diese Auseinandersetzung um das Wazzani-Wasser bedeutende Sprengkraft und erklärt zu einem gewissen Teil auch, warum große Teile der libanesischen Bevölkerung die Aktionen der Hizbullah unterstützten. Denn der Konflikt um das Wazzani-Wasser ist primär ein Konflikt zwischen dem israelischen und libanesischen Interessen, von dem bis heute allerdings hauptsächlich die Hizbullah profitiert hat.