17.05.2012
Kämpfe in Tripoli: Wenn die Falschen den Richtigen verhaften
von Björn Zimprich
Hat der syrische Bürgerkrieg nun Tripoli erreicht? Obwohl die Frontlinien in Libanons zweitgrößter Stadt ähnlich verlaufen wie im Nachbarland, war es eine Verhaftung, die die neue Stufe der Gewalteskalation auslöste.


Seit dem Samstagnachmittag des 12. Mai wird die nordlibanesische Stadt Tripoli von schweren Kämpfen zwischen alawitischen und sunnitischen Kämpfern erschüttert – so wie seit 2008 immer mal wieder. Die Spannungen in Tripoli hatten seit Beginn des Aufstandes in Syrien vor 15 Monaten stark zugenommen. Mit 8 Toten und mehr als 50 Verletzen erreichen die aktuellen Auseinandersetzungen nun eine neue Qualität.

Die Mittelmeerstadt Tripoli liegt nur 30 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Viele Menschen haben familiäre Bande über die Grenze hinweg. Tripoli ist die zweitgrößte libanesische Stadt mit etwa 500.000 Einwohnern und mehrheitlich sunnitisch geprägt. Mehr noch, gilt sie als inoffizielle Hauptstadt des sunnitischen Islams in Libanon. Die Stadt beherbergt aber auch den Großteil der libanesischen Alawiten. 50.000 siedeln auf einem Hügel im Norden des Stadt, dem Jabal Mohsen. Damit ähnelt die religiöse Komposition von Tripoli der des kaum 30 Kilometer entfernten Syrien, mit dessen Hinterland die Hafenmetropole traditionell eng verbunden ist.

Während immer mehr Alawiten in Syrien in den vergangenen Monaten eine Kollektivbestrafung fürchten, weil sie von der sunnitischen Mehrheit als Profiteure und Protagonisten des Regimes gesehen werden, haben sie im Libanon nie die politische Oberhand gehabt und sehen sich schon länger als marginalisierte, umzingelt Minderheit. Der Stadtteil Jabal Mohsen grenzt im Süden und Westen direkt an die sunnitischen Viertel Qibbe und Bab al-Tabbaneh. Die Alawiten von Tripoli, namentlich die »Arabische Demokratische Partei« von Rifat Eid, unterhalten enge politische und militärische Bande mit dem syrischen Regime, insbesondere nachdem Rifats Vater Ali im Taif-Abkommen 1989, das den Bürgerkrieg beendete, die offizielle Anerkennung plus zwei Sitze im Proporzparlament für seine Religionsgemeinschaft sichern konnte.

Frontlinie an der Syrien-Straße

Im Zuge wachsender innerlibanesischer Spannungen nach der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri 2005, sowie dem Abzug des syrischen Armee aus dem Land, gingen insbesondere seit 2007 von alawitischen und sunnitische Milizen zur Wiederbewaffnung über. In dem palästinensischen Flüchtlingslager Nahr al-Bared, wenige Kilometer außerhalb von Tripolis, hatte sich die salafistische Terrorgruppe Fatah al-Islam eingenistet – und offenbar auch die Alawiten von Tripoli ins Visier genommen. Fatah al-Islam wurde in einem verlustreichen Kleinkrieg mit der libanesischen Armee aufgerieben, und obwohl sich der Konflikt auf das Lager beschränkte, rüsteten sich in die Bab el Tabbaneh und Jabal Mohsen die Milizen. Falls Tripoli zum Schauplatz der Auseinandersetzung werden sollte, wollte keine Seite unvorbereitet dastehen.

Die schwersten Kämpfe fanden 2008 statt, als im Zuge des Mini-Bürgerkrieges im Mai nicht nur West-Beirut von der Hizbullah überrannt wurde, sondern auch in anderen Landesteilen konfessionelle Kämpfe wüteten. In Tripoli wie auch nördlich in der Provinz Akkar, die an Syrien grenzt, lieferten sich Milizen erbitterte Gefechte. Seitdem flammen die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Stadtteilen regelmäßig auf. Das libanesische Militär ist im Gebiet Tag und Nacht mit Schützenpanzern und in Stützpunkten präsent. Die Syrien-Straße die Bab al-Tabbaneh und Jabal Mohsen trennt, gleicht einer Frontlinie. Die Häuser auf beiden Seiten der Straße sind mit Einschusslöchern durchsiebt.

Aber das Straßenbild hat sich seit Beginn des Aufstands in Syrien noch weiter verändert. In Bab al-Tabbaneh sind überall schwarz-weiß-grüne Flaggen mit drei roten Sternen zu sehen – das Banner des so genannten freien Syriens. Man ergreift offen Partei für die syrischen Oppositionellen. Nur 50 Meter weiter in Jabal Mohsen solidarisiert sich die Mehrheit der Menschen mit dem Assad-Regime. Syrische Nationalflaggen, Portraits des amtierenden Präsidenten Baschar al-Assad und verbündeter alawitischer Politker dominieren die Szenerie.

Für das salafistische Milieu in Tripoli ist die Verhaftung Mawlawis ein Affront

In dieses Pulverfass traf am Samstag die Nachricht über die Verhaftung des Salafisten Shadi al-Mawlawi durch den staatlichen Sicherheitsdienst. Mawlawi gilt als Unterstützer der Aufständischen in Syrien und saß zwischen 2007 und 2009 wegen Waffenhandels im Gefängnis. Nun wird ihm vorgeworfen, Verbindungen zu bewaffneten Gruppen in Syrien zu unterhalten. Auch eine Verbindung mit Al-Qaida gilt als möglich. Das syrische Regime übt schon länger Druck auf die libanesischen Behörden aus, gegen Waffenschmuggel und Unterstützung für die Aufständischen vorzugehen. Regelmäßig werden auf libanesischer Seite Waffenschmuggler verhaftet. Allerdings meistens von Angehörigen der Polizei und nicht vom Sicherheitsdienst der so genannten Sûreté Générale.

Dieser allgemeine Sicherheitsdienst ist hauptsächlich für den Grenzschutz zuständig, überwacht Ein- und Ausreise am Flughafen sowie die Häfen des Landes. Wenn auch die Verhaftung selber nicht illegal war, so ist sie dennoch ungewöhnlich. Schließlich rekrutiert sich ein beträchtlicher Teil des Personals der Sûreté Générale aus Schiiten und steht den Parteien Amal und Hizbullah nahe. Beide Parteien sind eng mit dem syrischen Regime verbündet. 

Für das salafistische Milieu in Tripoli ist die Verhaftung daher ein Affront. Schiiten werden als Abtrünnige des Islam gesehen und sind eine der Hauptfeinde der salafistischen Bewegung. Die wichtigsten Frontlinien im Machtkampf des politischen System verlaufen zudem zwischen sunnitischen und schiitischen Blöcken. Viele Sunniten in Tripoli sehen den wachsenden Einfluss der schiitischen Hizbullah mit Sorge und fühlen sich vom Waffenarsenal der Partei Gottes bedroht.

Führer der Salafisten und andere sunnitische Geistliche forderten daher die sofortige Freilassung von Mawlawi. Selbst Premierminister Najib Miqati, ein sunnitischer Politiker aus Tripolis, kritisierte die Art und Weise der Verhaftung.

Werden die Karten im Beiruter Machtpoker neu gemischt?

Drusenführer Walid Jumblat, der seit dem letztem Jahr seine Kritik am syrischen Regime verstärkt hat, gab die Schuld an der Vorfall dem Regime im Nachbarland. »Einige Sicherheitskräfte im Libanon werden von Syrien angestachelt, um Unterstützer der syrischen Revolution zu drangsalieren«, schrieb der PSP-Politiker in der parteinahen Zeitschrift al-Anbaa. Damit brachte Jumblat auf den Punkt, was wohl viele Gegner des syrischen Regimes im Libanon denken. Demnach würde es Damaskus in die Karten spielen, in Tripoli Chaos zu verbreiten, um so eine Unterstützungsbasis der Aufständischen zu paralysieren. Im Falle einer geplanten Provokation ging diese jedenfalls voll auf.

Aus Demonstrationen gegen Mawlawis Verhaftung entwickelten sich am Samstag die Kämpfe zwischen den beiden verfeindeten Stadtvierteln, die noch noch am selben Tag drei Todesopfer forderten. Auch über den gesamten Sonntag beruhigte sich die Lage nicht. Ein Ultimatum der Armee, demnach sich alle Milizionäre bis Montag um 4 Uhr von den Straßen zurückziehen sollten, wurde nicht eingehalten. Stattdessen stiegen die Zahlen Toten und Verletzten weiter an. Anders als sonst blieben die Kämpfe auch nicht auf die direkte Umgebung von Jabal Mohsen und die Syrien-Straße beschränkt, Zivilisten flohen aus dem Gebiet, das öffentliche Leben brach zusammen. Erst am Dienstag ebbten die Zusammenstöße langsam ab.

In Tripoli zeigt sich, welch starke Auswirkungen der Bürgerkrieg in Syrien mittlerweile auf sein Nachbarland hat. Teile der libanesischen Opposition hegen die Hoffnung, dass ein möglicher Fall des Assad-Regimes auch zu einer Neuordnung der politischen Verhältnisse im Libanon führen würde. Gleichzeitig haben die mit dem Regime verbündeten Kräfte viel zu verlieren. Lange Zeit glich das Beiruter Machtpoker einem kalten Krieg. Seit dem die Falschen den Richtigen verhaftet haben, ist er heiß geworden. Auf Kosten der Stabilität des Libanon.