13.11.2013
Irans diplomatische Offensive: Chance oder Gefahr für den Mittleren Osten?
EU Vertreterin Catherine Ashton und Irans Außenminister Javad Zarif Anfang November in Genf. Foto: European External Action Service (CC)
EU Vertreterin Catherine Ashton und Irans Außenminister Javad Zarif Anfang November in Genf. Foto: European External Action Service (CC)

Das Tempo, mit dem die Nuklearverhandlungen zwischen den EU3+3 und dem Iran zurzeit voranschreiten, wirkt nach Jahren des Stillstandes und nur wenige Monate nach Rouhanis Wahl erstaunlich. Während der letzten Atomgespräche in Genf stand man gar kurz vor einer Übereinkunft. Die Medienaufmerksamkeit ist groß, doch stellt sich auch die Frage, welche Folgen eine Vereinbarung für das Machtgefüge im Mittleren Osten haben könnte. Ein Gastbeitrag von Christian Ebert

Die Wahl des als moderat geltenden Hassan Rouhanis zum iranischen Präsidenten hat den Sympathiewerten der Islamischen Republik in der arabischen Welt keinen Auftrieb verleihen können. Seit Beginn der Syrienkrise ist das Ansehen Irans am Tiefpunkt. Vergessen ist der Libanonkrieg von 2006, in dem der Iran die Hizbollah gegen Israel unterstützte und damit in der arabischen Welt viel Anerkennung und Zuspruch fand. Man konnte sich für die Islamische Republik begeistern, hatten die Iraner doch anders als die eigenen Präsidenten und Könige den Mut, sich den USA und Israel offen entgegenzustellen.

Mit einer gezielten Strategie anti-amerikanischer Rhetorik schärfte der Iran das eigene Profil und untergrub die Autorität der arabischen pro-amerikanischen Regime. Bis zum Davos-Eklat Erdogans während des Gaza Krieges 2008/2009 schien sich das iranische Kalkül auszuzahlen. Danach schaffte es die Türkei erfolgreich, dem Iran den Rang als erster Verteidiger der palästinensischen Sache abzulaufen.

Vom einstigen Prestige ist Ende 2013 nicht mehr viel übrig. So fand die inner-iranische Diskussion, ob die arabischen Aufstände von 2011 als Fortsetzung der iranischen Revolution von 1979 oder der Proteste der Grünen Bewegung von 2009 anzusehen seien, in der arabischen Öffentlichkeit nie eine ernstzunehmende Beachtung. Daran konnten auch die Freitagspredigten des Revolutionsführers Khamenei in arabischer Sprache nichts ändern.

Khamenei predigt freitags auf Arabisch - dem Image hat es wenig geholfen

Der Sturz der Muslimbrüder in Ägypten, dem eine große Protestbewegung vorausging, wie auch der wachsende politische Widerstand gegen die islamistische Ennahda in Tunesien haben Khameneis These vom „islamischen Erwachen“ in der Region zudem nahezu vollkommen widerlegt. Sinnbildlich für den Imageverlust des Iran war der Schuhwurf gegen Ahmadinejad während seines Ägyptenbesuchs im Februar dieses Jahres.

Der Iran kann sich immerhin durch die dauerhafte, auch militärische, Unterstützung für Bashar al-Assads Regime entgegen aller Widerstände als verlässlicher Verbündeter inszenieren. Gleichwohl basiert die Unterstützung al-Assads keinesfalls auf echter Freundschaft, sondern allein auf der regionalpolitischen Notwendigkeit der iranischen Führung, den einzigen mit ihnen verbündeten arabischen Staat nicht zu verlieren.

Die Standhaftigkeit in der Syrienfrage könnte sich vielleicht noch einmal auszahlen, die Hamas jedenfalls ist mittlerweile wieder bemüht nach dem Sturz der Muslimbruderschaft in Ägypten die Beziehungen zur Islamischen Republik aufzufrischen.

Nicht nur der Iran ist Verlierer der Umbrüche in der Region

Auf der einen Seite lässt die Bewertung dieser Entwicklungen zum jetzigen Zeitpunkt einen deutlichen Rückschlag der iranischen Außenpolitik im Mittleren Osten vermuten. Auf der anderen Seite ergeht es Irans regionalen Konkurrenten durch die fortdauernden regionalen Umbrüche derzeit kaum besser.

Galt die Türkei 2011 noch als großer kommender Gewinner des „Arabischen Frühlings“, so ist durch die Syrienkrise und den Sturz Mursis die Zahnlosigkeit Erdogans im Mittleren Osten offensichtlich geworden. Die Erwägungen, das türkische Modell einer „islamischen Demokratie“ als Vorbild für die zukünftigen Verfassungen der Staaten des „Arabischen Frühlings“ propagieren zu können, sind spätestens seit den Gezi-Protesten passé, außenpolitisch fand sich die Türkei infolge des tiefen Falls der Muslimbrüder in Ägypten im Sommer in der Region weitgehend isoliert.

Ägypten ist vorerst mit innenpolitischen Herausforderungen beschäftigt. Die finanzielle Abhängigkeit von den Golfmonarchien Saudi-Arabiens und den Vereinigten Arabischen Emiraten wirft zudem die Frage auf, ob Ägypten überhaupt in naher Zukunft fähig sein wird, als bevölkerungsreichster arabischer Staat einen echten regionalen Führungsanspruch formulieren zu können. Einzig Saudi-Arabien scheint durch den Machtwechsel in Ägypten vorerst an regionaler Statur weiter gewonnen zu haben.

Rouhani und das Ende der „Strategie der arabischen Straße“

Die Wahl Rouhanis und die mögliche Einigung im Nuklearstreit birgt daher sowohl Chancen als auch Gefahren für Irans Position in der Region. Sicher ist, dass Rouhani zum jetzigen Zeitpunkt die regionale Außenpolitik seines Vorgängers Ahmadinejad nur bedingt fortführen wird. Ziel wird eine Entspannung am Persischen Golf und auch im Verhältnis zur Türkei sein. Dies mag zum einen an Rouhanis Persönlichkeit liegen – der neue Präsident gilt mehr als kluger Taktiker und Pragmatiker denn als lauter Provokateur – der Populismus der Ahmadinejad-Ära und die „Strategie der arabischen Straße“ waren jedoch ohnehin zuletzt in einer Sackgasse.

Derzeit ist eine deutliche Annäherung zwischen Teheran und Washington deutlich festzustellen. Dieser Kuswechsel allerdings, wird nicht nur von iranischen Konservativen, sondern auch von der israelischen Regierung vehement abgelehnt. Auch Saudi-Arabien steht einem möglichen Nukleardeal skeptisch gegenüber.

Israel und Saudi-Arabien bleiben hart

Während Israels Entscheidungsträger proklamieren, dass der Iran nur auf Zeit spielen will und entgegen aller scheinbaren Zugeständnisse insgeheim weiter den Bau einer Atombombe betreibt, scheint sich Saudi-Arabien ernsthaft um seinen Status als bevorzugter US-Verbündeter am Golf und damit um seine regionale Stellung zu sorgen. Daher könnte gerade eine Einigung im Atomstreit Israels und Saudi-Arabiens Position gegenüber dem Iran weiter verhärten. Netanjahus scharfe Reaktion auf einen möglichen Nukleardeal in Genf verdeutlicht, dass er sich von seinen Verbündeten im Stich gelassen fühlt. Er wirft ihnen Naivität im Umgang mit Teheran vor.

Saudi-Arabien hingegen scheint Berichten zufolge ernsthaft den Kauf von Atombomben aus Pakistan in Betracht zu ziehen, um mit atomar bewaffneten Iranern unmittelbar gleichziehen zu können. In Bezug auf das saudisch-amerikanische Verhältnis äußerte Saudi-Arabiens Geheimdienstchef Prinz Bandar bin Sultan, dass er die strategische Allianz zwischen den USA und Saudi-Arabien vor einem größeren Umbruch sieht. Zuletzt hatte Saudi-Arabien sogar einen Sitz im UN-Sicherheitsrat abgelehnt mit der Begründung der Rat wäre unfähig, den Nahost-Konflikt und das Blutvergießen in Syrien zu beenden. Das Manöver wird unter Beobachtern allgemein als eine Botschaft und Warnung an die USA gesehen, die durch ihre gegenwärtige Iran- und Syrienpolitik die Saudis verärgert und beunruhigt haben.

Die Reaktionen der Saudis legen nahe, dass diese ihre Position als weitaus weniger dominant empfinden als man vermuten könnte. Ob sie aber tatsächlich fürchten, vom Iran als erster US-Verbündeter am Golf abgelöst zu werden, lässt sich schwerlich belegen.

Riad als Verlierer einer iranisch-amerikanischen Entspannung?

Auch in den USA lehnen weite Teile des Kongresses aus beiden Parteien einen Kompromiss mit Teheran rundweg ab. Der Kongress steht damit in eindeutiger Opposition zu Präsident Obamas diplomatischer Initiative. Auch das Regime in Teheran ist keineswegs an einer Allianz mit den USA interessiert. Noch immer fürchtet das politische Establishment, besonders aber Revolutionsführer Khamenei, eine erneute Einmischung der USA in inner-iranische Angelegenheiten.

Das Verhalten der USA gegenüber dem Iran und Saudi-Arabien spiegelt vielmehr eine neue Ausrichtung der USA wieder, die zurzeit groß angelegte militärische Operationen scheut und das eigene Engagement im Mittleren Osten in Zukunft vielleicht noch weiter reduzieren wird. Die Saudis sollten daher eher darüber besorgt sein, dass ein vom Sanktionsregime befreiter Iran schnell in seiner wirtschaftlichen, technologischen und militärisch-konventionellen Entwicklung Saudi-Arabien weit hinter sich lassen und die Golfregion klar dominieren könnte.

Rouhanis negative Erfahrungen in Verhandlungen mit den Golfmonarchien

Die Iraner scheinen eine Entspannung mit Saudi-Arabien anzustreben; darauf weist besonders die Ernennung des arabischstämmigen Admirals der Revolutionsgarden (und Trägers der höchsten Verdienstauszeichnung der saudischen Monarchie) Ali Shamkhani zum Sekretär des Hohen Nationalen Sicherheitsrates hin. Doch unter diesen Vorzeichen wird sie für Rouhani nur schwer erreichen zu sein.

Auch Rouhanis persönliche Erfahrungen mit Vertretern der Golfmonarchien scheinen nicht durchweg positiv gewesen zu sein. Er selbst schreibt in seinem Buch „Nationale Sicherheit und Nuklear-Diplomatie“ von Gesprächen mit Verantwortlichen der Golfstaaten sowie Jemen und Jordanien während seiner Zeit als Verhandlungsführer des iranischen Nuklearprogramms. Während die direkten Gespräch durchaus konstruktiv gewesen seien, habe er im Nachhinein erfahren müssen, dass die Golfstaaten durch Druck auf den Westen Sanktionen auf den Iran durchgesetzt hätten. Aus dieser Episode lässt sich schließen, dass der iranische Präsident persönlich erfahren musste, wie groß in Riad, Abu Dhabi und Kuwait das Misstrauen und die Abneigung gegenüber dem Iran sind.

Türkei und Iran: Die Wiederentdeckung der „Null-Probleme“-Politik

Immerhin im Verhältnis zur Türkei scheint es bereits einige Fortschritte zu geben. Beide Staaten sind bereit, trotz ihrer Differenzen in der Syrienfrage, wieder aufeinander zuzugehen. Der iranische Außenminister Zarif und sein Amtskollege Davutoglu verständigten sich darüber zuletzt in Ankara. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Iran und der Türkei hatten ohnehin keine wirklichen Beeinträchtigungen durch die politischen Verstimmungen zwischen Teheran und Ankara erfahren. Zu wichtig ist für beide Staaten die wirtschaftliche Kooperation.

Die von vielen erwartete Annäherung zwischen dem Westen und dem Iran zur Lösung des Nuklearstreits mag zwar der iranischen Wirtschaft eine Entlastung verschaffen und damit dem Regime innenpolitisch entgegenkommen. Sie muss aber nicht notwendigerweise zu einer Entspannung mit den Nachbarn am Golf führen. Gar könnte das Gegenteil eintreten. In diesem Fall würde dies für die Position Irans im Mittleren Osten nur eins bedeuten: die weitere Zuspitzung der bereits instabilen Sicherheitslage.

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