Die Unzufriedenheit vieler Jordanier mit der Politik des Königshauses und der mit den Monarchen verbündeten Parteien ist seit Jahren groß. Nachdem die Regierung im November Preiserhöhungen für Gas und Benzin verkündete, haben die Proteste an Fahrt aufgenommen. Im Interview spricht der linke Oppositionelle Khalid Kalaldeh über die Hintergründe der Misere und warnt vor einer Machtübernahme durch die Muslimbrüder.
Khalid Kalaldeh, geboren 1955, lebt in Amman. Er ist orthopädischer Chirurg und in den medizinischen Gewerkschaften aktiv. Von 1975 bis 1993 war er Mitglied der jordanischen Kommunistischen Partei, weshalb er lange Zeit einem Reiseverbot und einem Beschäftigungsverbot in öffentlichen Einrichtungen unterlag. 1989 wurde er für mehrere Monate inhaftiert. Er war Generalsekretär der jordanischen Social Left Party.
Interview: Vinzenz Hokema.
VH: Wie würden Sie das, was im vergangen Monat in Jordanien geschehen ist, bezeichnen?
KK: Die Demonstrationen und Sit-ins in Jordanien sind eine normale Reaktion auf die Kürzung der Subventionen auf Gas und Benzin, die am 13. November angekündigt wurde. Die Jordanier bezeichnen das als „Habbeh“, auf Deutsch „Unruhen“. Ich bezeichne die Ereignisse als Intifada, also als Aufstand, weil sie schon seit 22 Monaten andauern. Sie sind zwar klein und nicht sehr bedeutend, aber sie sind stabil weil die Probleme andauern. Die Korruption ist immer noch stark, die Leute glauben nicht an das Anti-Korruptions-Theater.
Diese Ereignisse können auch nicht losgelöst von dem betrachtet werden, was weltweit passiert. Es gibt Proteste in Spanien, Griechenland, Portugal, Frankreich und New York, die sich gegen die Politik des Internationalen Währungsfonds richten. In Jordanien wird diese Politik seit 16 bis 20 Jahren angewandt. Die Regierung hat sich aus dem ökonomischen Leben zurückgezogen. Die Zahl der Arbeitslosen stieg und stieg und stieg. Zusätzlich wurden die jordanischen Streitkräfte durch den Friedensvertrag mit Israel aus dem Jahr 1994 verkleinert, es waren nur noch 30.000 Soldaten zulässig. Von den ursprünglichen 70.000 verloren 40.000 ihre Arbeit. Die Regierung hatte keine anderen Jobs, und der Privatsektor konnte nur wenige aufnehmen. Keine Arbeit, nicht genug Wohnraum, keine ausreichende Gesundheitsversorgung, ein privatisiertes Bildungssystem mit immer teureren Gebühren. Zusätzlich wurde die Korruption immer offensichtlicher, und das ist das Hauptproblem. Es gab immer reiche Leute in Jordanien, aber erst ab dieser Zeit gab es so viele Multimillionäre. Die Leute gingen gegen diese Situation auf die Straße. Das geschah ganz ähnlich in Tunesien, Syrien, Ägypten, Libyen und Portugal.
In Jordanien herrscht ein gewisses Maß an Freiheit. Man kann seine Meinung sagen, man kann kritisieren, man kann online und in den Zeitungen schreiben. Aber man kann nichts verändern, man kann nicht im Machtzentrum mitspielen. Die Schlüsselpositionen bleiben in den Familien, die korrupten Entscheidungsträger sind nicht mehr als 200 bis 300 Menschen. Das sind dieselben Familien, dieselben Gruppen, dieselben Millionäre. Die Zukunft war der jungen Generation versperrt und ihr einziger Ausweg war, in den Straßen zu demonstrieren.
Das ist in Jordanien drei Mal passiert, 1989, 1996 und seit 2011. Dieser Aufstand ist nichts Neues, manchmal eskaliert die Situation. Ich glaube, dass sich das wiederholt wenn die Regierung die Strompreise erhöht, und das wird bald passieren.
VH: Was mobilisiert die Menschen für Demonstrationen?
KK: Das große Problem in Jordanien und auf der ganzen Welt ist die Wirtschaft. Aber Wirtschaft und Politik sind immer miteinander verbunden. Die wirtschaftlichen Reformen müssen von Politikern umgesetzt werden. Aber wie kann ich einem Premierminister oder Minister trauen, wenn ich ihm persönlich misstraue, weil er korrupt ist und seit 20 Jahren dieselbe Politik fährt? Deshalb müssen wir die Verantwortlichen austauschen und neue, vertrauenswürdige Politiker einsetzen. Aber diese Personen können nur durch gerechte Wahlen ins Amt kommen, und diese Wahlen werden nur durch ein wirklich demokratisches Wahlrecht möglich. Einer Umfrage des Center for Strategic Studies an der University of Jordan zufolge hatten 80% der Befragten nicht vom neuen Wahlrecht gehört, aber 100% dieser Menschen wissen von den Preiserhöhungen!
Was die Menschen mobilisiert, sind die wirtschaftlichen Themen. Doch dafür braucht es neue Politiker. Die Demonstranten fordern den Rücktritt der Regierung? Ich sage, dass eine gute Regierung nur durch Wahlen zustande kommen kann. Auch in Spanien, Griechenland und Italien werden die Leute durch ökonomische Probleme mobilisiert. Aber der Unterschied zu Jordanien ist, dass dort große politische Parteien über diese Probleme streiten. Wenn wir hier große politische Parteien hätten, würden die Leute für ihre ökonomischen Forderungen demonstrieren, nicht für politische.
VH: Wie legitim ist die Herrschaft des Königs? Welche sozialen Kräfte stehen hinter ihm und welche dagegen?
KK: Dafür muss ich etwas weiter ausholen. Jordanien ist in zwei Großgruppen unterteilt, die ursprünglichen Jordanier und die Jordanier palästinensischer Abstammung. Die Sicherheitskräfte kontrollieren Jordanien mittels des Mythos‘, dass die ursprünglichen Jordanier regimetreu sind bis zum Gegenbeweis und die Palästinenser regimekritisch sind, bis sie ihre Treue beweisen.
Das Sicherheitssystem bedroht unbequeme Palästinenser unablässig damit, ihnen ihre jordanische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Gleichzeitig fühlen sich die Jordanier von den Palästinensern bedroht, die angeblich die Macht in Jordanien übernehmen wollen.
Auch was Syrien angeht ist die Gesellschaft in Revolutionsgegner und Revolutionsunterstützer geteilt. Die Muslimbruderschaft und eine kleine Gruppe linker Parteien, darunter auch meine, sind auf Seiten der Revolutionäre. Aber die Mehrheit unterstützt das Regime. Syrien wirft einen Schatten bis nach Jordanien, da die Menschen Angst haben in einen Bürgerkrieg abzurutschen. Deshalb halten sie lieber den Mund, als sich gegen die Korruption oder anderes aufzulehnen. Und das Regime weiß das und schürt die Angst auf sehr clevere Weise.
Ein großes Ereignis in der jordanischen politischen Geschichte war die Verfassung, die 1952 in Kraft trat; 1958 trat die erste gewählte Regierung zusammen, sie hatte aber nur wenige Monate lang Bestand. König Hussein sah, dass er nichts mehr zu tun hat wenn er die Regierungen wählen lässt. Die Regierung wurde also gestürzt und sechs oder sieben Verfassungsänderungen sorgten dafür, dass der König die Macht bekam zu tun, was er wollte. Die Verfassung von 1952 sah das nicht vor, aber die Änderung von 1958 konzentrierte alle Macht beim König.
Die Slogans der Demonstrationen im Januar 2011 forderten „Nieder mit den Verfassungsänderungen von 1958.“ Ein anderer Slogan war „Wir wollen eine konstitutionelle Monarchie.“ Aber wir sind schon eine konstitutionelle Monarchie! Nur hat der König die Verfassung entkräftet, wir wollen sie wieder anwenden. Der König hat heute freie Hand, die Regierung zu ernennen und zu entlassen, das sehen die Artikel 34, 35 und 36 der Verfassung vor. Dagegen kämpfen die Muslimbrüder. Ich persönlich finde es unklug, die Artikel jetzt schon anzugehen. Ich möchte, dass der König seine Macht behält weil die einzige organisierte politische Kraft in Jordanien, wie im gesamten Nahen Osten, die Muslimbruderschaft ist.
Wenn wir diese Artikel aus der Verfassung streichen, werden die Muslimbrüder die Macht übernehmen. Und ihr Interesse an der Demokratie ist wie das an einem Streichholz: Man zündet es nur ein einziges Mal an. Eine Regierung der Muslimbrüder wird niemals eine treibende Kraft der Demokratisierung sein. Sehen Sie sich die Erfahrungen in Afghanistan, Sudan, Algerien, Jemen, jetzt in Ägypten und Libyen an. Wenn sie die Macht erlangen, kann sie niemand mehr absetzen. Deshalb rate ich der jungen Generation, diese drei Verfassungsartikel nicht vorschnell abzuschaffen. Aus taktischen Gründen müssen wir sie behalten, wir können darüber reden wenn wir besser organisiert und mächtiger sind.
Um die Frage zur Legitimität des Königs zu beantworten: Ich bin für den König, aber gegen seine Politik. Wir haben keine andere Wahl. Bis wir starke Parteien haben, haben wir keine echte Demokratie. Wollen Sie mich den Muslimbrüdern und den Salafisten überlassen? Das ist gefährlich! Wir sind mit den Muslimbrüdern in Kontakt. Wir werden mit ihnen zusammenarbeiten, wenn wir uns darüber einig sind, ein säkulares demokratisches System zu installieren. Aber sie bleiben bei einem „Nein, wir wollen ein modernes Land auf Grundlage der Scharia.“ Das steht schon in unserer Verfassung. Sobald dort steht, dass Jordanien ein säkularer Staat ist, arbeite ich mit den Muslimbrüdern zusammen. Bis zu diesem Zeitpunkt werde ich sie nicht an die Macht kommen lassen, ich behalte lieber den König – er ist besser als sie.
Unsere Forderung lautet “Reform des Regimes”, nicht “Sturz des Regimes.” Bis jetzt, aber wer weiß! Der Slogan „Das Volk fordert den Sturz des Regimes“ („Ash-Sha’b yurid Isqat an-Nidham“) wurde vom Arabischen Frühling kopiert. Es ist das erste Mal, dass das in Jordanien skandiert wird und es ist gefährlich, weil sich das Ohr daran gewöhnt. Wenn die Leute sich an einen Gedanken gewöhnen werden sie es irgendwann tun. So hat es in den anderen Ländern begonnen. Die Regierung reagierte nicht richtig, die Slogans eskalierten und eines Tages machten sie ihre Forderungen wahr. Das habe ich auch den Leuten von der Regierung gesagt.
VH: Was sind demnach die Aussichten für Demokratisierung in Jordanien?
KK: Eine Demokratisierung könnte dadurch möglich werden, dass die Regierung und die Sicherheitsdienste zu echten Reformen gezwungen werden, die eine Atmosphäre schaffen, in der die Jugend und neue Kräfte sich politisch entwickeln können. Eine neue Generation von Parteien muss entstehen, die junge Generation muss sich politisch engagieren und an der Macht teilhaben; richtige Teilhabe und Demokratie und nicht nur Gerede. Seit 22 Monaten führt die Regierung viele Gespräche, mit mir und vielen anderen, aber niemand spricht mit der Jugend. Niemand hat sie gefragt, was sie wollen.
Die ganze Bewegung des Arabischen Frühlings zielt auf die Teilhabe der Jugend. Aber sie sind nicht organisiert, allein in Jordanien gibt es 103 Jugendbewegungen. Ein paar Leute gründen ihre eigene Gruppe, gehen auf die Straße und rufen ihre eigenen Slogans. Das ist für die junge Generation ganz natürlich, aber wenn sie möchten, dass ihre Stimme gehört wird, dass sie mit am Tisch sitzen und mitdiskutieren, dann müssen sie sich organisieren. Niemand wird mit 103 Bewegungen sprechen. Die Regierung hat die beste Ausrede: „Wir haben keinen Gesprächspartner!“
VH: Welche politischen Gruppen sind in Jordanien relevant?
KK: Jordanien ist politisch dreigeteilt. Der erste ist der offizielle Teil, die Sicherheitsdienste und ihre Mitglieder, ich denke sie repräsentieren 40 Prozent der Bevölkerung. Die zweite Gruppebesteht aus den Muslimbrüdern und Fanatikern wie den Salafisten. Sie repräsentieren 30 Prozent. Die restlichen 30 Prozent sind Linke und Nationalisten. Sie sind die einzige Gruppe, die nicht organisiert ist. Jede Partei und jede Bewegung arbeitet separat.
Es gibt Hoffnungen auf eine Koalition zwischen einigen linken, nationalistischen und liberalen Bewegungen. Wir könnten einen dritten Weg einschlagen, weder den offiziellen Weg noch den der Muslimbrüder. Wir sind gegen die Muslimbrüder und sollten deswegen Zusammenarbeiten, aber das wird, denke ich, viel Zeit in Anspruch nehmen.
Das Wahlgesetz wurde auf diese Gruppen abgestimmt um dafür zu sorgen, dass sie nicht effektiv zusammenarbeiten können. Wir haben im Nationalen Dialogkomitee ein neues Wahlrecht mit proportionalen Listen gefordert, so dass wir gemeinsame Listen von Linken und Nationalisten aufstellen können. Aber die Regierung hat eine Form des Listenwahlrechts gewählt, die Koalitionen zwischen mehreren Parteien quasi ausschließt. Sie ist für eine starke Partei gemacht, nicht für mehrere. Wenn die Regierung gute Absichten hätte, würde sie die offenen Listen einführen. In diesem Wahlsystem können die Wähler eine von mehreren Listen auswählen und innerhalb dieser Listen die Kandidaten die man möchte. Aber die Regierung bestand auf geschlossenen Listen, mit denen Koalitionen praktisch ausgeschlossen sind.
VH: Könnten Sie das Wahlrecht weiter erläutern?
KK: Die erste Wahl nach 1967 fand 1989 statt. Dafür wurden die offenen Listen eingeführt. Wenn ein Wahlbezirk beispielsweise 10 Kandidaten hatte, konnte man für einen oder für alle Kandidaten auf dieser Liste stimmen. Dieses Wahlrecht bescherte den Muslimbrüdern 24 von 80 Sitzen. Das beunruhigte die Sicherheitsdienste, so dass das ‚one man, one vote‘-System eingeführt wurde. Das jordanische System unterscheidet sich aber von dem, das in Großbritannien verwendet wird. Dort ist es ‚one man, one vote, one district‘. Das bedeutet, dass das Land in gleichwertige Wahlbezirke aufgeteilt ist, so viele Bezirke wie Sitze im Parlament. Für Jordanien zu der Zeit hätte das bedeutet, dass es 80 Wahlbezirke geben müsste. Es waren aber nur 42. Manche Bezirke hatten einen Sitz, manche fünf. Wenn ich in meinem Wahlbezirk wählen gehe ist das nicht ‚one man, one vote‘ sondern ‚one man, one third of a vote‘. Weil ich für einen von dreien stimme! So können die Sicherheitsdienste die Wahlergebnisse gestalten wie sie wollen.
2006 wurde dann eine Änderung eingeführt, die ‚versteckte‘ oder ‚imaginierte‘ Wahlbezirke genannt wird, auf Arabisch „Di‘r Wahmiyyeh“. Wenn ein Bezirk in Amman beispielweise drei Sitze hat, wird der Bezirk in drei Subgruppen unterteilt. Diese Subgruppen sind imaginiert. In Bezirk Drei, Subgruppe Eins könnten vielleicht 10.000 Personen für einen Kandidaten stimmen, der einem Konkurrenten unterliegt; in Subgruppe Zwei kann dagegen ein Kandidat einen Sitz gewinnen obwohl nur 2.000 Menschen für ihn gestimmt haben. So funktioniert das System.
Das Listenwahlsystem wurde vor einem Monat angepasst. Die Regierung, der König und das Parlament haben ein neues Wahlrecht verabschiedet, nach dem 123 Sitze des Parlaments nach dem alten ‚one man, one vote‘-System gewählt werden und 27 über nationale Listen. Das ist die eine Kammer.
Die zweite Kammer ist der Senat. Die Senatoren werden vom König ernannt. 150 Parlamentarier werden vom Volk gewählt und 75 Senatoren werden vom König ausgesucht. Wenn das Parlament ein Gesetz beschließt, muss es auch den Senat passieren. Wenn er das Gesetz ablehnt, wird es dem Parlament von neuem vorgelegt. Wenn das Parlament auf der Version besteht, beschließt eine Vollversammlung beider Kammern das Gesetz, insgesamt 225 Stimmen. Davon sind sowieso mehr als die Hälfte mit dem König. Es ist teuflisch.
Das Regime denkt gerade über eine noch kompliziertere Möglichkeit nach. Demnach soll die Opposition die Regierung stellen. Wenn die Regierung aber ein Gesetz [gegen den Willen des Königs] vorschlägt, würde es im Parlament abgelehnt werden.
VH: Was halten Sie von den Parlamentswahlen im Januar 2013?
KK: Wir werden in dieser Wahl nicht teilnehmen, da sie dasselbe Parlament hervorbringen wird wie es jetzt schon besteht. Es ist ein Serviceparlament. Wenn eine Gruppe von 10.000 Menschen hier in Amman zwei Abgeordnete wählen möchte, werden sie keinen finden, der mit ihnen auf die Straße geht und der die Wirtschaftspolitik in Jordanien korrigiert. Die Parlamentarier sind keine Politiker. Sie kommen aus Stämmen und aus ländlichen Gebieten und sie sind gegen organisierte Politik und Parteien. Nichts wird sich verändern.
VH: Wer wird an den Wahlen teilnehmen?
KK: Bis jetzt niemand von den Oppositionsparteien. Nur die rechten Regierungsparteien. Die Linken, Nationalisten und Islamisten werden nicht teilnehmen. Vor der Ankündigung der Preiserhöhungen hatten fünf linke und nationalistische Parteien erklärt, teilnehmen zu wollen. Aber nach den Preiserhöhungen haben sie erklärt, unter diesen Umständen nicht teilnehmen zu können. Die Leute würden sie mit Schuhen bewerfen!
VH: Wie viele der Wähler werden von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen?
KK: In ruralen Gebieten, beispielsweise in Tafileh, haben sich 37.000 Wähler registrieren lassen. 35.000 werden wählen gehen. Aber auf Stammesart, nicht politisch. Sie werden für ihre Söhne und Verwandten stimmen. Und das ist ein Effekt, der durch das Wahlrecht erzielt wird. 40 oder 50 Prozent werden teilnehmen.
VH: Der Darstellung in den Medien zufolge befindet sich die Regierung in einer Zwickmühle zwischen dem Druck des IWF, Subventionen zu kürzen, damit Jordanien einen neuen Kredit bekommt und dem Widerstand der Bevölkerung auf der anderen Seite, die die höheren Preise ablehnt. Was kann die Regierung unternehmen?
KK: Der Haushalt der Regierung beträgt 6,8 Milliarden Dinar pro Jahr. Darin enthalten sind 1,15 Milliarden für Subventionen. Aber 60 Prozent dieser Summe, circa 700 Millionen, gehen an reiche Leute; der Rest, 450 Millionen, geht an die Armen. Die Subventionen werden nur bei dieser zweiten Summe gekürzt. Das ist das eine.
2002 wurde das Steuerrecht verändert. Die Banken und Großunternehmen mussten 35 Prozent ihrer Profite abführen, dann senkten die Neoliberalen die Steuer auf 25 Prozent. Dadurch entgehen dem Staat jährlich 900 Millionen Dinar. Im selben Jahr wurden regierungsabhängige Unternehmen gegründet, heute gibt es davon 64 Stück. Diese korrupten Unternehmen wurden von den Neoliberalen und dem IWF für die Reichen und deren Söhne eingerichtet. Die Löhne, die dort gezahlt werden, sind unvorstellbar. Gleichzeitig müssen sie im Jahr mit 400 Millionen Dinar bezuschusst werden – finanziert aus dem Regierungsbudget.
Dazu kommen 15 Prozent des Haushalts, die einfach verschwinden, das sind 1,2 Milliarden Dinar pro Jahr. Alles zusammen sind das 3,2 Milliarden Dinar, die für den König und die Reichen ausgegeben werden. Nur 450 Millionen gehen an die normalen Leute.
Beschließt ein Steuergesetz, das den Steuersatz für Unternehmen wieder auf 35 Prozent hebt, das bringt 900 Millionen! Stoppt die Korruption, dadurch behaltet ihr 1,2 Milliarden! Schließt die regierungsabhängigen Stiftungen und streicht die dortigen Jobs der Söhne der Reichen und ihr spart 400 Millionen. Die Hälfte des Regierungsbudgets ist korrigierbar, wenn man die normalen Leute ins Auge fasst und nicht die Reichen. Es sind aber genau diese Reichen, die an der Macht sind. Es ist ein Klassenkampf, sonst nichts. Das Gerede, dass es keine Lösung gebe ist eine Lüge. Unsere Ressourcen sind genug für uns, wir sind keine große Gesellschaft, selbst mit den Flüchtlingen und anderen Problemen. Wir kommen damit aus.
Stattdessen nimmt die Regierung Kredite im Wert von 5 Milliarden Dinar bei jordanischen Banken auf. Das ist auch der Grund, warum sie die Steuern dieser Banken nicht anheben können. Und dann fehlt immer noch Geld. Der ehemalige Premierminister Tarawneh hat sich in einer Absichtserklärung mit dem IWF dazu verpflichtet, Subventionen zu streichen um einen Kredit über 2 Milliarden Dollar zu bekommen. Der König, der Premierminister und die Sicherheitsdienste sind gemeinsam übereingekommen dass es am einfachsten ist, die Subventionen zu streichen und Geld vom IWF anzunehmen. Wenn sie Wirtschaftsmaßnahmen für das Gemeinwohl umsetzen würden, bräuchten sie auch keine IWF-Kredite und müssten das Leben der einfachen Leute nicht noch schwerer machen. Wir haben die Lösungen, aber das Regime will sie nicht umsetzen! Ich habe das in einem Artikel und im jordanischen Fernsehen klar gemacht, aber bis heute keine Antwort darauf bekommen.
VH: Warum würde das Regime eine Revolution riskieren?
KK: Weil sie dumm sind! Sie können nicht von den anderen Ländern der Region lernen. Sie glauben, dass sie diese Politik mithilfe der starken Sicherheitsdienste fortsetzen können. Bis heute hat die Erkenntnis den König nicht erreicht, dass er nicht weiter regieren kann wie vorher. Und wenn das Regime das nicht versteht, wird es zu Gewalt kommen. Es wird Aufstände und Proteste geben. Und eines Tages werden einige Menschen zu Tode kommen, was zu einer Reaktion führen wird.
Das jordanische Regime ist nicht blutdürstig, ebenso wenig ist es das Volk. Aber ab einem gewissen Punkt kann niemand vorhersagen was passieren wird. Fragen Sie die Syrer, vor zwei Jahren konnte sich niemand vorstellen was heute passiert. Niemand kann die Reaktion der Leute vorhersagen.