16.11.2010
Interview mit Yossi Beilin: »Netanjahu geht es nicht um Frieden«

Von Daniel Gerlach und Robert Chatterjee
In den 1990er Jahren galt Yossi Beilin als heißer Kandidat der Arbeiterpartei auf den Posten des israelischen Premierministers. 2003 stellte er zusammen mit seinem palästinensischen Kollegen Yasser Abed Rabbo die Genfer Iniativie vor. Im Interview erklärt Beilin, warum er seinen Friedensplan für den einzig umsetzbaren hält - und warum unter den gegenwärtigen Umständen wohl höchstens ein Interimsabkommen zwischen Israelis und Palästinensers erreicht werden kann

Alsharq: Herr Beilin, Ihr palästinensischer Kollege Yasser Abed Rabbo hat jüngst erklärt, dass ein Friedensschluss oder überhaupt ernsthafte Verhandlungen mit der gegenwärtigen Regierung Netanjahu unmöglich seien. Stimmen Sie dem zu?

Yossi Beilin: Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass Yasser Abed Rabbo kein neutraler Kommentator ist, sondern Generalsekretär der PLO. Er trifft diese Aussage also nicht als Signator der Genfer Initiative, sonders als Politiker. Deswegen sehe ich die Aussage als Teil der derzeit laufenden Verhandlungen.

Sie kennen ihn sehr gut. Ist das reine Taktik?

Das weiß ich nicht. Ich denke, dass er die derzeitige palästinensische Position zum Stand der Verhandlungen wiedergibt. Diese gehen kaum voran, es gibt keine Fortschritte in den Annäherungsgesprächen. Aber selbst so eine Aussage bedeutet nicht, dass sich die palästinensische Seite von den Verhandlungen zurückzieht.

Aber selbst, wenn es nicht Abu Mazen war, der das gesagt hat, wie kann man die Verhandlungen so weiterführen?

Außenminister Liebermann hat auch gesagt, dass es nie einen Frieden geben wird und trotzdem gehen die Verhandlungen weiter – und sein Ministerium ist auch daran beteiligt.

Wollen Sie diesen Prozess, den Sie in unterschiedlichen Funktionen Ihr Leben lang begleitet haben, weiter verfolgen?

Ja natürlich, ich bin aus dem Friedensprozess nicht raus. Ich leite immer noch das Study Committee der Genfer Initiative, aber ich bin nicht Teil des Verhandlungsteams.


Sehen Sie für einen Friedensplan wie die Genfer Initiative derzeit eine realistische Grundlage?

Wenn es Frieden geben sollte, wird er der Genfer Initiative sehr ähnlich sein. Aber sie wird denen, die keine Einigung wollen, natürlich von wenig Nutzen sein. Wenn jemand wirklich an Frieden interessiert ist und nicht weiß wie, braucht er sich nur den Text der Genfer Initiative samt 500 Seiten Anhang durchlesen. Es ist der einzige umfassende Plan, der bisher auf dem Tisch liegt, praktisch ohne Konkurrenz.

Wie blicken ihre palästinensischen Partner der Genfer Initiative heute auf die Verhandlungen?

Wir haben unsere Analysen gerade erst vor einem Jahr abgeschlossen und stehen die ganze Zeit miteinander in Kontakt. Die Genfer Initiative ist strukturell einmalig. Im Gegensatz zu den meisten Ideen, die hier und da entstehen, wurden gleich zu Beginn zwei Büros eröffnet, eins in Ramallah und das andere in Tel Aviv. Beide beschäftigen Mitarbeiter, geben Materialien heraus, organisieren Seminare. Es ist immer schwer, den Anfangselan aufrecht zu halten, aber genau das versuchen wir. Wenn Sie nach der Genfer Initiative googeln, passiert da ständig was Neues. Allerdings kommen wir kaum in den Medien vor, weder in den israelischen, noch international. Es ist nicht sehr einfach, die Leute zu überzeugen, Frieden zu wollen. Aber selbst wenn sie Frieden haben wollen, ist es noch schwieriger ihnen zu vermitteln, dass es eine Lösung gibt. Die Leute sagen: Ja, wir wollen Frieden. Aber wie sollen wir das Problem Jerusalem lösen, wie die Flüchtlingsfrage, die Wasserfrage? Wir sagen ihnen: Hier habt ihr die Lösung.

Welche Strategie verfolgen Sie nun, um ihren Standpunkt zu vermitteln und die öffentliche Debatte zu beeinflussen?

Natürlich habe ich durch den Rückzug aus der Politik meine Möglichkeiten beschränkt, Einfluss zu üben. In den Medien bin ich aber noch immer präsent. Ich schreibe dreimal die Woche eine Kolumne in Israel HaYom – einer eher rechtsgerichteten Zeitung, wodurch mein Einfluss vielleicht noch größer ist. Ich bilde mir nicht ein, alle Leute sofort vom Frieden überzeugen zu können, aber manchmal irritiere ich sie zumindest.

Ist ihre Überzeugungsarbeit heute schwieriger als vor zehn Jahren während der Camp David II-Verhandlungen?

Damals war der Optimismus natürlich größer, während die letzten zehn Jahre von Pessimismus geprägt waren. Alle Umfragen belegen aber, dass die Mehrheit für eine Einigung ist. Sie sagen zwar auch, dass es nicht machbar sei, aber wenn eine Einigung vorliegt, würden die meisten sie unterstützen.

Netanjahu scheint alle Hände voll zu tun zu haben, sein Kabinett zusammen zu halten. Wer könnte eine solche Einigung politisch durchsetzen?

Ich glaube nicht, dass man mit Netanjahu eine Endstatusvereinbarung erreichen kann. Deshalb plädiere ich für ein Interimsabkommen, obwohl die Palästinenser das nicht gerne hören. Aber selbst das ist mit Netanjahu wohl mehr als fraglich. Jemand, der irgendeine Art von Abkommen erreichen will, handelt anders. Jeden Tag erfindet er irgendetwas anderes, zwei Monate, zehn Monate Baustopp und jetzt diesen Loyalitätseid. Und jetzt beschäftigen sich alle mit diesen Sachen anstatt mit dem Frieden. Und dann sagt er immer wieder, dass er alles in seiner Macht stehende getan und die andere Seite sich nicht bewegt hätte. Ihm geht es nur um dieses Gezänk, nicht um den Frieden. Aus diesem Grund sind auch die Annäherungsgespräche gescheitert. Sobald er seine wirklichen Ideen für einen Frieden beschreibt, steht er alleine da, niemand würde die unterstützen. Wenn Mahmud Abbas seine Ideen für einen Frieden darlegt, ist die ganze Welt hinter ihm. Warum sollte auch irgendjemand gegen die Friedensvorstellung von Abbas sein? Die Asymmetrie ist unglaublich. Also wie verhält sich Netanjahu? Er hält mit seinen Ansichten hinterm Berg und spielt auf Zeit. Er hofft, dass die Republikaner die nächsten Wahlen in den USA gewinnen, schließlich ist er selbst Republikaner. Er spekuliert darauf, dass Obama schwächer wird und sich mehr und mehr zurückzieht…

…Und was heißt das im Bezug auf seine Regierungskoalition?

…Mit seiner Regierungskoalition in Israel fährt er bisher ganz gut. Zwei seiner Koalitionspartner sind autokratische Parteien, die von jeweils einer Person angeführt werden, mit denen sich Netanjahu gut versteht, nämlich Avigdor Lieberman von Jisrael Beitenu und Eli Jeshai von Shas. Deren Standpunkte sind soweit von liberalen Positionen im Friedensprozess entfernt, wie man es sich nur vorstellen kann, manche würden sie sicherlich sogar als rassistisch bezeichnen. Für Netanjahu reicht es aus, sich mit den beiden gut zu stellen, er braucht nicht jedes Mitglied der Knesset zu schmieren.

Handelt Netanjahu auf eigene Rechnung, um sich politisch über Wasser zu halten?

Netanjahu ist auch ideologisch motiviert, das sollte man nicht unterschätzen. Lieber heute, als morgen etwas erreichen. Er will den Status Quo erhalten, ist sehr konservativ. Selbst wenn er über die Zweistaaten-Lösung spricht, zieht er so viele rote Linien, dass das Ganze nur noch ein Witz ist. Das heißt, wenn Netanjahu ein Endstatusabkommen vorantreibt, strebt er eigentlich an, dass es gar kein Abkommen gibt. Mit ihm wird so etwas nicht zustande kommen, keine Chance. Ich glaube, dass die Amerikaner einen Fehler begehen, wenn sie beide Seiten zu einem Endstatusabkommen drängen. Nehmen wir mal an, ich liege falsch und Netanjahu überrascht alle, sich selber einbegriffen, und unterschreibt ein Abkommen, dann werden es die Palästinenser nicht umsetzen können.

Al-Sharq: Warum?

Wie gehen sie mit Gaza um? Zunächst Gaza selbst, dass nicht Teil des neuen palästinensischen Staates sein wird, zweitens das Gebiet um Gaza, das das einzige ist, das ernsthaft für Landtausch in Frage kommt. Jeder Landtausch, den die Genfer Initiative vorschlägt, betrifft genau dieses Gebiet. Kein israelischer Premierminister wird in der momentanen Situation Land an Gaza abgeben. Das Gleiche gilt für einen Korridor von Gaza ins Westjordanland, solange Gaza unter der Kontrolle der Hamas steht. Es wäre ein sehr unvollständiges Abkommen, dass Abbas nicht wird umsetzen können. Selbst wenn er ein Referendum abhalten würde, warum sollte Hamas das akzeptieren? Sie würde verlangen, dass das Referendum auch die Palästinenser außerhalb von Gaza und des Westjordanlandes erfasst, in Syrien, Libanon und Israel – und das wird es nie geben.

Haben Sie auf palästinensischer Seite Partner für Ihren Vorschlag, zunächst auf ein Interimsabkommen hinzuwirken?

Ich denke, dass die Palästinenser diese Idee aufgreifen würden, wenn sie merken, dass die momentanen Verhandlungen nirgendwo hinführen. Dafür müssten aber auch die Amerikaner ein Interimsabkommen mit Option auf eine spätere Endstatuslösung unterstützen. Sie müssten erklären, dass Jerusalem geteilt werden sollte, dass die Flüchtlinge Kompensationen erhalten – all das ist nicht so weit von den Parametern, die Außenministerin Clinton vorgeben hat. Erst dann wird ein Interimsabkommen möglich sein.

Ist eine Dreistaaten-Lösung, also ohne Gaza als Teil des palästinensischen Staates, eine denkbare Option?

Das ist momentan sogar die einzige realistische Option, de facto besteht sie ja schon. Das Westjordanland ist autonom, in Gaza herrscht eine, wenn auch verrückte, Autonomie – und es gibt Israel.