07.09.2007
Human Rights Watch stellt Berichte zum Zweiten Libanonkrieg vor


Der Großteil der 900 während des Julikriegs 2006 getöteten libanesischen Zivilisten wurde nicht von der Hizbollah als menschliche Schutzschilde missbraucht, sondern wurde Opfer der "wahllosen Luftschläge" durch die israelische Armee. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung von "Human Rights Watch", die am Donnerstag unter dem Titel "Why They Died: Civilian Casualties in Lebanon during the 2006 War" vorgestellt wurde.

Mit großer Akribie hat die Menschenrechtsorganisation die Umstände der Tode von 510 Zivilisten und 51 Kämpfern untersucht, mithin fasst die Hälfte der 1109 Todesfälle auf libanesischer Seite genauer beleuchtet. Für diesen Report besuchten HRW-Mitarbeiter mehr als 50 libanesische Dörfer, interviewten 316 Opfer und Augenzeugen, sprachen mit 39 Militärexperten, Journalisten, sowie Offiziellen aus Israel, dem Libanon und der Hizbollah.

Im Wesentlichen werden der israelischen Seite in dem 249-seitigen Bericht folgende Vorwürfe gemacht:

  • "Israel ging davon aus, dass alle libanesischen Zivilisten der Aufforderung zum Verlassen der Dörfer südlich des Litani gefolgt seien und betrachteten daher jeden der in seinem Dorf blieb als Kämpfer. Vor diesem Hintergrund betrachtete Israel jede sichtbare Person, oder jede Bewegung von Personen oder Fahrzeugen südlich des Litani-Flusses oder im Bekaa-Tal als Militäroperation der Hizbollah die beschossen werden könne. In ähnlicher Weise führe Israel weiträumige Bombardierungen des Südlibanon durch, einschließlich der massiven Verwendung von Streubomben kurz vor dem erwarteten Waffenstillstand, in einer Weise die nicht zwischen militärischen Zielen und Zivilisten unterschied."
  • "Israel beschoss Menschen oder Gebäude, die in irgendeiner Weise mit den miltärischen, politischen oder sozialen Strukturen der Hizbollah verbunden waren - ganz gleich ob diese ein legitimes militärisches Ziel in Übereinstimmung mit dem Humanitären Völkerrecht darstellten - unter unterließ es alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen um zivile Opfer beim Beschuss vermutlicher Hizbollah-Ziele zu verhindern."

Nach HRW-Angaben waren die meisten der Menschen, die in ihren Dörfern im Südlibanon blieben, keine Kämpfer der Hizbollah, sondern Menschen die zu alt, zu arm oder zu krank zur Flucht waren. Zudem hätte das israelische Militär gewusst, dass sich zum Zeitpunkt der flächendeckenden Bombardements noch immer Tausende Menschen im Südlibanon aufhielten. Insgesamt wurde mehrere tausend libanesische Häuser teilweise oder komplett zerstört. Allein in Aita al-Shaab wurden 750 Häuser vollständig zerstört, in Bint Jbeil gar 800.

Zudem seien oft auch Flüchtlingskonvois selbst zum Ziel israelischer Angriffe geworden. Detailliert schildert der Bericht den Fall eines Flüchtlingskonvois aus Marjayoun, der zunächst in Begleitung der UNIFIL, dann in Begleitung libanesischer Armeefahrzeuge in Richtung Norden aufbrach. Die israelische Armee wurde über den Konvoi in Kenntnis gesetzt, die Fahrzeuge waren mit weißen Fahnen versehen. Dennoch wurde er in Kefraya im Bekaa-Tal von einer israelischen Drohne beschossen, 7 Menschen wurden getötet, 32 weitere verletzt. Daneben schildert der Bericht auch Fälle in denen Fahrzeuge des Roten Kreuzes, die deutlich als solche erkennbar waren, beschossen wurden.

Des weiteren widerspricht der Bericht der israelischen Darstellung, nach der die Hizbollah Zivilisten als menschliche Schtzschilde missbraucht habe. Mit wenigen Ausnahmen habe die Miliz ihre Raketen in Bunkern und Einrichtungen in unbeweohnten Feldern und Tälern gelagert und ihre Kämpfer und zivilen Offiziellen aus bewohnten Gegenden gebracht. Die Raketen seien von vorbereiteten Stellungen außerhalb der Dörfer abgefeuert worden. "In der sehr großen Mehrheit der von Human Rights Watch untersuchten Luftschläge, die zum Tod von Zivilisten geführt haben, gab es keine militärische Präsenz oder Aktivität der Hizbollah, die einen Angriff gerechtfertigt hätte." Das gilt auch für den israelischen Luftangriff auf Qana, bei dem am 30.Juli 2006 28 Menschen getötet wurden.

Bereits vor einer Woche hatte Human Rights Watch einen Bericht veröffentlicht mit dem Titel "Civilians under Assault - Hezbollah´s Rocket Attacks on Israel in the 2006 War"
in dem die Hizbollah beschuldigt wurde, gegen Bestimmungen des Kriegsrechts verbrochen zu haben.

Die Hizbollah habe willkürlich und zum Teil absichtlich in von Zivilisten bewohnte Gebiete im Norden Israels Raketen geschossen. "Die Raketen der Hisbollah töteten während des Konflikts mindestens 39 Israelis und verletzten weitere 101 Personen zum Teil schwer.

Der Beschuss von Zivilisten bewohnter Gebiete mit Raketen von geringer Zielgenauigkeit wie etwa der Katjuscha, stelle ein Kriegsverbrechen dar, so Human Rights Watch. Unter anderem wurden 3 Krankenhäuser von Hizbollah-Raketen getroffen. Zwar habe auch das israelische Militär feste und mobile Militärposten in oder in der Näher ziviler Gebiete errichtet, doch verringere dies nicht die Verantwortung der Hisbollah, unter allen Umständen zwischen Zivilisten und legitimen militärischen Zielen zu unterscheiden.

Nach Vorlage der beiden Berichte gibt Human Rights Watch folgende Empfehlungen:

  • "Israel sollte seine Praxis revidieren, die praktisch alle Personen, die nach einer Aufforderung zur Evakuierung in dem betreffenden Gebiet verbleiben als Kämpfer behandelt, so dass in Zukunft nur solche Personen oder Gebäude angegriffen werden, die legitime militärische Ziele nach dem Kriegsrecht darstellen. Speziell Israels Winograd-Kommission sollte dieses Thema untersuchen"
  • "Die Hizbollah sollte alle durchführbaren Maßnahmen ergreifen um zu gewährleisten, dass Hizbollah-Kämpfer Zivilisten oder UN-Personal keinem unnötigen Risiko durch das Lagern und Abfeuern von Waffen in bzw. aus bewohnten Gebieten ausgeliefert sind. Die libanesische Regierung sollte dies überwachen."
  • "Die Vereinigten Staaten sollten Israels Verwendung von Waffen aus den USA unter Verletzung des Kriegsrechts untersuchen und die Lieferung solcher Waffen stoppen, die ungesetzlich verwendet wurden, ebenso die Finanzierung oder Förderung solchen Materials, solange bis das US State Department befindet, dass Israel diese Waffen nicht länger entgegen der Bestimmungen des Rechts einsetzt und seine Militärdoktrin geändert hat, die diesem Missbrauch zu Grunde liegt."
  • "Iran und Syrien sollten der Hizbollah kein Material, einschließlich Raketen, liefern, das die Hizbollah unter Verletzung des Kriegsrechts eingesetzt hat, solange bis sich die Hizbollah verpflichtet, diese nicht mehr in dieser Weise zu verwenden und tatsächlich diese Verwendung einstellt."
  • "Der UN-Generalsekretär sollte eine Untersuchungskommission einrichten, um Berichte über Verstöße gegen das Kriegsrecht durch alle Konfliktparteien zu untersuchen, einschließlich möglicher Kriegsverbrechen."