Hier der Bericht eines Freundes, der sich zur Zeit wenige hundert Kilometer weiter suedlich befindet:
Wir werden im Zentrum Hebrons, in Bab al-Zauwie, aus dem Service geworfen und warten einige Minuten auf Muhannad. Wenig spaeter kommt er uns mit einem freundlichen Laecheln entgegen und fuehrt uns durch die geschaeftigen Strassen der Innenstadt. Wir befinden uns in Zone H-1. Die Altstadt Hebrons, das ehemalige Herz der Stadt wie uns immer wieder erklaert wird, sowie die angrenzenden Gebiete bilden unter israelischer Kontrolle die Zone H-2. Der uebrige palaestinensisch bewohnte Staddteil bildet die Zone H-1 und steht de jure unter Kontrolle der palaestinensischen Autonomiebehoerde. Innerhalb der Zone H-2 befinden sich neben noch verbliebenen palaestinensischen Hauesern vier juedische Siedlungen, Tel Rumeida, Beit Hadassa, Avraham Avinu und Beit Romano. Inmitten der 120 000 Einwohner Hebrons, sind 500 juedische Siedler auf die Siedlungen verteilt und stehen unter staendigem Militaerschutz von 4000 Soldaten.
Muhannad fuehrt uns in Richtung Tel Rumeida. Eine kleine Anhoehe hinauf, muessen wir an massiven Strassensperren vorbei auf den Checkpoint zu - eine niedrige laengliche Barracke mit einem kleinen Fenster, aus dem uns ein israelischer Soldat gelangweilt entgegenblickt. Wir zwaengen uns durch die Tuer auf der rechten Seite und werden aufgefordert alle Gegenstaende unseren Hosentaschen zu entnehmen, auf die Ablage vor dem Beobachtungsfenster zu legen und den Metalldetektor zu passieren. Alle Kleinigkeiten, die sich innerhalb der letzten Tage angesammelt haben kommen zum Vorschein und ringen dem Soldaten ein schelmisches Laecheln ab.
Den Berg hinauf, an einem weiteren Militaerposten vorbei, fuehrt uns Muhannad in die Wohnung der Freiwilligen von ISM “International Solidarity Movement“.
Sechs Freiwillige, aus Schweden, England, Tschechien und den USA verbringen hier zur Zeit ihre Tage. Aufgabe der Freiwilligen ist die morgendliche Observierung des Schulweges. Uebergriffe der Siedler auf palaestinensische Kinder und internationale Freiwillige sind keine Seltenheit. Vor einigen Wochen erst wurde einer Freiwilligen direkt am Checkpoint der Wangenknochen gebrochen. Eine Siedlerin hatte mit einer Flasche auf sie eingeschlagen. Ein Arzt der Siedler wurde gerufen, erschien wenig spaeter am Ungluecksort, erkannte die Verletzte als Freiwillige der ISM und verweigerte ihr daraufhin die Behandlung.
Das Haus ist spartanisch eingerichtet. Es ist nicht einfach Moebel und andere dringend benoetigte Mittel durch den Checkpoint zu schaffen. Teppiche liegen in keinem Zimmer. Draussen sind acht Grad, Heizungen sind nicht installiert. Wasser muss gespart werden. Unter den Wasserhaehnen stehen Plastikschuesseln, die das ueberschuessige Wasser auffangen. Drueckt man auf einen roten Knopf neben der Spuele und wartet 20 Minuten, erhaelt man eventuell warmes Wasser. An den Waenden in der Kueche hat sich jemand beim Putzen versucht. Eine dicke Staubschicht konnte um einige Zentimeter verschmiert werden, darunter kommt die hellblaue Wandfarbe zum Vorschein. Die einzige Elektroheizung in der Kueche laueft fast staendig.
Der Wecker klingelt am naechsten Morgen um Sechs. Wir stehen mit den Anderen auf und begleiten sie bei ihrer morgendlichen Arbeit. Auf unserem Weg bergab passiert uns in Schrittempo ein weisser Kombi, ein Siedler lehnt sich aus dem Fenster und fotografiert uns mit einer Digitalkamera. Er haelt vor uns am Checkpoint, wechselt einige Worte mit dem Soldaten und faehrt weiter. Als wir den Checkpoint erreichen mustert uns der Soldat skeptisch und fragt ob wir den Siedler bespuckt haetten, dies habe er ihm gerade berichtet. Wir verneinen und ernten eine Kopfbewegung, die uns auffordert unseren Weg fortzusetzen.
Zwei kritsische Punkte werden von ISM observiert. Die Gabelung zwischen dem Weg zur Siedlung und den palaestinensischen Hauesern, sowie die Treppe vor der Synagoge, die zur Qurtuna Schule hinauffuehrt. Unterhalb der Synagoge befindet sich eine juedische Schule. An dieser Stelle kommt es zur direkten Beruehrung zwischen palaestinensischen- und Siedlerkindern. Dieser Morgen bleibt ruhig.
Nachdem auch die Freiwilligen von EAPPI und CPT ihre Posten verlassen haben und den Kindern direkt in der Schule zur Seite stehen, brechen wir mit Marcus zu einem Rundgang auf. Die Treppe hinauf, an der Schule vorbei, faellt uns ein Graffiti ins Auge. "Gas the Arabs" steht in schwarzer Schrift an eine Eingangstuer geschmiert.
Am Abrahamsbrunnen vorbei, geht es hinauf zu den Olivenbaeumen. Von der Huegelkuppe, inmitten des Olivenhains laesst sich ein traumhafter Blick ueber die Stadt werfen. Unweit neben uns steht ein verfallenes Haus. Marcus erklaert uns, dass dieses Land von Abu Saif gemietet wird. 1998 wurde das Haus von seinen Eigentuemern verlassen und ein Mietvertrag mit Abu Saif ausgearbeitet. Drei Jahre haben die Freiwilligen der ISM von dort aus ihre Arbeit verrichtet, 2001 wurde das Haus von der israelischen Armee besetzt und die ISM vertrieben. Die Siedler haben angefangen das Land zu Nutzen, um es letzendlich fuer sich zu proklamieren.
Der einzige Weg fuer Abu Saif war das Informieren des zustaendigen DCO (District Commission Officer) Seit fuenf Jahren ist das Besitzrecht des Landes nun ungeklaert. Zur Zeit laeuft ein Verfahren vor dem obersten israelischen Gerichtshof. Wenn Siedler auf dem Land gesehen werden, haben die Mitglieder der ISM die Aufgabe dies zur Beweissammlung zu fotografieren. Das Haus verfaellt, in der Ruine stehen einige aufgerissene Sofas und Stuehle, auf dem Boden liegen die Reste von geroesteten Kuerbiskernen, die Ueberreste der jungen Siedler, die dieses Haus fuer sich nutzen wollen.
An einer mit Stacheldraht gesicherten Militaerbasis entlang gehen wir zu dem jetzigen Quartier der ISM. Dies ist das dritte Haus der ISM innerhalb der letzten neun Jahre. Die beiden vorherigen wurden von der Armee besetzt, es ist nur eine Frage der Zeit bis auch dieses besetzt wird. Seit drei Wochen arbeiten sie von hier, die IDF war bereits zweimal zu einer Durchsuchung da.
Um neun Uhr klingelt das Telefon. Wir werden auf die Beobachtungsposten gerufen. Es geht das Geruecht um, das sich 200 Siedler zu einer Spontandemonstration zusammengefunden haben. Wir stehen in der Shuhadastrasse. Eine Geisterstrasse.
Vor einigen Jahren wurden die Laeden alle geschlossen. Ueber den gruenen geschlossenen Eisentueren haengen verbogene, verrostete Schilder, die meisten Laeden sind mit Davidsternen beschmiert. Die Beschriftungen erzaehlen von einem Kaffeehaus, einem Friseur und einigen Boutiquen. Eine Strasse in der das Leben der Stadt pulsierte.
Nun suchen sich die meisten Palaestinenser neue Arbeit und Laeden in Neuhebron. Hinter uns liegt die Altstadt. Auch sie wird zunehmend von den Siedlern besetzt. Ueber den Strassen in der Altstadt sind Drahtnetze gespannt, um die Steine aufzufangen, die von den umliegend wohnenden Siedlern auf die Menschen im Suq geworfen werden. 5000 Laeden wurden aus Sicherheitsgruenden geschlossen. Das Herz der Stadt hat aufgehoert zu schlagen.
Die Demonstration bleibt unter Kontrolle. Zwei Stunden passiert nichts, dann versammeln sich einige Demonstranten in der Synagoge, verbleiben dort eine Stunde und loesen sich wieder auf.
Es ist inzwischen Zwoelf. Die Kinder treten von der Schule ihren Heimweg an. Eine Patrouillentrupp bestehend aus fuenf Soldaten geraet mitten in die Schulkinder hinein. Bunte Schultaschen verschmelzen mit den Tarnfarben der Soldaten. Ein ganz normaler Tag in Tel Rumeida. Als wir wieder ins Quartier kommen, faellt mir ein arabisches Plakat ins Auge, auf dem steht: "Wenn die Oliven von dem Chaos und dem Siedlerkrieg wuessten, wuerden sie ihr Oel als Traenen vergiessen."