14.01.2010
Gewalt gegen Kopten in Ägypten - Ohrenbetäubendes Schweigen
Am orthodoxen Weihnachtsabend werden in einer ägyptischen Kleinstadt sechs Christen ermordet. Regierung und Presse spielen den Fall herunter, ein öffentlicher Aufschrei bleibt aus. Diese Reaktion steht beispielhaft für den Umgang mit Minderheiten in Ägypten

 Als Ägypten im November 2009 nach zwei dramatischen Spielen gegen Algerien die Qualifikation für die Fußball-WM 2010 in Südafrika verpasste, kochte der Volkszorn am Nil. Hunderte junge Ägypter randalierten vor der algerischen Botschaft in Kairo, in den Kommentarspalten der regierungsnahen Zeitungen blieb wochenlang kaum Platz für ein anderes Thema. Auf der Straße und in der Presse wurde nach dem Verständnis der Demonstranten und Kolumnisten die nationale Ehre verteidigt, die durch die Niederlage gegen die arabischen Brüder und deren Verhalten auf und abseits des Platzes beschmutzt worden sei. Zur Erinnerung: Wir reden von einem Fußballspiel.

 Ganz anders fällt die Reaktion der staatlichen Medien und der ägyptischen Straße bei einem anderen Ereignis aus, das weitaus stärker geeignet sein dürfte das Ansehen und die Ehre der ägyptischen Nation zu beschädigen. Am Abend des 6. Januar, dem Weihnachtsabend der orthodoxen Kopten, werden vor einer Kirche in der oberägyptischen Kleinstadt Nag Hammadi sechs Christen und ein muslimischer Wachmann erschossen. Die drei mutmaßlichen Täter, radikale Muslime, stellen sich zwei Tage später der Polizei. In der Folge kommt es an mehreren Orten in Oberägypten zu religiös motivierten Gewalttaten. Kopten brennen die Häuser ihrer muslimischen Nachbarn nieder, Muslime greifen Kirchen und christliche Einrichtungen an. Dutzende Menschen werden verletzt. Das Land am Nil erlebt den schlimmsten Ausbruch religiöser Gewalt seit zehn Jahren.

 Von offizieller Seite beeilt man sich das Attentat von Nag Hammadi zu verurteilen, von Papst Benedikt XVI. über den Scheich der al-Azhar bis zur Muslimbruderschaft erhält die koptische Gemeinde in Ägypten Solidaritätsbekundungen. Ein öffentlicher Aufschrei über die religiöse Gewalt gegen die christliche Minderheit, der mit dem Aufruhr über die 0:1-Niederlage in einem Fußballspiel gegen Algerien auch nur ansatzweise vergleichbar wäre, bleibt aus. Zur Erinnerung: Wir reden von einem Massaker gegen ägyptische Bürger mitten in einer 30.000-Einwohner-Stadt.

 Wo bleibt der Aufschrei? 

 Weder versammeln sich spontan auch nur 100 Demonstranten in Kairo um gegen die konfessionell motivierte Gewalt in ihrem Land zu protestieren, noch findet der Angriff auf die Kopten ein nennenswertes Echo in der regierungsnahen Presse. In den Tagen nach dem Attentat am Weihnachtsabend werden die Berichte über den Vorfall auf die hinteren Seiten der großen Zeitungen wie al-Gomhuria und Akhbar al-Yaum verbannt. Das regierungshörige Blatt al-Ahram erklärt seinen Lesern gar, der Angriff habe überhaupt nichts mit der Religion der Opfer zu tun. Die Zeitung berichtet erst ausführlich über den Fall, nachdem sich die Täter der Polizei gestellt haben. Nun können die Journalisten die staatlichen Sicherheitskräfte für ihre ausgezeichnete Arbeit loben. Eine löbliche Ausnahme in der Berichterstattung stellt die regierungskritische Zeitung al-Masry al-Yawm dar, die von Anfang an ausführlich über die Gewalttat berichtet und eigene Journalisten nach Nag Hammadi entsendet.

 Der Umgang der staatlichen Medien und der Regierung, die ebenfalls bemüht ist, die Tat als das Verbrechen verwirrter Einzeltäter darzustellen, reiht sich ein in eine lange Geschichte der Diskriminierung der ägyptischen Kopten. Menschenrechtler beklagen seit Jahren, dass der Staat durch seine Bildungspolitik, seinen Umgang mit religiösen Minderheiten und seine Toleranz gegenüber muslimischen Extremisten, Gewalt gegen Christen begünstige. Dadurch habe sich bei vielen jungen ägyptischen Muslimen der Eindruck festgesetzt, dass Kopten Bürger zweiter Klasse seien, die man im Land lediglich zu dulden habe. Auf der Internetseite der koptischen Wochenzeitschrift al-Watani konnten die Leser in den vergangenen Tagen abstimmen, wer für die Gewalt gegen Christen schuldig sei. 61% von ihnen machten eine »Kultur des Hasses« verantwortlich.

 Ägyptens Gesellschaft wird diese Hasskultur nicht überwinden, solange Regierung und Presse zögerlich über Gewalttaten gegen religiöse Minderheiten berichten und Hintergründe und Motive der Täter verschweigen oder relativieren. Doch nicht nur die Medien stehen in der Verantwortung: Auch Ägyptens Bürger sehen der wachsenden Intoleranz gegenüber den Kopten seit Jahren tatenlos zu. So lange Niederlagen bei Fußballspielen für mehr Zorn und Wut sorgen, als Gewalt gegen christliche Mitbürger im Namen der Religion, wird die Zahl radikaler Muslime wachsen, die meinem, im Interesse einer schweigenden Mehrheit zu handeln.