21.08.2009
Gazas neue Islamisten fordern die Hamas heraus

Die Hamas wird in westlichen Medien und Politik gemeinhin mit dem Attribut „radikal-islamisch“ versehen, was aus der Perspektive eines liberalen Weltbildes auch durchaus seine Berechtigung hat. Dabei ergibt sich aber das Problem, nicht mehr angemessen differenzieren zu können zwischen den mannigfaltigen islamistischen Bewegungen und Gruppierungen. Die Hamas ist zwar eine militante islamistische Partei, dennoch gehört sie nicht zu den radikalen unter den Islamisten, denn sie verfolgt eine nationale Agenda, stellt sich politischen Wahlen und akzeptiert (zumindest offiziell) gesellschaftlichen Pluralismus. Desweiteren ist sie prinzipiell kompromiss- und verhandlungsbereit – auch mit Israel. Auch der bewaffnete Kampf gegen Israel folgt einer pragmatischen Logik und stellt nur eine Facette der Hamas dar. Zugleich ist sie nämlich auch eine soziale und karitative Organisation, eine politische Partei, und seit 2007 faktisch eine Staatsmacht. In all diesen Eigenschaften unterscheidet sie sich von Gruppen wie Al-Qaida und deren Nachahmer, die nur den Jihad kennen, bzw. die militante Interpretation desselben.

Seit über zwei Jahren beherrscht Hamas den Gazastreifen, und ist seitdem einem wachsenden Druck ausgesetzt, radikalere Positionen zu beziehen. Viele ihrer Anhänger sind strikt religiös und erwarten von einer Hamas-Regierung die kompromisslose Islamisierung des öffentlichen Lebens und die Einführung der Sharia, die für alle gelten soll. Diesem Druck, der auch aus den eigenen Reihen kommt, gab die Hamas-Führung in Gaza bereits nach: Das Religionsministerium hat vor kurzem eine „Tugendhaftigkeits-Kampagne“ gestartet, die zum Ziel hat, die Menschen zu einem strikten muslimischen Leben zu erziehen. Seitdem patrouilliert die Polizei die Strände, um zu kontrollieren, dass sich keine gemischt geschlechtlichen Gruppen bilden und dass Männer nicht mit freiem Oberkörper herumlaufen. Auch Schaufensterpuppen in Unterwäsche werden nicht gern gesehen. Das geht vielen aber noch nicht weit genug. Der Hamas wird außerdem eine Annäherung an den Westen vorgeworfen. Es bilden sich daher vermehrt radikalere Gegenbewegungen. Der Hamasführung in Gaza fällt es immer schwerer, diese extremistischen Islamisten unter Kontrolle zu halten, die nur noch in Kriegszeiten willkommene Verbündete sind.

Am 14. August kam es in Rafah zu den bisher blutigsten Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und einer Gruppierung, die sich Jund Ansar Allah nennt. Deren Anführer Abdel Latif Moussa rief in einer Moschee das „Islamische Emirat“ aus. Kurz darauf eroberte Hamas die Moschee gewaltsam – 28 Menschen starben, darunter auch einige Zivilisten die sich in der Nähe der Moschee aufhielten. Moussa, ein bekennender Anhänger Osama Bin Ladens, sprengte sich bei seiner Festnahme selbst in die Luft und riss dabei einen Hamas-Polizisten mit in den Tod.

Hamas-Offizielle rechtfertigten das harte Vorgehen damit, dass die Islamistengruppe die Legitimität der Regierung missachtet und in letzter Zeit mehrere Bombenanschläge in Gaza verübt hätte. Die Splittergruppe Jund Ansar Allah wurde zwar militärisch zerschlagen und ihre Anführer sind in den Kämpfen umgekommen. Doch der radikale Islamismus bleibt eine ernsthafte Herausforderung für die Hamas, deren Führer sich Verhandlungsoptionen für die Realisierung eines Staates Palästina offen halten und daher einen pragmatischen Ansatz verfolgen wollen. Ihnen geht es um realistische Interessenpolitik. Und sie wollen eine Programmatik vertreten, die auch bei den nächsten Parlamentswahlen noch mehrheitsfähig ist. Konkrete aktuelle Themen, womit sich die Hamas zur Zeit beschäftigt sind die Verhandlungen um einen Gefangenenaustausch mit Israel, die Vorbereitung der im kommenden Jahr anstehenden Wahlen und Verhandlungen um eine Einheitsregierung mit der Fatah. Blinder Fanatismus hat dabei keinen Platz.

Moussas radikale Botschaften wirkten besonders unter jugendlichen Muslimen anziehend. Das hat auch mit der allgemeinen Situation im Gazastreifen zu tun, denn die anhaltende Blockade, die Mangelversorgung und die immer noch allgegenwärtigen Kriegsschäden sind ein idealer Nährboden für wachsenden Extremismus. Religion ist unter diesen Umständen für viele der einzige Hoffnungsträger. Und Leute wie Abdel Latif Moussa erscheinen da wie Propheten einer neuen Zeit.

Mittlerweile ist ein Schreiben von Jund Ansar Allah und vier weiterer gleichgesinnten Gruppierungen aufgetaucht, indem die Hamas eines Massakers beschuldigt wird. Zudem heißt es: „Die Aktionen der Hamas dienen den jüdischen Thronräubern Palästinas und den Christen, die die Muslime im Irak, Afghanistan, Tschetchenien und Somalia bekämpfen“.