20.01.2016
Frauenwahlrecht in Saudi-Arabien: Ein historischer Sieg für die Gleichberechtigung?
Fotografinnen in Saudi-Arabien während des Unabhängigkeitstags. Photo: Tribes of the World/Flickr, (https://www.flickr.com/photos/92278137@N04/10755450234, CC BY-SA 2.0)
Fotografinnen in Saudi-Arabien während des Unabhängigkeitstags. Photo: Tribes of the World/Flickr, (https://www.flickr.com/photos/92278137@N04/10755450234, CC BY-SA 2.0)

In den Kommunalwahlen am 12. Dezember 2015 wurden zum ersten Mal in der Geschichte Saudi-Arabiens Frauen als Wählerinnen und Kandidatinnen zugelassen. 20 Frauen errangen dabei Sitze in den zahlreichen kommunalen Bezirksräten. Doch die Euphorie dürfte verfrüht sein: Das Frauenwahlrecht scheint eher ein symbolisches Zugeständnis als ein Aufbruch in Richtung wahrer Gleichberechtigung. Von Maria J. Debre

Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes durften Frauen am 12. Dezember 2015 an den Kommunalwahlen in Saudi-Arabien teilnehmen. Damit ist die absolute Monarchie am Golf das letzte Land der Welt, das Frauen ihr Wahlrecht zugesteht. Das Ereignis wurde von der internationalen und deutschen Presse als historischer Moment und großer Schritt für Frauenrechte im streng konservativen saudischen Staat gefeiert und weckte bei vielen Kommentatoren Hoffnung auf eine weitere politische Öffnung des Systems hin zu mehr Gleichberechtigung von Männern und Frauen.

Auf Twitter feierten die saudischen Frauen ihr neu gewonnenes Recht unter dem Hashtag #saudiwomenvote. Die Userin Amal Faisal jubelte beispielsweise, wie wundervoll es sich anfühle, zu wissen, dass sie eine Stimme habe, die zählt. Die saudische Frauenrechtsaktivistin Hatoon al-Fassi erklärte den Tag zum „Tag der saudischen Frauen“ und zeigte sich optimistisch, dass weitere Veränderungen in der Zukunft möglich seien.

Laut Associated Press wurden 20 Frauen in die Kommunalräte gewählt. Dies stellt lediglich ein Prozent der rund 2100 zur Wahl stehenden Sitze dar. Allerdings werden noch weitere 1050 Sitze vom König ernannt, welcher zusätzliche Frauen in die Kommunalräte entsenden könnte. Über 7000 Kandidaten stellten sich zur Wahl, darunter 979 Frauen. Laut der saudischen Wahlkommission hatten sich im Vorfeld von den mindestens fünf Millionen wahlberechtigten Saudis mehr als 130 000 Frauen und 1,35 Million Männer für die Wahl registriert. Die saudische Nachrichtenagentur SPA gab die Wahlbeteiligung mit rund 47 Prozent an, was einer Zahl von nicht einmal 700 000 Wählern entsprechen würde. Bei einer Gesamtbevölkerung von 20 Millionen macht diese geringe Wahlbeteiligung die weit verbreitete politische Apathie der saudischen Bevölkerung deutlich.

Viele Hindernisse beschränken den Wahlkampf weiblicher Kandidatinnen

Auch wenn die saudischen Frauen begeistert von ihrer ersten Wahlerfahrung sind, die Bedeutung des Frauenwahlrechts in Saudi Arabien sollte nicht überschätzt werden. Saudi-Arabien gilt in Sachen Frauenrechte als eines der rückständigsten Länder der Welt. Berühmt-berüchtigt ist das dortige Verbot für Frauen, Auto zu fahren. Doch auch in allen anderen Angelegenheiten sind sie von Männern abhängig: ohne schriftliche Zustimmung eines männlichen Vormundes können sie weder einer Arbeit nachgehen, amtliche Dokumente beantragen, ein Konto eröffnen, einen Arzt aufsuchen, studieren oder gar das Land verlassen. Auch bestimmen Männer, wann und wen eine Frau heiraten soll, die legale Verheiratung Minderjähriger ist weit verbreitet.

Die Kommunalwahlen fanden, wie alles andere im Land, völlig geschlechtersegregiert statt. Um sich als Kandidateninnen und Wählerinnen zu registrieren, mussten Frauen zunächst die Zustimmung ihres männlichen Vormundes einholen. Während des Wahlkampfes war es ihnen verboten, vor Männern aufzutreten. Sie mussten hinter Trennwänden sprechen oder ihre Reden von einem Mann vortragen lassen. Auch wenn das zentrale Wahlkomitee ein generelles Verbot für Männer wie Frauen einführte, sich fotografieren zu lassen oder im Fernsehen aufzutreten, um zumindest ein bisschen Fairness in den Wahlkampfprozess zu bringen, so stellten sich Frauen doch enorme praktische Hürden im Vorlauf zur Wahl. Viele Kandidatinnen führten ihren Wahlkampf deshalb lediglich online über Social Media-Kanäle und versuchten mit expliziten Frauenthemen wie Zugang zu Kinderbetreuung oder Krankenpflege zu punkten.
Am Wahltag selbst wurden extra Wahllokale nur für Frauen errichtet, die einen geregelten Ablauf des Wahlgangs sicherstellen sollten. Wie die Arbeit der weiblichen Abgeordneten in solch einem Umfeld aussehen soll, bleibt unklar. Können Frauen mit den anderen Abgeordneten zusammen tagen? Dürfen sie ohne ihren männlichen Vormund an Abstimmungen teilnehmen? Allerdings wird den Bezirksräten ohnehin wenig Einfluss zugesprochen. Sie sind für nachbarschaftliche Angelegenheiten zuständig, also die Organisation der Müllabfuhr, die Aufstellung von Laternen oder die Regelung von Krankenhäusern.

Dennoch mussten sich Frauen ihr Recht, an den Kommunalwahlen teilzunehmen, hart erkämpfen. Weit verbreitet ist die Ansicht unter Männern, Frauen seien nicht „bereit“ für politische Aufgaben, ein Argument, dass sich auch die ersten Suffragetten in Großbritannien und den USA in ihrem Kampf um das Wahlrecht vielfach anhören mussten. Bevor der inzwischen verstorbene König Abdullah im Jahr 2011 per Dekret das Frauenwahlrecht einführte, hatte der saudische Großmufti, die höchste religiöse Instanz des Landes, die Teilnahme von Frauen in der Politik gar als „Öffnung der Tür zum Bösen“ beschrieben.

Symbolpolitik oder erster Schritt Richtung Gleichberechtigung?

Die saudische Frauenrechtsaktivistin Aziza Yousef beschuldigt die Monarchie, lediglich Symbolpolitik für den Westen zu betreiben und die Frauen mit Pseudoreformen ruhig stellen zu wollen. Tatsächlich ändert sich an der täglichen Benachteiligung von Frauen in Saudi-Arabien durch die Reform nichts. Das Zugeständnis zur Ausweitung des Wahlrechts wurde von König Abdullah während der Umwälzungen des Arabischen Frühlings gemacht, einer Zeit, in der auch das saudische Regime Angst vor einer Intensivierung von Demonstrationen hatte. Im Zuge dessen wurden auch die im Jahr 2009 aufgeschobenen Kommunalwahlen als Zeichen des Entgegenkommens im April 2011 durchgeführt.

Nur dreimal in der neueren Geschichte Saudi-Arabiens fanden bisher überhaupt Wahlen statt: 2005 und 2011 jeweils auf kommunaler Ebene. Erste Experimente mit Wahlen zu Stadträten wurden durch die Zentralisierungspolitik von König Faisal 1962 beendet. Das einzige andere versammlungsähnliche Gremium, der beratende Shura-Rat, wird vom König ernannt, genauso wie die Bezirksgouverneure. Parteien und die in anderen Golfstaaten üblichen parteiähnlichen „politischen Vereine“ sind verboten.

Hoffnungen auf die Ausweitungen von Wahlen, mehr Rechte für Frauen oder gar eine politische Öffnung des Landes scheinen vor den aktuellen politischen Entwicklungen unter dem neuen König Salman eher unwahrscheinlich. Mit seiner neuen Riege an Ministern, unter ihnen der Sicherheitshardliner, Kronprinz und Innenminister Mohammed ibn Naif und sein eigener Sohn und Verteidigungsminister Mohammed ibn Salman, greift Salman seit seinem Amtsantritt im Januar 2015 intern und extern hart durch. Im vergangenen Jahr 2015 wurde mit 150 öffentlichen Hinrichtungen die höchste Zahl an Todesurteilen seit 1995 vollzogen, das Jahr 2016 startete mit einer Massenexekution von 47 Menschen. Eine zunehmende Anzahl Oppositioneller und Kritiker des Regimes sitzen laut Amnesty International und Human Rights Watch ohne triftige Gründe im Gefängnis fest. Eine kürzlich geschlossene Antiterrorallianz sunnitisch-islamischer Staaten nährt zusätzlich Ängste, der Kampf gegen Terrorismus könnte noch stärker für die innenpolitische Verfolgung von Aktivisten instrumentalisiert werden. Zudem könnten vor dem Hintergrund des eskalierenden Konflikts mit dem Iran weitere harte Maßnahmen gegen schiitische Minderheiten in Saudi-Arabien folgen.

Es bleibt zu hoffen, dass Aktivistinnen wie Yousef und al-Fassi zusammen mit den neu gewählten weiblichen Abgeordneten ihre Weg weiter verfolgen können, um zumindest einen kleinen Unterschied im Leben der saudischen Frauen in ihrer männlich dominierten Umgebung zu machen. Ihr Weg erscheint jedoch steinig und wahre Gleichberechtigung ein unerreichbares Gut in einem Land, dessen Politik von ultrakonservativen, religiösen Hardlinern bestimmt wird.

 

Dieser Artikel ist in einer verkürzten Version auch in Mediterranes 1/2016 erschienen.

 

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