13.05.2008
Erkenntnisse aus den Ereignissen im Libanon

Am 7. Tag der militärischen Konfrontation zwischen der libanesischen Opposition und der Regierung sind die Kämpfe weitgehend abgeflaut. Auch in der zweitgrößten Stadt des Libanon, in Tripoli und in den zum Großteil von Drusen bewohnten Chouf-Bergen, herrscht momentan angespannte Ruhe, nachdem sich rivalisierende Gruppen hier bis in die Nacht bekämpft hatten.

Nach offiziellen Angaben sind bei den Kämpfen bislang 81 Menschen getötet und mindestens 250 Weitere verwundet worden. Beide Konfliktparteien werfen sich gegenseitig Kriegsverbrechen vor. Der libanesische Blogger Darko berichtet von einem Massaker in der Kleinstadt Halba in der Nordprovinz Akkar, dass Milizionäre von Saad Hariris Mustaqbal-Bewegung an Anhängern der SSNP (Syrische Soziale Nationale Partei) verübt hätten. Unter den Augen der Armee seien insgesamt 10 SSNP-Mitglieder per Kopfschuss hingerichtet worden, nachdem sie sich der Mustaqbal-Miliz ergeben hätten. Auf YouTube kursieren grausige Videos verstümmelter Leichen aus Halba die Darkos Aussagen zu stützen scheinen.

Die Armee drohte mittlerweile gewaltsam gegen alle Milizen vorzugehen, die nicht bis heute 6 Uhr von den libanesischen Straßen verschwunden seien. Offenbar scheint diese Drohung Wirkung zu zeigen, auch wenn kaum zu erwarten ist, dass die libanesische Armee ernsthaft in der Lage sein könnte Ruhe und Ordnung im Land herzustellen.

Eine Erkenntnis der vergangenen Woche ist, dass die Armee ziemlich einseitig für die Hizbollah und ihre Verbündeten Partei ergriff und dem Treiben der Opposition in Westbeirut und anderswo weitgehend tatenlos zusah. Spekuliert wird mittlerweile darüber, ob die Armeeführung damit Sympathien für die Opposition erkennen ließ, oder einfach erkannte, dass die Hizbollah übermächtig ist und damit den Schaden in den eigenen Reihen möglichst gering lassen wollte.

Zudem haben die letzten Tagen deutlich gezeigt, dass entgegen aller Beteuerungen praktisch alle Parteien im Libanon eigene Milizen unterhalten. Von der Hizbollah war dies bekannt, doch auch die Mustaqbal-Bewegung, die drusische PSP und andere verfügen offenbar über ein bemerkenswertes Arsenal an Maschinengewehren verschiedenster Bauart und Panzerabwehrraketen.

Deutlich wurde in den letzten Tagen die Schwäche der libanesischen Regierung vor Augen geführt. Innerhalb von 2 Tagen wurden ihre Milizen von der Hizbollah und ihren Alliierten praktisch ausgeschaltet und Ministerpräsident Siniora sah sich gezwungen seine beiden gegen die Hizbollah gerichteten Entscheidungen zurückzunehmen.

Von seinen wichtigsten außenpolitischen Verbündeten Saudi-Arabien und den USA wurde der Regierungschef bislang weitgehend im Stich gelassen. US-Präsident Bush reagierte auf die Stärkung der Hizbollah auf altbekannte Weise und beorderte wie schon im Februar die USS Cole vor die levantinische Küste. Ob die libanesische Regierung die aktuelle Krise wirklich durch Aussitzen und das Ignorieren der Oppositionsforderungen überstehen kann, scheint ungewiss und wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

Daneben kristallisierte sich in der vergangenen Woche heraus, dass das Regierungsbündnis "14.März" nicht immer mit einer Zunge spricht. Drusenführer Walid Jumblatt war zunächst vorausgeprescht und hatte die Abschaltung des Telefonnetzes der Hizbollah gefordert. Es waren jedoch mehrheitlich sunnitsche Stadtteile Beiruts, die sich zunächst dem Einmarsch der schiitischen Amal- und Hizbollah-Milizen entgegen sahen. Daraufhin musste Mustaqbal-Führer Saad Hariri einen weitaus konzilianteren Ton anschlagen. Erst nachdem sich die Kämpfe auch auf den Chouf ausweiteten machte Jumblatt einen Rückzieher und erklärte, das Telefonnetz der Hizbollah sei für den Widerstand gegen Israel möglicherweise doch notwendig.

Der blutige Machtkampf hat zudem gezeigt, dass eine Entwaffnung der Hizbollah gegenwärtig illusorisch erscheint. Mehr denn je ist deutlich geworden, dass die libanesische Armee dazu nicht in der Lage ist. Außerdem kann die Schiitenmiliz nun argumentieren, dass es nun offensichtlich sei, dass die Regierungsparteien im Libanon auch eigene Milizen unterhielten, die gleichermaßen zu entwaffnen seien. Dass in der gegenwärtigen Athmosphäre die rivalisierenden Lager im Libanon über dieses Thema zu einer Einigung finden scheint aussichtslos.

Viel hängt nun vom Verhalten der USA und der regionalen Mitspieler im Libanon ab. Von der Initiative der Arabischen Liga ist wenig zu erwarten, da diese von der Opposition als einseitig zu Gunsten der Regierung aufgefasst wird. Eine Stabilisierung des Libanon scheint gegenwärtig nur möglich, wenn Syrien und Saudi-Arabien, die USA und der Iran zu einem Modus Vivendi finden. Die amerikanische Hoffnung auf einen Libanon mit starker pro-westlicher Regierung hat in den vergangenen Wochen einen schweren Rückschlag erlitten.