05.05.2009
Entscheiden Stimmenkäufe die libanesischen Wahlen?
Wenn am 7. Juni im Libanon die Parlamentswahlen stattfinden, werden zahlreiche Stimmen erkauft sein. Dies hat im Libanon jahrzehntelange Tradition, obwohl wichtige religiöse Autoritäten wie der Schiit Muhammad Hussein Fadlallah sowie der maronitische Patriarch Sfeir Nasrallah die Praxis wiederholt verurteilt haben. Dabei findet "Vote-Buying" in unterschiedlichen Formen statt. Häufig treten Mittelsmänner der Kandidaten an das Oberhaupt einer Großfamilie heran und bieten eine bestimmte Summe für die Zusage, dass sämtliche Familienmitglieder für den Kandidaten stimmen werden. Nehmen wir das Beispiel eines Freundes, Elie (Name geändert), im heiß umkämpften Wahlbezirk Metn. Elies Vater wurde von verschiedenen Seiten Geld angeboten. Im Endeffekt hat er sich für das mit 1000 $ höchste Angebot des ehemaligen Ministers Michel Murr plus der Zusage, dass der verlorene Personalausweis Elies neu ausgestellt wird, entschieden, obwohl er seit Jahren mit einer anderen politischen Bewegung sympathisiert. Angesichts eines Monatlohnes unter 1000 $ mag dieser Pragmatismus wenig verwundern. Die Praxis des Stimmenkaufs seitens der Kandidaten stellt eine lukrative Einkunft dar und hat dazu geführt, dass Bestechungsversuche von Teilen der Bevölkerung sogar erwartet werden.

Eine etwas subtilere Strategie, um Stimmen zu "erkaufen", wendet der Kandidat Henry Chedid im Distrikt West Bekaa-Rachaya an. Chedid, der von Michel Aouns Free Patriotic Movement (FPM) unterstützt wird, besitzt einen luxuriösen Country Club mit Swimming Pools, einer Pferderanch und anderen Vergnügungsangeboten. Bis zum Wahltag dürfen die Bewohner des Wahlkreises den Country Club kostenlos besuchen...

Darüber hinaus versuchen die politischen Bewegungen möglichst viele Stimmen der zahlreichen wahlberechtigten Auslandslibanesen zu ergattern, indem kostenlose Flüge in den Libanon zur Zeit der Wahlen angeboten werden. Die Unsummen, die für den "Wahlkampf" ausgegeben werden, stammen nicht nur aus dem Libanon. Vor allem Saudi-Arabien und Iran unterstützen ihre jeweiligen Verbündeten im Zedernstaat mit großen Summen. Entgegen der bisherigen Handhabung, solche Behauptungen zurückzuweisen, gab in diesem Jahr ein Parlamentsanwärter erstmals offen zu, vom saudischen Königreich gesponsert zu werden.

Voraussichtlich werden die Wahlen in den mehrheitlich von Christen bewohnten Distrikten Metn, Jbeil, Zahle und Kisrouan entschieden. Gespräche mit Personen aus diesen Wahlkreisen bestätigen, dass Stimmenkäufe hier besonders weit verbreitet sind. Ob die Wähler am 7. Juni jedoch tatsächlich für den Kandidaten stimmen werden, der ihnen Geld zukommen ließ, ist eine andere Frage. Michael Aoun hatte etwa bereits kurz nach seiner Rückkehr aus dem französischen Exil 2005 seinen Anhängern geraten, Geld von anderen Kandidaten anzunehmen und nichtsdestotrotz für den Chef der FPM zu stimmen.

Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...