23.11.2015
Ein Häuflein Dreck
"Vor Ort" - ein Refugee Welcome Center somewhere in Deutschland. Photo (Ausschnitt): Rasande Tyskar (CC-BY-NC 2.0).
"Vor Ort" - ein Refugee Welcome Center somewhere in Deutschland. Photo (Ausschnitt): Rasande Tyskar (CC-BY-NC 2.0).

Saskia Benter arbeitet im Asylheim Rathaus Wilmersdorf in Berlin. Auf diesen Seiten berichtet sie über Begegnungen mit Menschen, die ihr Einblick in ihr Leben gewähren - persönlich und in Fragmenten, während alles andere weiter läuft, und die Abgrenzung von „hier“ und „dort“, „wir“ und „ihr“ sich vielleicht langsam etwas aufzulösen beginnt.

Zum ersten, zweiten, dritten und vierten Beitrag geht es hier.

„Ich kann kein großes Fahrzeug mehr vorbeifahren lassen, ohne darin mögliche Zwischenräume und Verstecke aufleuchten zu sehen. Ich habe mich überall versteckt, wo ein ausgewachsener Mann reinpasst, wenn er sich krümmt und kleinmacht.

Bei dieser Überfahrt saßen wir in einem Kühlfach. Zwischen Fisch und Meeresfrüchten wurden unsere Finger ganz steif vor Kälte. Mein Cousin war angespannt. Der salzige Geruch des Meeres rief zu viele Erinnerungen in ihm hervor. Er fing an, im Eis zu graben, das sich überall stapelte. Ich wollte ihn fassen und festhalten, aber meine Finger waren so erschöpft von der Kälte, dass sie ihn nur kraftlos streifen konnten.

Diese Kälte fraß dann auch die Erinnerung an die folgenden Minuten auf. Einen Augenblick – oder vielleicht auch mehrere Tage später? – standen wir plötzlich draußen vor dem Lastwagen. Jemand holte mit einer Eisenstange aus und schlug auf mich ein. Einfach nur deswegen, weil ich gerade am dichtesten bei ihm stand. Als er zum zweiten Mal ausholte, blieb die Stange in der Luft hängen und wir klammerten uns von beiden Seiten an ihr fest. Seine Knie zitterten aus Wut oder Angst davor, dass ich mit seiner Stange auf ihn zurückschlagen würde.“

Omar erzählt flüsternd.

Zwischen uns steht eine große Shisha und wir schauen von unseren Sitzplätzen aus auf die lauten Straßen Neuköllns. Omar lebt in einem Wohnheim in Zehlendorf, führt oft Selbstgespräche auf Deutsch und lächelt darüber, dass ich so viele Details über ihn wissen will. Er ist in der syrischen Stadt Homs aufgewachsen und hat dort zu studieren begonnen. Doch dann sind immer mehr seiner Kommilitonen auf dem Weg zur Uni verschwunden oder wurden erschossen, bis der Grundlagenkurs für Chemie nur noch drei Leute zählte. Omar blieb dann noch einige Monate in Syrien. In dieser Zeit überredete er Verwandte und Freunde, ihre Kinder nicht nur zu Hause festzuhalten, sondern auch zu unterrichten. Er brachte in seiner eigenen Küche sogar eine kleine Schreibtafel an.

Während wir so beisammen sitzen, zeigt Omar mir Fotos des Stadtzentrums von Homs. Der „Islamische Staat“ oder Daesh auf Arabisch hat sich mittlerweile gleich neben dem dortigen Rathaus einquartiert. Auf seinem Handy sind außerdem viele Aufnahmen des Ärmelkanals. Und immer wieder auch Bilder von Zäunen und Mauern, so als ob bei jedem seiner Schritte Zäune und Wächter aus dem Boden geschossen seien.

Die französische Polizei in Calais ist sehr gewalttätig zu uns gewesen, wiederholt Omar immer wieder. Das werde ich nie vergessen. Es ist schwer, auf abgezäunten Plätzen zum Nichtstun gezwungen zu werden, doch wir blieben ruhig. Sie aber schlugen um sich. Schreib es auf, bittet er mich, es sind die kleinen Geschichten, die wichtig sind. Schreibe es auf.

Dann fragt er mich, wie ich Deutschland einschätze, ob es ein rassistisches Land ist.

Ich zögere.

Wenn ich über Menschen rede oder schreibe, die hinter Pegida oder der Afd stehen, dann ja, kann ich nicht anders, als von Rassismus zu sprechen – ohne jeglichen Schnörkel, Metaphern oder die vielen Worte, die das doch nur zu verwässern versuchen. Sonst würde ich ihnen nur einen viel größeren Raum geben, als ihnen zusteht. Ich finde es gut, dass mir zu den Reden von Höcke nichts einfällt; ich will mit ihm schließlich auch nicht in einen gepflegten Diskurs treten. Diese Leute sind wie ein Fremdkörper in meiner Welt. Ein Häuflein Dreck, man muss es so sagen. Und ich will, dass es so bleibt.

Hannah Arendt erinnerte in einem Interview mit Günter Gaus im Jahre 1964 daran, dass es gerade viele selbsternannte Intellektuelle waren, die sich in den 1930er Jahren die kompliziertesten Überlegungen zu den Faschisten einfallen ließen, um diese irgendwie zu „verstehen“. Doch eigentlich sind sie ihnen dabei doch auf den Leim gegangen. Für unsere Generation, die ständig schreibt, posted und kommentiert, gibt es derweil umso mehr Raum für „Einfälle“ aller Art, die sich oft ebenso schnell verbreiten wie sie schlichtweg dumpf und dumm sind. Die internationale Koordinationsstelle Mimikama („zuerst denken - dann klicken“) bekämpft den Internetmissbrauch, der sich dabei oft ergibt. An sie soll sich jeder wenden, der verdächtige Inhalte auf Social Networks findet. Die Initiative beschreibt ihre Arbeit als unpolitisch. Doch wenn bei ihren Recherchen geklärt wird, dass auf Facebook gepostete Bilder zum Beispiel nicht den Müll der Flüchtlingstracks belegen wie letztens gemutmaßt, sondern illegale Müllkippen in Serbien aus dem Jahr 2012 zeigen, dann ist das politisch. Denn so werden Menschen über Wahrheit und Fälschung aufgeklärt und wird fremdenfeindliche Hetze entlarvt.

Wenn ich über Rassismus nachdenke, zitiere ich öfter als sonst Denker, durch die ich mich entwickelt habe. Die mich nicht alleine mit der Angst vor rechtem Fanatismus stehen lassen und mich daran erinnern, gegen was ich mich bedingungslos wehren will. Es gibt Dinge, gegen die man aufschreien muss, um ein Mensch zu sein und nicht nur ein Häuflein Dreck, zitiere ich Astrid Lindgren und schaue Omar nachdenklich an.

Und Omar nickt.   

Saskia Benter arbeitet in der Geflüchtetenunterkunft Rathaus Wilmersdorf in Berlin.