Allianzen wechseln schnell im Libanon. Irgendwie scheinen alle wichtigen politischen Parteien im Zedernstaat bereit zu sein, sich bis aufs Äußerte zu bekämpfen, sich öffentlichkeitswirksam zu versöhnen und neue Bündnisse zu schmieden. Wer kurz vor dem fünften Jahrestags des Attentats auf Ex-Premier Rafiq Hariri die politische Landschaft betrachtet, wird sich verwundert die Augen reiben, wieviele Wendungen das politische Manöverspiel der erfahrenen Politpatriarchen zu Tage gefördert hat.
So kündigte Amal-Chef Nabih Berri jüngst an, anlässlich der Feierlichkeiten am 14. Februar ebenfalls an der Großveranstaltung teilzunehmen, die von den Politikern des ehemaligen March 8-Lagers bisher tunlichst gemieden wurden. Premier Saad Hariri kündigt öffentlich Rückendeckung für Hisbollah an, sollte Israel den Libanon attackieren. Das Verhältnis des Regierungschefs zum ehemaligen Lautsprecher der March 14-Koalition Walid Jumblatt kühlt hingegen deutlich ab, aber auch das kann sich jederzeit ändern. Der kurzfristige Grund für die muntere Lagerüberschreitung ist sicherlich das neue Kabinett, für die gewieften Politprofis gehört es hingegen zum Geschäft, nach allen Seiten flexibel zu sein.
Und doch fällt eine Ausnahme ins Auge. Zwei Streithähne im Kabinett wollen ihren Zwist einfach nicht überwinden. Michel Aoun und Samir Geagea, die beiden wichtigsten maronitischen Politiker, pflegen seit zwei Jahrzehnten dasselbe Nicht-Verhältnis und auch die neue Regierungsformation kann die Beiden nicht zusammen bringen.
Die Maroniten sind derzeit die wohl gespaltenste Konfessionsgemeinschaft im Libanon. Im Wesentlichen kämpfen Michel Aouns FPM und Samir Geageas Lebanese Forces um die politische Führungsrolle innerhalb der Gemeinschaft. Während sich ein großer Teil der Maroniten enttäuscht von der Politik und den beiden egozentrischen Führern abwendet, stehen sich die Anhänger verfeindet gegenüber. Die Wahlschlappe Aouns bei den letzten Parlamentswahlen hat nicht zu dem befürchteten Mitgliederschwund bei FPM geführt. Das liegt vielleicht weniger an Aouns politischem Gebahren, sondern vor allem an der Feindschaft gegenüber den Lebanese Forces. Letztendlich ist FPM das effektivste politische Sammelbecken für die christlichen Gegner des berüchtigten einstigen Warlords.
In den vergangenen Jahren versuchte die maronitische Kirche, den tiefen Graben zwischen Aoun und Geagea zu kitten. Das geistliche Oberhaupt der Maroniten, Patriarch Nasrallah Boutros Sfeir, bot sich ein ums andere Mal als Streitschlichter an, nahm die Gelegenheit hoher religiöser Festtage zum Anlass zur Zusammenführung, stellte sich andererseits aber in seinen Positionen meist deutlich hinter Samir Geagea. Das gilt in besonderem Maße für das Verhältnis zu Syrien.
In diesen Tagen wird diese Spaltung so offenbar wie kaum zuvor. Der höchste speziell maronitische Feiertag im Gedenken an den Heiligen Maroun wird zum Hintergrund des innermaronitischen Zwists. Zum 1600. Mal jährt sich der Todestag des Mönches, aus dessen Gefolgschaft sich die maronitische Kirche entwickeln sollte. Geagea und Sfeir begehen den religiösen Gedenktag in Beirut - und verurteilen Michel Aoun aufs Äußerste, schließlich pilgerte dieser, mitsamt seinen FPM-Parlamentariern, nach Aleppo. Sfeir wirft Aoun vor, den Festtag zu missbrauchen, um seinem "neuen Herren" Baschar al-Assad Tribut zu zollen. Aoun hingegen weist auf die Ursprünge der Maroniten im heute syrischen Orontes-Tal hin, beschwört das "Jahrhunderte alte Erbe des levantischen Christentums".
Beide Seiten nutzen den religiösen Anlass für die eigene politische Positionierung und versuchen sich, über klassische Symbolpolitik zu profilieren. Ganz unrecht hat Aoun dennoch nicht, wenn er aus dem kleinen Bergdorf Brad bei Aleppo, dem Sterbeort des Heiligen Maroun, auf die lange Tradition des levantinischen Christentums hinweist, die der modernen Staatbildung des 20. Jahrhunderts vorausging. Damit einher gehen zwei verschiedene Narrative maronitisch-christlicher Identität, die sich Aoun und Geagea zu eigen gemacht haben: Geagea steht für ein Christentum, das sehr auf die Gemeinschaft der Maroniten und territorial auf den heutigen Libanon fokussiert ist. Das Libanongebirge als Refugium der wehrhaften Gemeinschaft und Keimzelle des modernen libanesischen Staates sind identitäre Eckpfeiler für Geagea und die Ideologie der Lebanese Forces.
Aoun hingegen fordert diese Konzeption seit einigen Jahren heraus. Der "Général" sieht die Maroniten als integralen Teil des orientalischen Christentums, zusammen mit den Griechisch, Syrischen und Armenischen Christen, deren Bezugspunkt eben nicht die moderne Staatengründung des Libanon, sondern die historische Kulturlandschaft Syrien bzw. die Levante ist. Beide Konzepte sind im Grunde unterschiedliche Antworten auf die Frage, wie das Christentum im islamisch dominierten Orient am besten überleben kann, Aoun und Geagea gerieren sich zu deren Repräsentanten.
Soviel tagespolitische, strategische und identitäre Überfrachtung lässt den eigentlichen religiösen Anlass fast vergessen. Rituelles Gedenken, spirituelle Einkehr - all das kommt bei Feiertagen wie "Mar Maroun" immer kürzer. So ist es kaum verwunderlich, wenn in den maronitischen Kirchen zum Festgottesdienst sich fast nur die älteren Semester einfinden und mit religiöser Inbrunst alte aramäische Kirchenlieder intonieren oder im mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen das Vaterunser beten. Währenddessen positioniern sich die wenigen Jugendlichen meist verstohlen in den hinteren Reihen, viele haben vielleicht noch den Kater der letzten Nacht ausgeschlafen, schließlich ist "Mar Maroun" im Libanon auch ein gesetzlicher Feiertag. Ihr Ort zum Ausdruck ihrer religiösen Identität ist nicht der Gottesdienst in der Kirche, sondern die Demonstration ihrer Partei auf der Straße, das Gedenken an die Märtyrer aus dem Krieg, die Rede ihres Führers.
Um einen kleinen Eindruck vom religiösen Gehalt des "Mar Maroun" - Tages zu vermitteln, habe ich ein paar Videos vom Gedenkgottesdienst in der Beiruter Mar Maroun-Kathedrale hochgeladen, den ich 2009 besucht habe. Zu hören und zu sehen sind u.a. aramäische und arabische Kirchenlieder und das Vaterunser.
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