Am 7. März wählte der Irak ein neues Parlament. Die Auszählung der Stimmen zog sich über Wochen hin, dann stand fest: Wahlsieger ist die Iraqiyya-Liste, angeführt vom ehemaligen Premierminister, dem Schiiten Iyad Allawi. Sein Bündnis errang zwei Mandate mehr als die Rechtsstaatsliste des amtierenden Regierungschefs Nuri al-Maliki. Die drittmeisten Stimmen konnte die Nationale Irakische Allianz, ein Bündnis des Schiitenpredigers Muqtada al-Sadr und des Obersten Islamischen Rates im Irak, verbuchen. Bis zur Bildung einer stabilen Regierung und der Vereidigung eines neuen Premiers dürften noch einige Wochen vergehen und gegenwärtig scheint noch vollkommen offen, wer die Regierung künftig führen wird. Aus diesem Grund soll der Fokus unserer Analyse zunächst auf das Wahlergebnis und mögliche Gründe für das Abschneiden der einzelnen Listen bei den Wahlen gerichtet sein.
Warum hat Allawis Bündnis die Wahlen gewonnen?
Nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahre 2003 rückte Iyad Allawi erstmals ins Licht der internationalen Öffentlichkeit. Zunächst wurde er Mitglied der von den USA eingesetzten Übergangsregierung, im Mai 2004 wurde er an ihre Spitze gewählt. Bei den Wahlen für ein irakisches Übergangsparlament im Januar 2005 errang seine Liste 14% der Stimmen, im Dezember desselben Jahres erhielt sein Bündnis bei den ersten regulären Parlamentswahlen nach Saddams Sturz 8%. Bei vielen Irakern setzte sich in diesen Jahren das Bild von Allawi als einer willfährigen Marionette der Amerikaner fest. Die politische Laufbahn des heute 65-Jährigen, die in den 1950er Jahren in der Baath-Partei begann, schien beendet. Erst 2009 tauchte Allawi wieder vermehrt auf der politischen Bühne auf. Im Vorfeld der Parlamentswahl 2010 schmiedete er ein konfessionsübergreifendes Bündnis, an dem unter anderem der sunnitische Vizepräsident Tariq al-Hashemi und der Chef der stärksten sunnitischen Fraktion im Parlament Salih al-Mutlaq beteiligt sind. Die Liste unter dem Namen „al-Iraqiyya“ (die Irakische) richtet sich zum Einen an Iraks Sunniten, die sich seit dem Ende der Baath-Diktatur von der schiitisch-dominierten Regierung vernachlässigt fühlen, zum Anderen aber auch an Schiiten, die sich weder von der nationalistischen Rhetorik Malikis noch von der strikten Religiosität der Sadristen und ihrer Verbündeten angesprochen fühlen. Dadurch wurde Allawis Bündnis für all jene Iraker attraktiv, die eine konfessionsübergreifende Politik befürworten. Regierungschef Maliki konnte zwar für sich verbuchen, die Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes zu verbessern, ein Image als nationaler Premierminister aller Iraker baute er dabei jedoch nicht auf. Davon hat Iyad Allawi maßgeblich profitiert, dessen Bündnis als einziges sowohl von Sunniten als auch von Schiiten in großer Zahl gewählt wurde. Zu den Hochburgen der Iraqiyya zählten neben der Hauptstadt Bagdad, wo das Bündnis nur knapp hinter der Maliki-Liste landete, unter anderem die Provinz Nineveh mit ihrem Zentrum Mossul, sowie Anbar, jene Provinz, die nach Saddams Sturz zeitweise quasi unter der Kontrolle der al-Qaida stand.
Wie hat Muqtada al-Sadrs Bewegung abgeschnitten?
Mit den Parlamentswahlen 2010 scheint sich die Sadr-Bewegung endgültig in der politischen Landschaft des Irak etabliert zu haben. Bei den letzten Wahlen 2005 stellte die Bewegung keine eigenen Listen auf. Mehrere Politiker, denen Verbindungen zu Sadrs Mahdi-Armee nachgesagt wurden, zogen jedoch über andere Bündnisse ins Parlament ein. In den letzten Jahren drängte die Sadr-Bewegung mehr und mehr auf die politische Bühne. So beteiligte sie sich im vergangenen Jahr mit verschiedenen Listen an den Regionalwahlen im Irak, bei denen sie landesweit den dritten Platz belegte. Für die Wahlen im März schlossen sich die Sadristen mit mehreren schiitischen Parteien zur Nationalen Irakischen Allianz zusammen, die namhafteste unter ihnen der Oberste Islamische Rat im Irak (ISCI), der seit seiner Gründung in den 1980er Jahren von der schiitischen Theologenfamilie al-Hakim angeführt wird. Beide Gruppen stellten gemeinsame Kandidatenlisten auf. Der Blick aufs Wahlergebnis zeigt, dass die Mitglieder der Sadr-Bewegung deutlich beliebter waren als die Kandidaten des ISCI. Bei dieser Wahl hatten die Iraker nämlich erstmals die Möglichkeit, sich für einen beliebigen Kandidaten einer Liste zu entscheiden, unabhängig von dessen Listenplatz. Von den 70 Mandaten, die die INA insgesamt gewann, entfallen 39 auf Kandidaten der Sadr-Bewegung und nur 17 auf ISCI-Kandidaten. In fast allen schiitischen Wahlbezirken schnitten die Sadristen besser ab als ihre Mitbewerber, besonders auffällig ist dies in Bagdad, wo Sadrs Kandidaten 12, die ISCI-Bewerber nur 2 Sitze erringen konnten. Dieses Ergebnis ist die Folge der jahrelangen Basis-Arbeit des weitverzweigten Sadr-Netzwerkes. Mit Hilfe sozialer Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser und dem Aufbau effizienter Parallelstrukturen zum Staat, der bis zur Aufstellung eigener Sicherheitskräfte reicht, hat sich die Sadr-Bewegung mittlerweile fest etabliert. Parallelen zur Entwicklung der Hizbollah im Libanon Ende der 1980er/Anfang 1990er Jahre sind nicht zu übersehen. Beide Bewegungen profitieren zum Einen von einem durch Bürgerkrieg und Konfessionalismus geschwächten Staat und zum Anderen von iranischer Unterstützung. Ob Muqtada al-Sadr das Format eines Hassan Nasrallah hat, werden die nächsten Jahre zeigen. In jedem Fall versinnbildlicht Sadrs Erfolg eine Umgewichtung schiitischer Machtzentren im Irak. Besonders die südirakische Stadt Basra, in der Sadrs Bewegung bei den Wahlen einmal mehr ihre unumstrittene Vorherrschaft unterstrich, steigt zum führenden Pol und zugleich wichtigsten Verbindungspunkt nach Teheran auf. Das geht vor allem auf Kosten des religiösen Zentrums Najaf. Zwar war der ISCI ursprünglich ein Resultat khomeinistischen Revolutionsexport, mittlerweile aber ist Sadrs Bewegung der wichtigste Partner Teherans im Irak. Die vier Großayatollahs al-Sayyid 'Ali Husayni Sistani, al-Shaykh Muhammad Ishaq Fayyad, al-Shakyh Bashir Husayn Najafi, und al-Sayyid Muhammad Sa'id al-Hakim, haben, ohne eine konkrete Wahlempfehlung abzugeben, alle zur aktiven Teilnahme am Urnengang aufgerufen Die vier Großayatollahs spielten als moralische Autoritäten beim Aufbau des politischen Prozesses im Irak eine entscheidende Rolle. Zudem betrachteten sie die von religiösen Laien dominierte Sadr-Bewegung mit Skepsis und standen dem ISCI als klerikalem Gegenstück um einiges näher. Gerade Großayatollah Ali Sistani trug im Vorfeld der Wahlen 2005 entscheidend zur Legitimität des politischen Systems und seiner Mechanismen bei, gleichzeitig verkörperte gegenüber dem Iran die Unabhängigkeit und den Einfluss des religiösen Zentrums Najaf auch in politischen Fragen. Schon 2005-2007 aber konnte Sistani den sunnitisch-schiitischen Bürgerkrieg nicht bremsen, 2010 war er in der Öffentlichkeit so gut wie gar nicht mehr präsent – sicher ein Resultat des sich verschlechternden Gesundheitsstandes des 79-Jährigen. Sollten Sistani und seine nicht weniger betagten Kollegen bald sterben, würde Najaf einen schweren Bedeutungs- und Autoritätsverlust erfahren. Lokal würde Basra die Vorherrschaft endgültig übernehmen, regional Qom und Teheran, beides verkörpert im Aufstieg von Muqtada al-Sadr. Der Wahlsieg des 36-Jährigen hat diese Entwicklung deutlich zu Tage treten lassen und weiter beschleunigt.
Wie haben die Kurden abgestimmt?
Wie bei den Parlamentswahlen 2005 bildeten auch in diesem Jahr die großen kurdischen Parteien PUK und KDP eine gemeinsame Liste. Wie vor fünf Jahren konkurrierte auch diesmal ein Bündnis islamistischer Gruppierungen um die Stimmen der Kurden. Neu hinzu kam jedoch eine Bewegung, die schon bei den Regionalwahlen 2009 den Alleinvertretungsanspruch der beiden etablierten Parteien herausforderte. Die Gorran-Bewegung konnte bei den Provinzwahlen knapp ein Viertel der Mandate gewinnen. Bei der landesweiten Parlamentswahl im März bewies das Bündnis, dass der Erfolg keine Eintagsfliege war. Aus dem Stand konnte Gorran 8 Mandate im Parlament gewinnen. Besonders erfolgreich war die Liste im Gouvernorat Suleimaniyeh, wo man 6 von 17 Sitzen errang. PUK und KDP büßten im Vergleich zu 2005 insgesamt zehn Mandate ein. Dies lag jedoch nicht nur am Wahlerfolg von Gorran und leichten Zuwächsen für die kurdischen Islamisten, sondern auch an einer veränderten Sitzverteilung in den einzelnen Provinzen. Landesweit verloren beide Parteien zusammen jedoch gegenüber 2005 knapp 6% der Stimmen und erzielten insgesamt nur knapp über 15%. Vollkommen offen ist bis dato auch, ob die Kurden ihre angestrebte Rolle als „Königsmacher“ ausspielen können. Auf Grund der geringeren Mandatszahl im Parlament ist es gut möglich, dass die kommende Regierung ohne Beteiligung der beiden großen Kurdenparteien gebildet wird.
Wen wählten die arabischen Sunniten?
Klarer Wahlsieger bei den sunnitischen Arabern wurden die sunnitischen Bündnisgenossen von Iyad Allawi. In den sunnitischen Provinzen Anbar, Salaheddin, Diyala und Ninawa konnte die Iraqiyya-Liste teilweise mit großem Vorsprung den Sieg für sich verbuchen. So errang das Bündnis in Anbar 11 von 14 und in Salaheddin 8 von 12 Mandaten. Großer Wahlverlierer wurden in diesen Provinzen die Listen, die aus den sogenannten Erweckungsräten hervorgingen, die seit 2007 mit amerikanischer Unterstützung gegen Al-Qaida in den sunnitischen Gebieten gekämpft hatten. Insgesamt konnten diese „Einheitsliste“ in den sunnitischen Landesteilen lediglich vier Parlamentssitze gewinnen. Offenbar haben es die Erweckungsräte zwar geschafft die Sicherheitslage in den sunnitischen Provinzen zu verbessern, es ist ihnen jedoch nicht in gleicher Weise gelungen, die Wirtschaftslage zu verbessern. Außerdem beschädigten Korruptionsvorwürfe gegen ihre Anführer und interne Spannungen die Wahlchancen der von sunnitischen Stammesführern getragenen Bündnisse.
Welche Rolle spielt al-Qaida nach den Wahlen noch?
Der selbst ernannte „Islamische Staat Irak“ bekämpft seit Jahren nicht nur den politischen Prozess im Land, sondern verfolgt auch den Anspruch ein staatliches Gegenmodell zu etablieren. Seine Hochzeit erlebte das Bündnis verschiedener sunnitisch-salafistischer Gruppierungen unter nomineller Führung von al-Qaida von etwa 2005 bis 2007. Seitdem hat al-Qaida allerdings stetig an Bedeutung und Einfluss im Irak verloren. Am 12. Februar 2010 rief Abu Umar al-Baghdadi, selbst ernannter Emir des „Islamischen Staates Irak“, in einer Audiobotschaft zum Boykott des Urnengangs auf und drohte mit massiven Anschlägen. All dies geschah aus einer zunehmend defensiven Position heraus. Zwar wiederholte al-Baghdadi nochmals al-Qaidas Konzept einer Herrschaftslegitimation, die von Gott, und nicht dem Volk als Souverän, ausgeht, wirklich überzeugen kann das Terrornetzwerk damit aber kaum noch jemanden. In den Audiobotschaften der al-Qaida-„Zentrale“ spielten die Parlamentswahlen ebenfalls nicht mehr die Rolle, wie noch zu Zeiten des 2006 getöteten „Statthalters“ Abu Musab Zarqawi. Trotz internationaler Befürchtungen war al-Qaida nicht in der Lage, die Parlamentswahlen 2010 zu verhindern, die Terrordrohungen im Vorfeld des Urnengangs zielten in erster Linie darauf, die Existenz al-Qaidas im Irak überhaupt wieder ins Erinnerung zu rufen. Das gelang dem Terrornetzwerk erst nach dem Wahlgang, als es in einer Serie von Anschlägen, die unter anderem auch die deutsche Botschaft ins Visier nahmen, die Hauptstadt Bagdad erschütterte. Die Fähigkeit, die öffentliche Sicherheit im Irak immer wieder zu gefährden, sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass al-Qaida im Irak beim überwältigenden Teil der Bevölkerung jegliche Legitimation verloren hat und kaum noch wichtige lokale Verbündete besitzt. Das Terrornetzwerk kann einzig darauf hoffen, dass unter der neuen Regierung wichtige sunnitische Gruppen entscheidend vom politischen Prozess und Ressourcenverteilung ausgeschlossen werden. Doch auch wenn die sunnitischen „Erweckungsräte“ den Test an der Urne nicht bestanden haben, ist es höchste unwahrscheinlich, dass sie zum status quo ante zurückkehren und sich mit al-Qaida verbünden, obgleich man mit derartigen Drohungen als rhetorisches Druckmittel in den Koalitionsverhandlungen der nächsten Wochen und Monaten durchaus rechnen muss.
Welche Rolle spielte der Streit um angeblich Baath-belastete Kandidaten?
Anfang des Jahres beschloss eine irakische Kommission den Ausschlus von knapp 500 Kandidaten, wegen tatsächlicher oder angeblicher Mitgliedschaft in der Baath-Partei oder dem Geheimdienst von Saddam Hussein. Der Großteil der ausgeschlossenen Bewerber waren Sunniten. Nach Boykottdrohungen sunnitischer Politiker drängten die USA auf eine Rücknahme des Beschlusses um die Sicherheit und die Legitimität der Parlamentswahl nicht zu gefährden. Dennoch blieben nach langem Hin und Her über 400 Kandidaten ausgeschlossen, unter ihnen Salih al-Mutlaq, als Chef der stärksten sunnitischen Fraktion im Parlament ein wichtiger Verbündeter Iyad Allawis. Die strenge De-Baathifizierungs-Kampagne war vor allem wahltaktisch motiviert. Mit Ahmad Chalabi und Ali al-Lami stehen der Kommission, die über die De-Baathifizierung der irakischen Politik wachen soll, zwei schiitische Politiker vor, die dem INA-Bündnis von Muqtada al-Sadr zugehören. Ziel des Ausschlusses war die Schwächung des säkularen Lagers um Iyad Allawi, der unangetastet blieb, obwohl er einst selbst der Baath-Partei angehört hatte. Unterstützt wurde das harte Vorgehen gegen ehemalige Baathisten von Premier Nuri al-Maliki, der somit nicht nur seinen alten Rivalen Allawi schwächen, sondern sich vor seinen Anhängern als konsequenter Aufarbeiter der Vergangenheit präsentieren wollte. Allerdings ist dieses Konzept nicht in dem Maße aufgegangen wie von den religiösen schiitischen Parteien erhofft. Der Umgang mit den gegenwärtigen Problemen des Irak war für viele Wähler entscheidender als eine nachträgliche Bestrafung von Baath-Mitgliedern.
Wie hoch war die Wahlbeteiligung?
Landesweit lag die Wahlbeteiligung bei etwa 62% und damit fast 18% niedriger als bei der Parlamentswahl im Dezember 2005. Dieser rückläufige Trend lässt sich in allen Provinzen registrieren. So sank die Beteiligung etwa in der südirakischen Provinz Maysan um 23% Prozent auf nur noch 50%, den niedrigsten Wert aller Wahlbezirke. Generell lag die Wahlbeteiligung in den südlichen Provinzen mit Werten zwischen 50 und 62% landesweit am niedrigsten. In Bagdad gingen 53% der Bürger zur Wahl, in den sunnitischen Hochburgen westlich und nördlich der Hauptstadt beteiligten sich zwischen 60 und 73% der Wahlberechtigten. In Arbil gingen zwar 76% der Bürger zur Wahl, doch auch dies bedeutet einen Rückgang um 19%. Generell war die Wahlbeteiligung in den kurdischen Provinzen mit 66 bis 80% zwar am höchsten, gleichwohl lag sie im Schnitt 10% unter den Werten von vor fünf Jahren. Auch dadurch lässt sich das schrumpfende politische Gewicht von PUK und KDP auf nationaler Ebene erklären.
Wer wird die neue Regierung bilden und neuer Premierminister?
Als Chef der stärksten Listenverbindung hat Iyad Allawi laut der irakischen Verfassung das Recht eine neue Regierung zu bilden. Allerdings lässt das Gesetz auch zu, dass sich nach der Wahl mehrere Listen zusammenschließen. Dadurch hat Nuri al-Maliki als knapp geschlagener Zweit-Platzierter noch immer die Möglichkeit einen kleineren Partner mit ins Boot zu holen und damit die Iraqiyya-Liste zu überflügeln. Schon dies lässt erahnen, dass dem Irak eine schwierige Regierungsbildung bevorsteht. Programmatisch und von den Personalien ihrer wichtigsten Figuren erscheint ein Bündnis zwischen Malikis Rechtsstaatsliste und der INA von Muqtada al-Sadr als naheliegendste Konstellation. Beide Verbindungen verfolgen einen islamistischen Kurs und haben in der Vergangenheit mehrfach zusammengearbeitet und Bündnisse geschmiedet. Allerdings kam es zum Bruch zwischen Maliki und Sadr, als der Regierungschef Anfang 2008 in Basra mit der irakischen Armee gegen Sadrs Mahdi-Armee vorgegangen war. Ein Streitpunkt zwischen Maliki und der INA ist zudem die Frage nach einer größeren Autonomie für die Südprovinzen. Während der Premier auf einen starken Zentralstaat setzt, fordern seine Kontrahenten mehr Unabhängigkeit, nicht zuletzt bei der Verteilung der Öl-Reserven. Zudem erklärte Sadrs Bündnisgenosse Ammar al-Hakim nach der Wahl, dass sein ISCI keine Regierung ohne Allawi eingehen werde, wodurch eine Koalition mit Maliki praktisch ausgeschlossen würde. Muqtada al-Sadr versuchte derweil mit einer publikumswirksamen „Premierministerwahl“ die Initiative an sich zu reißen. Er ließ seine Anhänger nach Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses über ihren gewünschen Regierungschef abstimmen. Dabei siegte Malikis Vorgänger Ibrahim al-Jaafari mit 24% der Stimmen knapp vor Muqtadas Cousin Jaafar al-Sadr (23%). Nuri al-Maliki erhielt 10, Iyad Allawi 9 Prozent. Auch wenn sich über eine Million Iraker an der Wahl beteiligt haben sollen, ist sie keinesfalls repräsentativ und transparent verlief sie ohnehin nicht. Der Schachzug dürfte eher der Versuch Sadrs sein, bei künftigen Koalitionsverhandlungen Zugeständnisse im Gegenzug zu einem Verzicht auf Jaafari abzutrotzen. Denn dass der ehemalige Regierungschef erneut zum Premier gekürt wird, erscheint höchst unwahrscheinlich.Mit seinem ehemaligen Parteifreund Maliki hat er im Streit gebrochen und eine Abspaltung der Dawa-Partei gegründet. Diese kandidierte auf den INA-Listen und erlebte bei der Wahl am 7. März ein Fiasko. Sie gewann nur einen einzigen Sitz – den gewann Parteichef Jaafari persönlich. Ein Führungsanspruch lässt sich dadurch aber kaum ableiten.
Ist der Irak doch noch auf dem Weg zum demokratischen Vorbild für die Region?
Die Parlamentswahlen haben unterstrichen, dass der Irak wichtige Schritte aus dem Chaos und Bürgerkrieg der ersten Jahre nach Saddams Sturz unternommen hat. Die Wahlen verliefen weitgehend frei und fair, auch wenn der Ausschluss hunderter Kandidaten die Legitimität des Urnenganges beschädigt hat. Dennoch bleibt unter dem Strich festzuhalten, dass die irakischen Wähler weitaus freier entscheiden konnten als fast alle anderen Bürger in der Region. Dabei trotzten sie auch den zahlreichen Anschlägen, die das Land am Wahltag erschütterten. Der Wahlerfolg der überkonfessionellen Iraqiyya-Liste gibt zudem zur Vermutung Anlass, dass die Iraker in wachsender Zahl eine Politik unterstützen, die über Konfessionsgrenzen hinweg Mehrheiten organisiert und die Probleme des Landes angeht. Dennoch scheint sich der Irak bei der Verteilung wichtiger Posten zunehmend am Proporzsystem im Libanon zu orientieren. So wie in Beirut die einzelnen Konfessionen angemessen an der Macht beteiligt werden, etabliert sich auch in Bagdad ein System, das die wichtigen Positionen zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden verteilt – Präsident bleibt der Kurde Jalal Talabani, der Parlamentschef wird wieder ein Sunnit sein und neuer Premierminister wird erneut ein Schiit - wie er heißt werden wir endgültig wohl erst in Monaten wissen.