Ihren Dokumentarfilm „Für Sama“ widmet die Filmemacherin und Aktivistin Waad al-Kataeb ihrer Tochter und den Helden*innen der syrischen Revolution. Dis:orient sprach mit ihr über die Entstehung des Films und ihre Botschaft an die Zuschauer*innen.
„Für Sama“ ermöglicht einen intimen Einblick in das Leben während der beginnenden Protestbewegung in Aleppo 2011 bis zur Belagerung und Kapitulation der Stadt 2016. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen dem Privaten und dem Politischen. War das eine bewusste Entscheidung?
In den ersten drei Monaten der Postproduktion hat das Team und ich viel darüber diskutiert, was im Fokus des Films stehen sollte. Ich wollte von Anfang an, dass er ein klares, politisches Statement ist und es darin um das geht, was in Aleppo passiert ist. Das Team wollte, dass ich und meine persönliche Geschichte im Fokus stehen. Nach einer Zeit habe ich darüber nachgedacht und gemerkt, dass weder das eine noch das andere ausschließlich der Fokus sein kann, sondern dass es beides sein muss. Genau das ist es was wir durchgemacht haben. Über zwei Jahre haben wir daran gearbeitet, die Balance zwischen den beiden Komponenten zu finden. Das Resultat ist ein sehr politischer Film über die Menschlichkeit und was es heißt, menschlich zu sein.
War dir von Anfang an klar, dass der Film nicht nur für dich selbst, sondern für eine größere Zuschauerschaft bestimmt ist?
Natürlich gab es Teile des Films, die ich für mich selbst aufgenommen habe. Der Großteil des Materials und der Grund weshalb ich gefilmt habe, war allerdings immer um festzuhalten, was in Syrien passiert. Ich habe mich 2011 den Protesten angeschlossen und von der ersten Sekunde an wurde die Kamera zu meinem ständigen Begleiter. Hätte es keine Revolution gegeben, hätte ich niemals über Filmen nachgedacht oder darüber einen Film zu machen. Die Revolution hat uns ermöglicht viele Dinge zu tun, die uns lange verwehrt gewesen waren. Für mich war es das Filmen, das Einzige was ich und so viele andere Aktivist*innen tun konnten, um uns dem Regime zu widersetzen und entgegen zu stellen. Die Kamera wurde zu unserer Waffe.
Dann erfuhrst du von deiner Schwangerschaft.
Als ich mit Sama schwanger war, habe ich die Kamera wieder zurück in mein persönliches Leben gebracht. In der Zeit habe ich gezielt angefangen Momente zu filmen, die Teil einer Geschichte sein könnten, aber die nicht meine Geschichte ist.
Wie haben die Menschen in deinem Umfeld darauf reagiert, dass die Kamera plötzlich auf sie selbst gerichtet war?
Von Hamza, meinem Mann, und meinen Freund*innen gab es gemischte Reaktionen auf meine Kamera. Sie verstanden sehr gut, warum ich ein Massaker filme oder Menschen, die verletzt ins Krankenhaus kommen. Aber sie verstanden nicht, weshalb ich sie beim Fußballspielen oder anderen Dingen filmte. Dabei hatte ich vorher keinen Plan gemacht, was ich warum filme. Ich habe mich vielmehr von meinem Gefühl leiten lassen, Schönes oder Komisches festzuhalten.
Hat sich das mit der Zeit verändert?
Ja, als mein Freund Ghaith ermordet wurde hat sich das Filmen für mich und alle anderen verändert. Nach seinem Tod habe ich mir das gesamte Material der letzten sechs Monate angeschaut. Mit seinem Verlust bekamen jede Sekunde und jedes Bild, das ich von ihm aufgenommen hatte, eine wahnsinnige Bedeutung. Als ich das Filmmaterial meinen Freund*innen dann im Krankenhaus zeigte, vergaßen wir für fünf Minuten, dass er gestorben war. In dem Moment haben wir alle gemerkt, wie wichtig es ist jeden einzelnen Moment festzuhalten. Von dem Moment an hatte ich die Kamera durchgehen eingeschaltet.
Eine weitere Besonderheit deines Films ist die weibliche Kriegsperspektive.
Dass mein Film durch meine eigene Perspektive und durch all die Frauen, die mich auf meinem Weg begleitet haben, einen weiblichen Fokus bekommt, hat sich natürlich ergeben. Es war aber nichts, über das ich vorher nachgedacht habe. Es ist so wichtig, weil die weibliche Perspektive in Filmen über Syrien oder den Nahen Osten selten zuvor gezeigt wurden. Ich glaube dadurch, dass ich die gleichen Erfahrungen gemacht habe wie jede andere Mutter überall auf der Welt; vom Schwangersein und den Ängsten und Sorgen einer Mutter um ihr Kind, können sich viele Frauen mit meiner Situation identifizieren.
Der Film hat in den letzten Monaten große internationale Aufmerksamkeit bekommen, besonders durch die Oscar-Nominierung. Wie geht es dir damit?
Die Aufmerksamkeit hat mir sehr viel Stärke und die Hoffnung gegeben, dass wir tatsächlich unsere Geschichte erzählen können und Leute darauf reagieren. Gleichzeitig war es auch schrecklich, die ganzen Tränen der Leute und die kleinen Gesten und Aktionen zu sehen, die nichts und absolut gar nichts an der Lebenssituation der Menschen in Syrien ändern. Es ist natürlich wichtig und großartig Solidarität und Mitgefühl zu bekommen. Aber ernsthafte Taten, die wirklich etwas verändern könnten, bleiben aus. Genau das versuche ich jetzt zu ändern und meinen Fokus auf Gespräche mit Politiker*innen, sowie politischen Entscheidungsträger*innen zu lenken.
Außerdem hast du die Spendenkampagne „Action for Sama“ gestartet. Was hat es damit auf sich?
Nach jeder Vorführung bekommen wir von den Menschen die gleiche Reaktion: „Was können wir tun?“ Also haben wir „Action for Sama“ gestartet, um diese Frage zu beantworten und den Menschen eine Plattform zu geben auf der sie zumindest einen kleinen Teil beisteuern können. Unsere Kernaussage ist dabei: „Stoppt das Bombardieren von Krankenhäusern!“. Solidarität mit den Helden*innen zeigen, die bis heute in Idlib dem Regime entgegentreten und die tagtäglich unfassbare Arbeit im Kampf für die Freiheit leisten, ist sehr wichtig. Weiterhin hoffen wir immer noch auf größere Aktionen, die mehr Veränderung bringen können.
„Für Sama“ läuft seit dem 5. März 2020 in den deutschen Kinos. Das Babylon Kino Berlin zeigt am 19./20. und 24. März 2020 außerdem Vorführungen in der Originalversion mit englischen Untertiteln.