07.12.2011
Die irakische Syrienpolitik – Stabilität statt Revolution

Seit acht Monaten versuchen die syrischen Sicherheitskräfte die Massenproteste gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad zu zerschlagen – ohne Erfolg. Während das repressive Vorgehen des Regimes eine Gewaltspirale auslöst, wird es für das Ausland immer schwieriger, eine Parteinahme in dem Konflikt zu vermeiden. Im vergangenen Monat hat sich schließlich auch die Arabische Liga gegen Assad gestellt. Als letzter der großen Nachbarn hält jetzt nur noch der Irak an seiner Neutralität fest. In Bagdad sieht man dafür gute Gründe. Ein Beitrag von Hauke Feickert

Am 27. November 2011 sprachen sich die Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga für Sanktionen gegen Syrien aus. Von den 21 Vertretern enthielten sich allein die Gesandten des Libanon und des Iraks. Die Neutralität der beiden Nachbarstaaten macht deutlich, dass die Isolation der syrischen Regierung in der Region misslungen ist. Insbesondere die Verweigerung Bagdads, sich an den Sanktionen zu beteiligen, ist von großer Bedeutung: Über die gemeinsame Grenze können weiterhin Geld und Waffen bezogen werden, die für den Kampf um die politische Kontrolle wichtig sind.

Ausgangspunkt dieser Hilfslieferungen für Baschar al-Assad ist dessen iranischer Verbündeter, der gleichzeitig ein wichtiger Partner für die Regierung in Bagdad ist. Dass diese Partnerschaft das irakische Abstimmungsverhalten in der Arabischen Liga beeinflusst hat, wies dessen Außenamt jedoch zurück. Der Irak möchte die Neutralitätserklärung vielmehr als Zeichen der Unabhängigkeit verstanden wissen. Außenminister Hosny Zebari erklärte, der Irak folge seine eigenen Interessen.

Dazu gehörten die wichtigen ökonomischen Kontakte. Weiter betonte der Minister, dass ein Abbruch der Beziehungen mit Syrien zu Lasten der irakischen Diaspora gehen würde. Mehrere hunderttausend Bürger seien als Flüchtlinge im Nachbarland. Tatsächlich hat der Irak in diesem Jahr die Wirtschaftskooperation mit Syrien kräftig ausgebaut. Im Januar wurden Reiseerleichterungen beschlossen, die den Grenzhandel beleben sollen. Bereits jetzt gehen 30 Prozent der syrischen Exporte an den östlichen Nachbarn. Im Juli schloss der Irak mit Syrien und dem Iran ein Geschäft über den Bau einer Gaspipeline ab, in das zehn Milliarden US-Dollar investiert werden sollen.

Bagdad fürchtet den Kontrollverlust an der Westgrenze

Zweifelhaft ist indes, dass das Schicksal der irakischen Flüchtlinge, die sich seit 2003 in Syrien aufhalten, großen Einfluss auf das Abstimmungsverhalten in der Arabischen Liga hatte. Schon 2009 hatte Bagdad die diplomatischen Kontakte zu Damaskus für ein Jahr abgebrochen, ohne auf die prekäre Lage vieler Flüchtlinge Rücksicht zu nehmen.

Ein weit wichtigerer Grund, den Außenminister Zebari indes unerwähnt ließ, muss hingegen in den gemeinsamen Sicherheitsinteressen gesehen werden. Seit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings sorgen sich Syrien und Irak um den Einflussgewinn sunnitischer Islamisten. Beide Länder fürchten, dass gewaltbereite Dschihadisten, unterstützt durch Al-Qaida im Irak, die gemeinsame Grenzregion destabilisieren könnten. In der Folge könnte dem Irak die Kontrolle über seine Westprovinzen entgleiten.

Um die Auswirkung des grenzüberschreitenden Terrorismus zu unterbinden, verbesserte der Irak daher im Lauf des Jahres seine Sicherheitskontrollen an der Grenze und lieferte Informationen und Technologien nach Syrien. Die gemeinsame Furcht vor sunnitischen Islamisten ist damit ein zentraler Punkt für das irakische Kalkül, sich nicht an einer Schwächung des syrischen Regimes zu beteiligen.

In diese Überlegungen spielt auch die Sorge über den Einfluss der arabischen Golfscheichtümer hinein. In Bagdad ist man sich bewusst, dass die Golfstaaten die Regierungsübernahme von schiitisch-religiösen Parteien nach 2003 ablehnten. Deren sunnitische Herrschaftselite nahm dies als Machtausweitung des Irans und als Schwächung ihrer Konfession wahr. Diese ablehnende Haltung der Golfstaaten weckte im Irak wiederum bei den schiitisch-religiösen Parteien die Befürchtung, die Scheichs könnten sunnitische Oppositionsparteien unterstützen, um erneut einen Regimewechsel herbeizuführen.

Für die irakische Regierung lässt sich die Lage in Syrien in ein ähnliches Muster einordnen. Die Furcht, selbst zum Spielball im regionalen Machtpoker zwischen den sunnitischen Golfscheichtümern und der schiitischen Theokratie im Iran zu werden, macht eine Kooperation mit Syrien verständlich. Warum der Irak dann aber nur eine neutrale Haltung bei der Abstimmung in der Arabischen Liga einnahm und die Isolation Syriens nicht rundweg ablehnte, ist auf die prekäre innenpolitische Lage im Land zurückzuführen.

Eine neutrale Haltung, um die Regierung zusammenzuhalten

Dort ist die Allparteienregierung von Premierminister Nuri al-Maliki auf den Konsens unter seinen Koalitionspartnern angewiesen. Da diese jedoch völlig unterschiedliche Meinungen halten, war kein Kurs möglich, der den Wunsch des Irans oder der Golfscheichtümer voll unterstützte. So kritisierte der schiitische Parteienblock, die »Nationale Allianz«, die Krise im Nachbarland als »westliche Verschwörung«. Dagegen erklärten der sunnitisch-dominierte Block, die »Iraqiyya«, und die »Kurdische Allianz« ihre Solidarität mit den syrischen Protesten. Eine neutrale Haltung in der Arabischen Liga versprach daher den geringsten Schaden zwischen den Koalitionspartnern anzurichten, ohne dass die Kooperation mit Syrien eingestellt werden musste.

Ihre wohlwollende Haltung gegenüber Syrien legitimierten die schiitischen Regierungsparteien letztlich mit dem Kampf gegen Israel. Bereits im August sprach Premierminister Nuri al-Maliki davon, dass allein die »Zionisten und Israel die ersten und größten Profiteure« der Unruhen in den arabischen Ländern seien. Sein populärer Koalitionspartner Muqtada al-Sadr rief die syrischen Demonstranten sogar dazu auf, mit ihrer Regierung zu kooperieren, da Präsident Assad ja immerhin gegen den amerikanischen und israelischen Einfluss stehe. Angesichts der unbedeutenden Rolle, die Israel in den demokratischen Revolutionen spielte, scheint der altbekannte Appell zur Wahrung der Einheit aber wenig berechtigt zu sein. Vielmehr scheint er die eigenen Sicherheitsinteressen zu verschleiern.

Dass die irakische Regierung den Aufstand in Syrien selbst als Teil eines regionalen und internen Konflikts zwischen Schiiten und Sunniten wahrnimmt, macht auch die Haltung gegenüber Bahrain deutlich. Die dortigen Proteste der schiitischen Bevölkerungsmehrheit wurden im Sommer von Truppen aus Saudi-Arabien erstickt. Sollte die Arabische Liga versuchen, weitere Maßnahmen gegen Syrien bei den Vereinten Nationen durchzusetzen, würde der Irak im Gegenzug eine Untersuchung der Ereignisse in dem kleinen Golfscheichtum verlangen, ließ Saad al-Matlabi, ein Vertrauter von Nuri al-Maliki, in einem Interview durchblicken.

Im Endeffekt droht der syrische Konflikt zu einer immer größeren Einmischung aller Nachbarstaaten zu führen. Die irreführenden Behauptungen von Baschar al-Assad, die Proteste in seinem Land seien vom Ausland initiiert worden, drohen so zunehmend zu einer Realität zu werden. Insbesondere die Initiativen aus dem Iran und aus den Golfscheichtümern könnten zu einem blutigen Patt in Syrien führen. Für den Irak bedeutet der Konflikt, dass er vorübergehend nicht mehr im unmittelbaren Fokus des regionalen Machtkonflikts steht.