Irak – zehn Jahre danach. Als am 20. März 2003 amerikanische und britische Truppen den Irak angriffen und binnen weniger Tage den lange gefürchteten Diktator Saddam Hussain stürzten, war der Enthusiasmus über den schnellen Sieg groß: Demokratie sollte herrschen im Zweistromland. Doch Anarchie und die Vorzeichen eines Bürgerkriegs zeigten in den darauf folgenden Jahren, dass eine Diktatur nicht mit dem Sturz des Diktators fällt. Dabei prägen die fundamentalen Fehler amerikanischer Politik zu Anfang der Invasion den Irak weiter nachhaltig auf gesellschaftlicher und politischer Bühne. Wie also sieht die Lage zehn Jahre danach aus, was bleibt vom Versprechen, Demokratie ins Zweistromland zu bringen? Diese Fragen thematisieren wir in den kommenden Tagen durch verschiedene Beiträge in unserem Alsharq-Irak-Fokus.
Im ersten Teil werfen wir einen Blick auf die internen Diskussionen der damaligen Bush-Regierung im Vorlauf des Krieges und zeigen die fatalen Konsequenzen der kontroversen Planung für die Intervention auf.
Ein Gastbeitrag von Hauke Feickert
Vor rund zehn Jahren startete US-Präsident George W. Bush den Irakkrieg, um den irakischen Diktator Saddam Hussein zu stürzen. Bis heute geben die Kriegsgründe und die Angriffspläne der USA Rätsel auf. Doch die Offenlegung von Streitigkeiten in Bushs Regierungsteam und die Rechtfertigungsversuche seiner Mitarbeiter haben in den letzten Jahren neue Erkenntnisse über die internen Diskussionen des Bush-Kabinetts in der Zeit vor dem Krieg geliefert.
Bis heute ist umstritten, warum die USA im März 2003 den Irak angriffen. Von einer reinen Machtdemonstration der USA ist die Rede und der Fixierung auf den Lieblingsgegner Saddam Hussein. Aber auch ein Vater-Sohn-Psychodrama in der Familie Bush oder die Gier nach irakischem Öl werden gerne als Kriegsgründe angeführt. Angefeuert wurden solche zwischen Komplexität und Vereinfachung schwankenden Erklärungen zunächst durch die intransparente Kommunikation der US-Regierung.
Nach der erfolgreichen Eroberung des Iraks, als sich der offizielle Kriegsanlass – der unerlaubte Besitz von Massenvernichtungswaffen durch den Irak – als Falschbehauptung herausstellte, wurden solche Mutmaßungen bestärkt. Der Eindruck verdichtete sich, die Regierung habe bereits lange vor dem 11. September 2001 eine Konfrontation mit dem Irak angestrebt und die Sorge um die Massenvernichtungswaffen und Terroranschläge nur ausgenutzt, um den Krieg zu beginnen. Die Bush-Regierung habe diesen mit gewohnter Selbstsicherheit und Beratungsresistenz vorbereitet und dabei keine Pläne für die Stabilisierung und Neuordnung des Iraks ausgearbeitet.
Tatsächlich zeigen die veröffentlichten Quellen ein anderes Bild. Aus den inzwischen freigegebenen Regierungspapieren, parlamentarischen Untersuchungsberichten wie dem 9/11-Report, Interviews und Memoiren der Beteiligten lassen sich wesentliche Aspekte der Vorkriegsphase - der Zeitpunkt der Kriegsentscheidung, Streitigkeiten im Regierungsteam, die Kriegsgründe von Präsident Bush und die Diskussion um Nachkriegspläne - genauer erschließen. Die Theorien über einen vorschnellen Entschluss für den Krieg werden so ebenso entkräftet wie viele der mutmaßlichen Kriegsgründe. Auch der Eindruck, dass es an internen Diskussionen und Nachkriegsplänen mangelte, lässt sich nicht aufrecht halten.
Schon vor dem 11. September war der Irak ein Thema
Für George W. Bush war der Irak bereits im Präsidentschaftswahlkampf 1999/2000 ein Thema. Gut ein Jahr vor dem Beginn der Wahlkampagne war das Land durch den Abbruch der internationalen UN-Waffenkontrollen in die Schlagzeilen geraten. Die Clinton-Regierung reagierte damals mit dem Beschuss militärischer Anlagen, während der US-Kongress den Sturz von Saddam Hussein in einem symbolischen Akt per Gesetz zum Ziel erhob. Die Politik von Kontrollen und Sanktionen, die den Diktator seit 1991 zur Offenlegung seiner atomaren, biologischen und chemischen (ABC-) Rüstungsprogramme und Waffenbestände zwingen sollte, schien gescheitert zu sein. Dementsprechend ließ Bush im Wahlkampf auch erkennen, dass es unter seiner Präsidentschaft eine Neuausrichtung der Irakpolitik geben würde. So wurde der Irak zwischen seinem Amtsantritt im Januar 2001 und den Terroranschlägen vom 11. September zum dominierenden Thema in den Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats (NSC).
Streit zwischen Rumsfeld und Powell blockiert die Irakpolitik
Doch trotz der raschen Konzentration auf den Irak kam in der Bush-Regierung keine Einigkeit über ein klares Vorgehen zustande. Vielmehr blieb das Kabinett in der Frage von neuen Sanktionen oder möglichen Militärmissionen gespalten. Dies wurde bereits in der NSC-Sitzung am ersten Februar 2001 deutlich: Während Außenminister Colin Powell ein Konzept für die Reform der Sanktionen vorstellte, warf Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein, die USA sollten nicht in einer Eindämmungspolitik verharren, sondern versuchen, Saddam Hussein zu stürzen. Dies würde ein klares Signal gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen setzen und den ganzen Mittleren Osten verändern. Powell und CIA-Chef George Tenet erwiderten, die Chance für einen inneren Regimewechsel sei gering. Dagegen führte Rumsfeld an, die USA könnten die irakischen Oppositionskräfte militärisch unterstützen, um den Diktator zu stürzen.
In einer NSC-Sitzung im April 2001 ergänzte Rumsfelds Stellvertreter, Paul Wolfowitz, vom Irak gehe auch durch seine Kontakte zu Terroristen eine Bedrohung aus. Trotz der Einwände der CIA, Saddam Hussein unterstütze keinen Terrorismus, der sich direkt gegen die USA richte, behauptete Wolfowitz fälschlicherweise, dass der Diktator hinter dem al-Qaida-Anschlag auf das World Trade Center von 1993 gestanden habe. In weiteren NSC-Treffen im Sommer 2001 drängte der Vizeverteidigungsminister auf signifikante Maßnahmen gegen Saddam Hussein. Die USA sollten insbesondere die Exiliraker des OppositionspolitikersAhmed Chalabi dabei unterstützen, einen Aufstand im Nord- und Südirak auszulösen. Dies wurde von Außenminister Powell zurückgewiesen, da Chalabi mit seinem Plan bereits in den 90er Jahren gescheitert war und wenig vertrauenswürdig sei.
Auch nach 9/11 setzte sich die Uneinigkeit der Regierung fort. Auf der NSC-Sitzung vom 12. September behauptete Paul Wolfowitz, dass ein staatlicher Unterstützer hinter dem Terrornetzwerk von al-Qaida stehen müsse – möglicherweise der Irak. Donald Rumsfeld drängte deshalb darauf, den Irak in den neuen „Krieg gegen den Terror“ einzubeziehen. Präsident Bush stimmte jedoch dem Argument von Colin Powell zu, dass ein Irakkrieg von der Auseinandersetzung mit al-Qaida und Afghanistan ablenken würde. Zugleich wies er allerdings den Geheimdienst an, mehr über eine mögliche Verbindung zwischen Saddam Hussein und Osama bin Laden herauszufinden. Auf der entscheidenden NSC-Sitzung vom 15./16. September bestätigte George W. Bush erneut die Ausrichtung auf Afghanistan, erklärte aber, er glaube an eine Mittäterschaft des Iraks am 11. September.
George W. Bush war vom Bündnis zwischen Irak und al-Qaida überzeugt
Die US-Regierung war somit von Anfang an auf den Irak als Gegner fixiert. Einen Militäreinsatz plante man aber nicht unmittelbar, da George W. Bush noch keinen Grund für einen Krieg sah. Erst nach dem 11. September erschien der Irak für Bush als eine akute Gefahr: Er hielt es für wahrscheinlich, dass die säkulare irakische Diktatur mit islamistischen Terroristen zusammenarbeitete. Diese Verbindung wurde von den US-Geheimdiensten zwar nicht gestützt. So machte die CIA in einem Bericht vom 20. September deutlich, dass es keine Hinweise auf ein solches Bündnis gebe und eine Kooperation der ideologischen Kontrahenten auch wenig wahrscheinlich sei. Dennoch drängten George W. Bush und Vizepräsident Dick Cheney die Nachrichtendienste beständig dazu, Mutmaßungen und vermeintlichen Beweisen über eine Verbindung nachzugehen. In der Folge verlagerte sich die Diskussion zunehmend darauf, wie der Sturz Saddam Husseins organisiert werden könnte.
Zweifel im Außenministerium an der Durchführbarkeit des Krieges
Im Außenministerium wies man damals einen Krieg als Reaktion auf mutmaßliche Terrorkontakte von Saddam Hussein zurück. Dabei befand sich das Ministerium von Anfang an in der Defensive: So wurde Außenminister Powell bereits im Dezember 2001 von der Präsentation neuer militärischer Pläne für einen Konfliktfall mit dem Irak überrumpelt. In der Folge versuchte er die Durchführbarkeit der Militärplanung in Frage zu stellen. Schließlich verlagerte man die Kritik auf die Machbarkeit eines geordneten politischen Neubeginns nach Saddam Hussein. Auf den NSC-Sitzungen im Juni und Juli 2002 stritten Vizeaußenminister Richard Armitage und Paul Wolfowitz über das Vorhaben, unmittelbar nach dem Krieg eine Übergangsregierung aus Oppositionspolitikern um Ahmed Chalabi in Bagdad zu installieren. Armitage argumentierte, dass die Exiliraker regierungsunfähig und illegitim seien, da sie über keine reale Gefolgschaft im Irak verfügten. Der geplante Blitzfeldzug würde somit eine langjährige Fremdbesatzung erzwingen, in der die USA das Land verwalten und politisch neu ordnen müssten.
Am fünften August 2002 besprach Colin Powell mit Präsident Bush diese Perspektive bei einem privaten Treffen. Dabei verwies er wiederholt auf die Verantwortung der USA für einen geordneten Neubeginn im Irak. Zudem hob der Minister hervor, dass ein Alleingang der USA gegen den Irak hohe Kosten verursachen würde und schlug die Einbindung der UNO vor, um die Last des Krieges zu teilen und dessen Legitimation zu erhöhen. Dies ließe sich erreichen, wenn die US-Regierung beweisen könnte, dass Saddam Hussein die Kontrollen der UNO ignoriere und eine gefährliche Wiederaufrüstungspolitik betreibe. Nach Aussage von Richard Armitage erhoffte sich Colin Powell davon eine Verzögerung des Irakkonflikts bis nach den Präsidentschaftswahlen von 2004.
Powell sucht Kriegslegitimation in der UNO
Der Präsident ließ sich von Powell überzeugen. Über den Herbst und Winter 2002 verfolgten die USA somit eine doppelte Strategie, mit der ein Krieg vorbereitet und gleichzeitig eine diplomatische Lösung in Aussicht gestellt wurde. Innerhalb der Administration verbreitete dies neue Unsicherheit. Die Kriegsbefürworter drängten auf Eile. So ließ Dick Cheney Bush bei einem privaten Abendessen wissen, dass er keine Zeit mehr für Diplomatie sehe. Zur gleichen Zeit verweigerte sich Verteidigungsminister Rumsfeld der weiteren Zusammenarbeit mit den Kriegsskeptikern im Außenministerium. In der interministeriellen NSC-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Krieges waren Rumsfeld und seine Stellvertreter kaum anwesend, weigerten sich geheime Informationen zu teilen und erklärten sich häufig für unvorbereitet oder unzuständig. Die Stimmung eskalierte soweit, dass Richard Armitage seine Gegenüber intern als Gestapo beschimpfte, während Dick Cheney das Außenministerium wegen seiner Opposition als al-Qaida-Helfer diffamierte.
Ohne den Eingriff des Präsidenten kam die Zusammenarbeit in seinem Team im Herbst 2002 zum Erliegen. Die zerstrittenen Ministerien verfolgten nun unabhängig voneinander konträre Strategien. Während Colin Powell versuchte, in der UNO ein gemeinsames Vorgehen gegen den Irak im Sinne der kollektiven Sicherheit zu organisieren, trieb Donald Rumsfeld den Aufbau der US-Armee im Persischen Golf voran. Im Februar 2003 scheiterte der Außenminister jedoch daran, den UNO-Sicherheitsrat mit übertriebenen Darstellungen der irakischen Rüstungspolitik und dem Zerrbild einer aktuellen Bedrohung von der Notwendigkeit eines Krieges zu überzeugen. Damit war auch der Machtkampf innerhalb der Bush-Regierung um die richtige Irakpolitik entschieden.
Donald Rumsfeld musste das Scheitern seines Kriegsplans eingestehen
Am 21. März 2003 begannen die US-Streitkräfte entsprechend der Vorstellungen des Verteidigungsministeriums den Angriff auf den Irak. Nach knapp einem Monat war das Regime von Saddam Hussein gestürzt und das Land besetzt. Doch wie das Außenministerium vorhergesehen hatte, waren die rasch eingeflogenen Exilpolitiker um Ahmed Chalabi nicht in der Lage, die Kontrolle über den zerfallenden irakischen Staatsapparat zu übernehmen oder auch nur die Bevölkerung für sich zu gewinnen. Nach wenigen Wochen musste Donald Rumsfeld in einem Memorandum eingestehen, dass sein Plan für eine rasche Machtübergabe gescheitert war. Für die USA begann nun die ungewollte Phase der direkten Fremdherrschaft, um den Irak politisch neu aufzubauen.
Der Irak stand seit dem Amtsantritt von George W. Bush im Fokus der Administration. Eine frühe Festlegung auf eine gemeinsame Strategie oder gar einen Krieg kam jedoch wegen der entgegengesetzten Ansichten der Kabinettsmitglieder nicht zu Stande. Erst die Furcht vor einer gegenwärtigen oder zukünftigen Kooperation von Saddam Hussein und Osama bin Laden machte für George W. Bush nach 9/11 einen Krieg notwendig. Auf dem Weg in den Krieg zeigte sein Team jedoch wenig Einigkeit. Vielmehr verfolgten Skeptiker und Befürworter des Konflikts unterschiedliche Strategien. Die mangelnde Kooperation wirkte sich verheerend auf die Planung der Nachkriegszeit aus, in der das Verteidigungsministerium von unrealistischen Prämissen ausging. Die Folgen dieser katastrophalen Politik sind bis heute prägend: ein von Gewalt und Instabilität gezeichneter Irak, regionale Konflikte zwischen dem aufsteigenden Iran und den Golfstaaten sowie eine nachhaltige Schwächung der amerikanischen Weltmacht