21.11.2011
“Der Monat Muharram könnte dieses Jahr schlimm werden.” – Interview mit einem bahrainischen Aktivisten
Von Lea Frehse
Seit dem 14. Februar, als Hunderttausende Bahrainer auf dem zentralen Perlen-Platz in der Hauptstadt Manama für größere politische Freiheiten auf die Straße gingen, dauern die Anti-Regierungsproteste im Inselstaat an. Das von der Königsfamilie Al Khalifa angeführte Regime hat die Demonstrationen gewaltsam niederschlagen lassen in dem Bemühen die Opposition zum Schweigen zu bringen. Mehr als 40 Menschen sind der Gewalt von Polizei und Militär bereits zum Opfer gefallen, Tausende wurden festgenommen und gefoltert. Der König sah sich angesichts des wachsenden öffentlichen Drucks gezwungen eine Kommission zur Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen einzusetzen. Die Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse ist für den 23. November angekündigt.

Angesichts der Repressionen mussten viele der Aktivisten bereits aus Bahrain fliehen. Alsharq traf einen von ihnen im Exil in Großbritannien, mit dem wir in den letzten Monaten regelmäßig in Kontakt standen. Im Interview berichtet er von anhaltenden Protesten in Bahrain, erklärt, was er von den Untersuchungsergebnissen der Kommission erwartet und wie er die Zukunft der Protestbewegung einschätzt.

Wie würdest Du die Geschehnisse in Bahrain seit Beginn dieses Jahres mit Deinen eigenen Worten zusammenfassen?   
Was in Bahrain geschieht steht in engem Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling in der ganzen Region. Die ersten Proteste im Februar ließ das Regime niederschlagen; sieben Menschen wurden am 17. Februar ermordet. Kronprinz Salman bin Hamad initiierte daraufhin einen Dialog mit der Opposition und die Konfliktparteien kamen zu einer Übereinkunft in sieben Punkten bis März. Nur Tage später, am 14. März, brachte das Regime dann aber Saudische Truppen ins Land und erließ Notstandsgesetze. Das war der Beginn der brutalen Kampagne gegen die Opposition, die sich vor allem gegen die schiitische Mehrheit richtet. Menschen werden festgenommen, gefoltert oder gar umgebracht. Es kommt außerdem massenhaft zu Entlassungen und nächtlichen Wohnungsrazzien.
Im Juli dann kündigte der König eine erneute Runde des nationalen Dialogs an und ernannte den Parlamentsvorsitzenden Khalifa Aldharani zum Leiter der Gespräche. Der sogenannte Dialog scheiterte bereits nach kurzer Zeit, weil der Opposition schnell klar wurde, wie unfair die Verhandlungen waren.
Die Regierung setzte dann eine Untersuchungskommission ein, die den Menschenrechtsverletzungen der Regierungstruppen auf den Grund gehen sollte. Diese sogenannte ‚Unabhängige Königliche Menschenrechtskommission‘ trägt die Widersprüchlichkeit bereits im Namen. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen am 23. November verkündet werden. Wir sind pessimistisch bezüglich der Kommission. Der König benutzt diese Kommission als Feigenblatt um sich selbst in ein besseres Licht zu rücken. Derweil zerstören seine Truppen weiterhin schiitische Moscheen und Wohltätigkeitseinrichtungen.
Was ist inzwischen aus den Protesten geworden?
Die Proteste gehen weiter! Es wird täglich demonstriert, auch wenn das nicht mehr auf dem zentralen Perlen-Platz möglich ist. Die größten Proteste aber finden jeden Freitag in der Hauptstadt Manama statt.
Haben sich die Forderungen der Opposition über die vergangenen neun Monate verändert? 
Unsere Forderung nach einer Reform des Regimes ist gleich geblieben. Das Massaker der Regierungstruppen aber hat einige Gruppen zu drastischeren Forderungen veranlasst: Sie fordern jetzt den Sturz des ganzen Regimes. Und ihre Forderung hat in den letzten Monaten immer mehr Unterstützung gefunden.
Die gewaltsame Reaktion des Regimes hat die Opposition im Allgemeinen gestärkt. Besonders junge Leute, die sich vorher nicht besonders für Politik interessiert haben, engagieren sich jetzt mehr. Die Jugend organisiert sich.
Wie genau ist die Opposition organisiert? 
Es gibt im Wesentlichen zwei Schichten in der Opposition. Einerseits gibt es die sechs offiziell anerkannten ‘Politischen Gesellschaften’, die die konstitutionelle Monarchie unterstützen und einige wenige Sitze im Parlament zugestanden bekommen haben. Sie sind die treibende Kraft hinter den Protesten im Moment. Andererseits finden sich drei inoffizielle Oppositionsgruppen in Bahrain, die die Einführung eines republikanischen Systems fordern. In ihnen sind vor allem junge, weniger gebildete Menschen organisiert, die schon lange unter der Diskriminierung des Regimes gegen die Schiiten zu leiden haben.
Die Schiiten machen mit 70% die Mehrheit der Bevölkerung in Bahrain aus aber werden seit langem systematisch benachteiligt und haben praktisch keine politische Repräsentation. Jetzt protestieren vor allem Schiiten. Ist die Oppositionsbewegung also konfessionsgebunden? 
Nein, sie ist an keine Konfession gebunden. Dies ist eine nationale Bewegung. Die Opposition kämpft für die Reform der Verfassung und Gleichheit, jedoch nicht für eine Quote wie es sie zum Beispiel im Libanon gibt. Dass die Mehrheit der Demonstranten Schiiten sind ist ja nur natürlich: Schiiten stellen die Mehrheit der Bevölkerung, also sind sie auch die Mehrheit der Bewegung.
Was für einem Regime sieht sich die Opposition gegenüber? Wie einheitlich ist die Regierung? 
Die königliche Familie teilt sich auf in drei Gruppen: Erstens gibt es da den König Hamad Al Khalifa selbst, der in Wirklichkeit eine sehr schwache Position einnimmt. Er verfügt über enge Verbindungen nach Saudi Arabien. Zweitens der Premierminister, er ist der Onkel des Königs und das wahre Oberhaupt der Familie. Er ist der wirkliche Hardliner, und nebenbei bemerkt seit über 40 Jahren an der Macht und somit der am längsten amtierende Premierminister der Welt. Schließlich ist da noch der Kronprinz, der Kommandeur der Bahrainischen Armee. Er ist derjenige, der am meisten Dialogbereitschaft gezeigt hat, aber er ist auch das schwächste Glied innerhalb der Königsfamilie. Diese Fragmentierung innerhalb der Al Khalifa hat es schon immer gegeben, doch durch die Proteste im Februar wurden diese Gräben erst deutlich sichtbar.
Ist die Causa Bahrain typisch für den Arabischen Frühling? Was unterscheidet die Geschehnisse im Inselstaat von denen in anderen arabischen Ländern?
Es gibt einen ganz wesentlichen Unterschied: Bahrain hat keine unabhängige nationale Armee. Die Armee in Bahrain untersteht der Kontrolle der königlichen Familie und wird sich nicht auf die Seite des Volkes stellen wie es die Armeen in einigen anderen Ländern getan haben.
Im Ganzen waren die Proteste in Bahrain bislang die friedlichsten von allen Aufständen im Nahen Osten. Und die mit der höchsten Beteiligung! Im Februar ist ein Drittel der Bevölkerung auf die Straße gegangen – das gab es so in keinem anderen Land.
Was sagst Du für die nahe Zukunft voraus? 
Es ist nur eine Frage der Zeit, dass die Opposition wieder erstarkt. Der Monat Muharram, wenn vor allem Schiiten dem Märtyrer Husain bin Ali gedenken, könnte dieses Jahr schlimm werden in Bahrain. (Muharram, der erste Monat des islamischen Kalenders fällt in diesem Jahr voraussichtlich auf den Zeitraum 26. November bis 25. Dezember; d.Red.) Husains Wirken, der sich seinerzeit der Tyrannei des politischen Systems widersetzt hat, hat für die heutige Situation große Symbolkraft.
Das Regime wird wohl noch gewaltsamer als bisher reagieren. Je gewaltsamer aber ihr Agieren, desto weniger Furcht werden die Menschen haben. Viele sagen: „Wir haben nichts mehr zu verlieren. Wir haben Folter, Gefangennahmen, Tod gesehen. Wieviel schlimmer kann es da noch kommen?“
Und auf lange Sicht? 
Ich hoffe langfristig auf eine politische Lösung. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es dazu kommt. Ich glaube, dass das Regime inzwischen zu allem fähig ist. Was in Bahrain geschieht könnte einen konfessionellen Krieg in der gesamten Region auslösen. Wir haben gesehen wie es gehen kann: Als die Menschen in Bahrain auf die Straße gingen begannen auch in der Ost-Provinz Saudi Arabiens, wo Schiiten ähnlich unterdrückt sind, die Proteste. Die sunnitischen saudischen Herrscher haben den Aufstand extrem schnell unterdrückt und ihre Armee auch nach Bahrain gesandt. Inzwischen liegt die Entscheidung über das Vorgehen gegen die Bahrainischen Proteste nicht mehr beim Regime in Manama. Entschieden wird in Riad. Und die Lage kann noch heftig werden.
Was für eine Reaktion des Westens wünschst Du Dir?
Ich hoffe auf verstärkten Druck des Westens, Druck könnte die Lage verbessern. Sie haben in Tunesien Druck ausgeübt, in Libyen, warum also nicht in Bahrain? Ich frage mich: Fürchten sie die Demokratie? Oder fürchten sie Saudi Arabien und bangen um ihr Öl von dort?
Vielen Dank für das Gespräch und diese Einblicke.


Here you can read the interview in English.
Lea ist seit 2011 bei Alsharq. Sie hat Internationale Politik und Geschichte in Bremen und London (SOAS) studiert und arbeitet seitdem als Journalistin. Mehrere Jahre hat sie in Israel und Palästina gelebt und dort auch Alsharq-Reisen geleitet. Lea ist heute Redakteurin bei der Wochenzeitung Die Zeit.